Erstellt am: 3. 11. 2014 - 19:00 Uhr
Russland baut sein Sat-TV-Imperium aus
Am Wochenende ging mit RT UK ein neuer TV-Kanal des russischen Staatsfernsehens Russia Today "On the Air". Seit Montag werden sechs Stunden pro Tag eigene, auf ein britisches Publikum zugeschnittene Nachrichtenprogramme ausgestrahlt, die in 90 Prozent aller Haushalte in Großbritannien zu empfangen sind.
Der offizielle Launch von RT UK fiel nicht zufällig mit den umstrittenen Wahlen in der von russischen Separatisten besetzten Ostukraine zusammen. Nach der Bekanntgabe der Wahlergebnisse am Montag änderte sich auch die Wortwahl. Der bisherige Zusatz "selbsternannt" für die von den Separatisten ausgerufenen Volksrepubliken fiel weg, die Rebellenführer aus Donezk und Lugansk werden seitdem als "Ministerpäsidenten" bezeichnet.
RT UK wird wie RT America, Russia Al-Yaoum (arabisch), einem spanischen und dem russischsprachigen RT-Nachrichtenkanal rund um den Globus ausgestrahlt. Mit Transpondern auf 30 verschiedenen Satelliten ist das russische Nachrichtennetz den Größen des internationalen TV-Nachrichtengeschäfts wie CNN oder der BBC durchaus ebenbürtig, was die technische Reichweite betrifft.
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Screenshot von Russian Television
Aktuell dazu in ORF.at
Nach der Anerkennung dieser Wahlen, die von der Ukraine als "Farce" und von der NATO als "Hindernis für den Frieden" werden, durch Russland gehen Beobachter von einer weiteren Eskalation der Lage aus
Die russische Präsenz in London
Das RT-Studio in London besteht bereits seit geraumer Zeit, seit Anfang 2014 wurden zunehmend mehr Produktionen aus London im globalen RT-Mantelprogramm ausgestrahlt. Die Mehrzahl der Moderatoren und Reporter des russischen Nachrichtenkanals sind ohnehin Briten oder Amerikaner und ѕie sind allesamt Professionals des Nachrichtengeschäfts.
RT-Finanzexperte Max Keiser, der schon seit Jahren vom Finanzplatz London berichtet, ist gelernter Börsentrader und hatte davor schon unter anderem eine exzentrische Börsenshow bei BBC-World. Kriegsreporterin Paula Slier, die aktuell über die Wahlen in der Ostukraine berichtet, war bereits in Afghanistan wie im Irak als Reporterin für CNN dabei und hat eine eigene Produktionsfirma.
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Screenshot von Russian Television
Sliers Reportagen sind sichtlich um Ausgewogenheit bemüht - dasselbe trifft auf die meisten anderen RT-Reporter zu - ihre Berichte unterschieden sich nur in Nuancen von jenen der BBC oder CNN. Ansonsten waren die Wahlen am Sonntag keineswegs Topthema in RT, auch am Montag wurden sie stets erst weiter hinten in den Nachrichtenblocks gereiht. Das entsprach durchaus der Programmierung anderer großer Nachrichtensender am Wochenende, genauso aber der Selbstpositionierung des russischen Nachrichtensenders als "alternative Nachrichtenquelle" zu CNN oderr BBC.
Der Spin zum Start
In den USA werden nach der Warnung des Frühwarnstelle ICS-CERT am Donnerstag industrielle Steuerungssysteme nach einer gut getarnten Schadsoftware abgesucht, die davor schon bei den Spionageangriffen auf den NATO-Gipfel im Einsatz war und Russland zugeschrieben wird
Den Auftakt zum Start in London sollte eine breite Plakatkampagne nach dem Muster der Werbeoffensive für RT America in Washington mit dem Slogan setzen "Das passiert, wenn es keine zweite Meinung gibt". Anders als in den USA weigerte sich britische Außenwerbung jedoch, Plakate aufzuhängen, auf denen die Aussagen des damaligen US-Präѕidenten George W. Bush und seines britischen Gegenstücks Tony Blair über die Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak als Lügen bezeichnet wurden.
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Russia Today
Das Ersatzsujet zeigte statt der Politiker einen fetten "Redigiert"-Stempel, der zur Aussage "Das passiert, wenn es keine zweite Meinung gibt" perfekt passte. RT hatte damit noch vor dem Start der eigentlichen Kampagne in London einen Medienscoop gelandet, auch der Start selbst fand entsprechende Aufmerksamkeit in den britischen Medien. Die giftigen Artikel und Kommentare in den Boulevardzeitungen über russische Lügen und Desinformation wurden von RT genüsslich aufgegriffen. Die britischen Medien fürchteten offenbar eine "alternative Nachrichtenquelle" als unliebsame Konkurrenz, so der "Spin" aus Russland.
Wie die Nachrichtenmaschine tickt
An diesem Punkt setzt RT nämlich an. Nachrichten, die der Mainstream der Medien etwa in den USA auslässt, werden von RT blitzartig aufgegriffen und ausgeschlachtet. Ein aktuelles Beispiel dafür war die Verhaftung des zum erklärten Kriegsgegner mutierten CIA-Veteranen Ray McGovern am Freitag. McGovern und andere Friedensaktivisten hatten Eintrittskarten für einen Vortrag des ehemaligen Oberbefehlshabers in Afghanistan und Kurzzeitdirektor der CIA, David Petraeus, wurden aber nicht in die Veranstaltung gelassen.
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Screenshot von Russian Television
Der durchaus streitlustige McGovern (74), der noch an den Folgen einer Sturzverletzung laborierte, wurde mit Handschellen gefesselt und abgeführt. Tags darauf war er live im Programm von RT America zugeschaltet und schilderte die rüde Form der Behandlung durch die Sicherheitskräfte. Tenor des Berichts: So wird in den USA mit abweichenden Meinungen umgegangen. Diese Art von Spin zieht sich durch die gesamte RT-Berichterstattung, es wird verglichen, gleichgesetzt und damit die in Russland herrschende Repression relativiert.
Gefährliche Luftmanöver
Am Wochenende mussten britische Abfangjäger zwei Alarmstarts absolvieren, weil russische Langstreckenbomber erneut dem Luftraum Großbritanniens gefährlich nahe gekommen waren. RT berichtete in diesem Zusammenhang über die "Hysterie" in den britischen Medien und verwies dabei auf die zahlreichen NATO-Manöver entlang der russischen Staatsgrenze im heurigen Jahr.
Der Spin: Die westlichen Medien würden bei Militärmanövern ganz offensichtlich zweierlei Standards anlegen. Das Punkt dabei ist, dass jeder dieser Spins von seiten Russlands wenigstens bis zu einem gewissen Grad den Tatsachen entspricht. Von Litauen bis zum Schwarzen Meer hatte die NATO ein Manöver nach dem anderen abgehalten, Russland hatte dann mit eigenen Manövern darauf reagiert.
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Screenshot von Russian Television
Die in den letzten Wochen gehäuften Ausflüge russischer Langstreckenbomber bis nahe an die nationalen Lufträume von NATO-Staaten werden von Militärs als "Tests" bezeichnet. Getestet wird da allerdings die Reaktionszeit des Gegners auf ein sich näherndes Flugobjekt. Wie gefährlich derartige "Tests" werden können, zeigte sich am Donnerstag bei einem Frachtflugzeug aus Lettland, das im britischen Luftraum regulär angemeldet unterwegs war. Weil zwischendurch der Kontakt zwischen den Fluglotsen und Maschine abgerissen war, stiegen Abfangjäger der Royal Air Force auf, die das lettische Frachtflugzeug über Funk mit Abschuss bedrohten.
Parallel zum Krieg im Osten der Ukraine sind der erst Ende August gestartete, vergleichsweise winzige TV-Nachrichtenkanal Ukraine Today und Russia Today seit Monaten einen ungleichen Propagandakrieg verstrickt
Was die Militärdoktrinen sagen
Sowohl die Zahl der bekannt gewordenen Vorfälle wie auch ihre Qualität während der letzten Monate ergeben das beunruhigende Bild einer langsamen aber stetigen Eskalation dieses Konflikts zwischen den Machtblöcken. Von aggressivem Spin-Doctoring und Medienkampagnen über die wechselseitigen "Tests" der Luftraumverteidigung und militärischen Manövern zu Lande und zur See an den jeweiligen Landesgrenzen ist das die bei weitem größte Auseinandersetzung seit dem Ende des Kalten Kriegs.
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Screenshot von Russian Television
Die Spionageangriffe auf den NATO-Gipfel und das aktuelle Auftauchen von Schadsoftware in Steuerungsanlagern der US-Industrie sind zwar recht eindeutig dem Konto Russlands zuzurechnen. Mit großer Sicherheit ist allerdings davon auszugehen, dass auch die NATO-Staaten hier gleichwertig reagieren und ihrerseits auf offensive "Cyber"-Operationen setzt. Damit wären von beiden Seiten bereits so ziemlich alle Optionen verbraucht, die in den jeweiligen Militärdoktrinen als niederschwellige Vorstufen einer kriegerischen Auseinandersetzung angesehen werden.
Ukrainische und russische Funker
In dieser aufgeheizten Lage stieg am Samstag der reguläre, internationale Funkwettbewerb der ukrainischen Sektion in der Internationalen Amateurfunkunion. Unter den tausenden Teilnehmern war auch eine große Zahl russischer Stationen in diesem Wettbewerb vertreten, laut Regelwerk werden dabei Auslandskontakte mit ukrainischen Stationen mit den höchsten Punktezahlen bewertet. Das Brisante daran: Sowohl in der Ukraine wie in Russland werden etwa ein Drittel aller Amateurfunkstationen von Angehörigen des Militärs betrieben.
In Österreich wird dieser Leistungstest als nationale Notfunkübung allein für österreichische Stationen abgehalten, deren Antennen sozusagen auf Inlandsversorgung umgedreht. Ziel der Übung am 1. Mai war es, alle Bezirke Österreichs bei einem nationalen Blackout über Kurzwelle mit Notkommunikation zu versorgen.
In der ersten Phase des Wettfunkens hielten sich die vielen russischen Operators auffällig zurück. Als sich am Samstagabend dann die Funkbedingungen stark verschlechterten und die Auslandskontakte abrupt zurückgingen, meldeten sich russische Operators bei den Ukrainern nacheinander zu Wort. Anstatt des international gebräuchlichen NATO-Alphabets wurde dabei der russische Buchstabiermodus gewählt und auch Russisch gesprochen.
Diese Anrufe wurden von den ukrainischen Operators fast ausnahmslos knapp aber korrekt und ebenfalls auf Russisch beantwortet. Eine dieser ukrainischen Stationen befand sich gerade zehn Kilometer vom Flughafen Donezk entfernt, wo am Samstag sieben ukrainische Soldaten durch Granatenbeschuss russischer Separatisten starben. Im Gegenzug wurde Donezk von der ukrainischen Armee wieder mit Artillerie beschossen, Nachrichten über Opferzahlen liegen aus Donezk nicht vor.