Erstellt am: 3. 11. 2014 - 15:53 Uhr
Lost in the Supermarket
Um Künstler zu sein, brauche man gar keinen Manager oder Agenten, so Lady Gaga, nötig seien bloß Pinsel und Leinwand. Bzw. "fucking!" Leinwand. Selbstverwirklichung, Kunst und Inszenierung sind die Themen von Lady Gaga, am Sonntagabend trug sie ihre Botschaft in die Wiener Stadthalle, die sie mit offenen Armen empfing. Kunst ist das, was man in einen Rahmen gibt.
Deshalb hat Lady Gaga ihr letztes Album "Artpop" genannt, damit wir auch verstehen können, dass hier ein so genanntes Gesamtkunstwerk stattfindet. Die dazugehörige Tour nennt sich "ArtRave: The Artpop Ball", auf Bildschirmen neben der Bühne ist das Wort "ArtRave" zu lesen – mit Hashtag vorne dran. Die Modernität von vorgestern. Die Bühnenaufbauten schienen Luke Skywalkers Heimat auf dem Planeten Tatooine nachempfunden, weiße Höhlen- und Stein-Imitationen, in die eine in Weiß gewandete Band hineindrapiert war. Eine richtige Band. Mit Gitarren und rockenden Männern.
Lady Gaga führt uns die Gemachtheit von Popmusik und die Künstlichkeit vor, muss gleichzeitig immer wieder die vierte Wand der Inszenierung durchbrechten: Prominent sind von Lady Gaga die Worte "I'm not real. I' m theatre." überliefert. Gleichzeitig muss aber eben doch unbedingt die Bodennähe, die Authentizität und die Kumpelhaftigkeit transportiert werden. Es gab also vom ersten Song, programmatisch "Artpop", an, sie sollten den ganzen Abend nicht verstummen, "Viennnaaa!"-Anfeuerungsrufe von Gaga, "I love You" etc. und ausdrücklich engen Publikumskontakt, ausführliche Zwischenansagen, die immer wieder mit einem bekräftigenden "fucking" gewürzt wurden.
Es gibt keine genehmigten Bilder vom Wien-Konzert von Lady Gaga. Die Bilder in diesem Artikel sind genehmigte Bilder der aktuellen Tour.
Kevin Mazur Wire Image
Stege, um nicht zu sagen "Catwalks", führten von der Bühne aus in die Menge, freilich schick anzusehende Tänzer und Tänzerinnen in knappen Hosen, Silbertops, halbdurchsichtigen Regenjäckchen, in Gummi, Lack und Leder, drehten sich abenteuerlich in Choreografien, die zwischen laszivem Voguing und putzigen Busby-Berkeley-Versuchsanordnungen neue Verbindungslinien fanden. Am Ende eines Stegs, mitten im Publikum, war auf einer kleinen Plattform in einem Eiskristallblock (nicht echt) ein Klavier versteckt; wenn Gaga dort ruhigere Stücke im Sinne einer Elton-John-Intimität gab, konnten einige Glückliche der Frau tatsächlich auf kaum mehr als zwanzig Zentimeter Entfernung nahe kommen.
An einem Punkt lümmelte Gaga betont leger auf der Plattform und ließ sich aus dem Publikum ein Bier reichen: "Oh Sipferbräu!". Es geht um die Gleichheit, die Community, das Einspeisen neuer Politiken bezüglich Sexualität, Identität, Freiheit, ja, Liebe in diesen komischen Mainstream. Man glaubt Lady Gaga das alles. Sie weiß auch, dass, damit es alle hören können, eben nur das allergrößte Feuerwerk helfen kann. Wenn bei Gaga von Kunst die Rede ist, dann muss eben von Andy Warhol die Rede sein – da können sich auch unsere Urgroßeltern so halbwegs etwas darunter vorstellen.
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Wir sind alle eine Factory und eine Family, und so wie wir sind, ist es gut. Vor der Nummer "Born this Way" verlas Gaga den Fanbrief eines Superfans, der den wichtigen von Gagas Kunst gespendeten moralischen Support erläuterte. Danach holte sie den (vermeintlichen?) Urheber des Briefes und einen Begleiter, zwei noch nicht dem Teenageralter entwachsene Boys, zu sich ans Klavier.
So ein Moment rührt an der Tränendrüse aller Beteiligten und es steht außer Frage, dass Lady Gaga das kann, eine große Show sicher in der Hand haben, Konfettikanonen vom ersten Song an, Gewusel auf der Bühne, Gymnastik an bunten Bällen, Kostümwechsel, Falltüren und nach oben fahrende Podeste. Auch singen, Klavierspielen und die Figuren durchwandeln: Hochwertig knödelnde Rockröhre, unterkühlte Sci-Fi-Diva, aufgekratztes, scheinbar an den Rand hochgecoketes New-Wave-Girl, überzuckertes Songconteststarlett. Zwei Stunden und über 20 Songs lang.
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Mit wenigen Ausnahmen, den Stücken "Paparazzi", "Poker Face", "Dope" oder "Telephone" beispielsweise, hantieren Lady Gagas Songs leider in textlicher wie musikalischer Hinsicht meist mit bloßen Schlagworten, mit sofort einsortierbaren Buzzwords und Signalen: Songs heißen da "Applause" (natürlich auch dem Publikum gewidmet) und "Donatella", ständig werden "Fame" und "Fashion" bespiegelt.
Soundtechnisch wird alles abgegriffen was die moderne Warenwelt gerade so her gibt: Eurodance, Pophouse, Joan-Jett-Rock'n'Roll, Daft Punk, spanisch gemeinte Gitarren, EDM light, Trap-Einsprengsel, eine 1992 betrunken durch die Love Parade gestolperte Madonna, Karaoke-"Jazz". Aber so muss es wohl sein, nicht der Künstler nämlich ist pervers, sondern die Gesellschaft, in der er lebt. Wenn jedoch eine Coverversion, "What's Up" von den 4 Non Blondes, für den erhebendsten Moment des Abends sorgt, will man sich vielleicht etwas überlegen möchten.
Wir leben jedoch vom Vibe, von der Umarmung, dem Glühen in der Luft und dem Spektakel. Es war ein kurzes Utopia, in dem eine schönere Welt möglich schien, in der Momente der Länge aber eben auch noch nicht ganz abgeschafft sind. Möglicherweise ist Lady Gaga gerade dabei, einem etwaigen Großdesign immer näherzukommen: Hinter Attitude, Inszenierung, Kunst, Message, Liebe, Haltung und Pose die Musik komplett unerheblich zu machen. Die Idee ist gut.