Erstellt am: 3. 11. 2014 - 15:01 Uhr
Jet-Set-Hip-Hop
Artist Of The Week
Musikempfehlungen aus der FM4 Redaktion
Der Deal
Theophilus London hat in Interviews jahrelang von einer anstehenden Zusammenarbeit mit Kanye West gesprochen - meist ungefragt. Bloß, da war nie etwas außer einem gemeinsamen Selfie, aufgenommen bei den Filmfestpielen in Cannes anno Irgendwann. Der Styler, Dandy und High-Fashion-Nerd des Hip Hop hat so viel über seinen angeblichen Freund, Mentor und Kollaborationspartner palavert, dass man sich an den unsichtbaren Hasen im Film Harvey mit James Stewart erinnert fühlen durfte. Kanye West wurde zum Phantom eines rappenden Stalkers, so hatte es den Anschein.
Warmer Music
Doch der Geist war ein lebendiger. Die Bekanntschaft mit Kanye West „real“. Und jetzt, da diese Zusammenarbeit in schwarzes Vinyl gepresst wurde und für alle Welt hörbar ist, kann Theophilus ganz entspannt erzählen, wie es so war mit „Ye“ und der Genese seines zweiten Albums Vibes!
Dem Musikblog Hypetrack.com erklärte London zum Beispiel, dass Kanye bei einer nächtlichen Autofahrt in Paris eine Demoversion seines Songs The Law gehört und auf Anhieb seinen Segen erteilt hätte. Es folgte eine Einladung in ein Penthouse in L.A. Und weil der hyperaktive Art Director des Hip Hop alles hat bloß keine Zeit, wurde bei der Gelegenheit ein weiteres, damals auch noch relativ unbekanntes Hip-Hop-Kid namens Taylor The Creator in die edle Burg zu Beverlly Hills beordert. Kanye mochte, was die zwei ihm erzählten und zeigten und erklärte die talentierten Buben kurzerhand zu seinen „little brothers“.
Aus einer unmittelbaren Zusammenarbeit mit Theophilus London wurde aber vorerst nichts. Kanye war mit dem Lesen von Userkommentaren auf Hypebeast.com beschäftigt, nahm Lou Reeds Lieblings-Hip-Hop-Album auf („Yeezus“) und ehelichte die Promidarstellerin Kim Kardashian.
Theophilus London versuchte einstweilen in die von Edel-Sneakers ausgeformten Fußstapfen seines Mentors zu treten und verschaffte sich mittels Networking und Dauernerven Zugang zur Welt der Laufstege, des Jet-Sets und der Design-Elite. Merke: bevor Pharrell auf den Hut gekommen ist, hat ihn breits Theophilus getragen.
Nachzuhören waren diese Abenteuer auf Londons Debütalbum Timez Are Weird These Days. Der in Trinidad geborene Theophilus schälte sich aus der Loft-Szene Brooklyns, tauschte gerappte Verse gegen gesungene und positionierte sich als Einzelgänger jenseits sämlticher Hip-Hop-Camps. Theophilus nahm den vor einigen Jahren in die USA einsickernden Trend zu elektronischer Tanzmusik dankend an und vibte zwischen Electro, Dancefloor Pop und R’n’B.
Zum ganz großen Durchbruch reichte es allerdings nicht. Doch dem Styler war der Laufsteg ohnehin wichtiger als die Street Credibility. "Hipster Hop", "PBR & B" oder "Boutique Rap" war das nicht immer schmeichelhafte Bling Bling, das Theophilus London und anderen Genreausreißern von Traditionalisten umgehängt wurde.
Das Album
Der Theophilus-London-Song The Law, der Kanye so begeisterte, wurde zum Ausgangspunkt der künstlerischen Zusammenarbeit für das neue Album. West übernahm die Rolle des Executive Producers, also des ausführenden Produzenten, was so ziemlich alles und nichts bedeuten kann. Es ist jedenfalls keine Garantie für gemeinsames, nächtelanges Abhängen im Studio, wie London bald erfahren musste. Im Interview erzählt er, dass er dem Hip-Hop-Exzentriker nachreisen musste, nach Paris, Rom oder Afrika. West hätte ihm meistens knappe aber sehr präzise Anweisungen via E-Mail geschickt und so ganze Songs umarrangiert.
Theophilus London hingegen entzog sich dem Großstadtleben und seinen Sünden und spielte in einem selbstgebauten Bedroom-Studio in Palm Springs den sich in die Materie vertiefenden Hip-Hop-Eremiten. So entstand das Album im Ping-Pong-Verfahren zwischen den Metropolen dieser Welt und einem kleinen Domizil in Kalifornien.
Theophilus London Twitpic
Dort erhielt London Besuch von einer Schar illustrer Gäste. Als Produzenten und Kollaborateure scheinen am neuen und grenzwertig schlicht betitelten London-Album „Vibes!“ Namen wie Devonté Hynes (Blood Orange), Brodinski und der Österreicher Cid Rim auf. Neben diesen ultrahippen Soundmeistern der jungen Garde trat der alte Adel des edlen Tuches und des wahrhaftigen Ausdrucks in Erscheinung. Jazz- und Soul-Altmeister/Produzent Leon Ware (u.a. Marvin Gaye, Michael Jackson) ist in den Duetten Water Me und Need Somebody zumindest ein bisschen zu hören. Karl Lagerfeld, weltberühmt nicht nur wegen seiner Cola-Diät, hat für das Cover-Foto den Auslöser gedrückt. „Er hatte in seinem auf zwei Jahre ausgebuchten Terminkalender noch drei freie Stunden für mich gefunden“, so Theophilus London völlig unironisch.
Es sind also viele gaaanz wichtige und richtige Menschen an der Entstehung von Vibes! beteiligt gewesen. Umso erstaunlicher, dass das Album trotzdem sehr stimmig und kohärent klingt und kein beliebiger Flickenteppich aus Neo Soul, Sade Pop, Neu Wave und Hip Hop geworden ist.
Dass hier einmal mehr die wunderbare Leichtigkeit des Scheins abgefeiert wird, die nur zwecks Coolness manchmal ein paar Schatten wirft oder aus Lustbarkeitsgründen eine bisschen Schweiß auf Bettlacken tropfen lässt, macht diese Unternehmung nicht gerade unsymphatischer. Im Gegenteil. Unter diesen Voraussetzungen lässt es sich viel hemmungsloser Eintauchen in die Welt der Oberflächen und eitlen Selbstbespiegelungen.
Und Kanye, oh Kanye, hat nicht nur den Konsulenten und Abnicker gespielt, sondern dem Stück Can't Stop My Love sogar einen Vers spendiert, der vom Flow der Raps her die Uhren auf die College-Drop-Out-Phase zurückdreht, weshalb bloggende Fans gerade Kopf stehen. Diesen äußerst smoothen, äußerst gelungenen Track kann Theophilus London niemand mehr nehmen.
Auch sonst geht Vibes! als Edelschokolade unter den aktuellen Neuerscheinungen durch. Das war in dieser Form nicht zu erwarten. Was ihm denn wichtiger sei, wurde Theophilus London unlängst gefragt, die Mode oder die Musik? Die Musik natürlich, sagte der Oberflächenbehandler triefgründig. "Music is unbreakable". Und schon palavert er von der Zusammenarbeit mit seinem größten Vorbild überhaupt: John Maus.
Anspieltipps: Take A Look, The Law, Water Me, Smoke Dancehall, Need Somebody.