Erstellt am: 3. 11. 2014 - 13:57 Uhr
The daily Blumenau. Monday Edition, 03-11-14.
The daily blumenau hat Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst.
Und bietet Items aus diesen Themenfeldern.
#drogenpolitik #gesundheitspolitik #machtpolitik
1
Die neue Gesundheits-Ministerin hat gestern in der Pressestunde in ihrer Eigenschaft als oberste Wahrerin der hiesigen Volksgesundheit einen bezeichnenden Satz gesagt: "Wir kämpfen mit aller Macht gegen sämtliche Süchte die es gibt."
Für ein Land, in dem Saufen Staatsreligion, das Festzelt der Tempel und das Unter-den-Tisch-Saufen Neu-Gründungs-Mythos ist, in dem Trunkenheit mit Gemütlichkeit gleichgesetzt wird, die daraus resultierende geistige Vernebelung als Denkgrundlage und das entstehende Gebrabbel als Debatte gilt, ist das ein ganz gewaltiger Satz.
2
Er gilt nur nicht.
Weil er schon im (sprachlich mehr als unscharf) angehängten Nebensatz relativiert wurde. Die gesamte Äußerung lautet nämlich so: "Wir kämpfen mit aller Macht gegen sämtliche Süchte die es gibt. Von... wir erinnern uns an die Alkopop-Geschichte, wir erinnern uns ans Rauchen - und dann noch etwas zu legalisieren entspricht nicht meiner Vorstellung."
Vor den echten heftigen Massensüchten, dem Saufen und dem Rauchen, ist sie - schon rein sprachlich - also eingeknickt. Es war schon da, das "Von...", das die zu bekämpfenden Süchte in einem "Von... über... bis hin zu..." aufzählen wollte. Allein: getraut hat sie sich nicht.
Die neue Gesundheitsministerin begann sich an dieser Stelle stattdessen an etwas zu erinnern, was nie stattgefunden hat: die Legalisierung von Alkohol oder Rauchwaren - weswegen sie (argumentativ) eine weitere Legalisierung für keine gute Idee hielte. Diese Flucht in eine (groteske) Scheinrealität macht aus einem an sich mächtigen Satz dann einen armseligen.
3
Niemand kämpft mit aller Macht gegen sämtliche Süchte. Weder in Österreich noch sonstwo, weder der Turbokapitalismus noch die Sozialdemokratie, nicht die populistischen Scheinvertreter der kleinen bonhommes und schon gar nicht die machtaffinen Religionen.
Im Gegenteil: Es sind die Süchte, die Gesellschaften aneinanderbinden, Waren- und Wertetransfer ermöglichen.
Um in Österreich zu bleiben: Es ist die Saufkultur, das maßlose Reinschütten von Bier, Wein und härterem Zeug, die Österreich in seinen Grundfesten geprägt hat und mit jeder dem Suff neuzugeführten Kindergeneration (ab zehn, zwölf dürfen alle mitnippen, da werden alle Augen zugedrückt) fortgeführt wird. Auch in den letzten 70 Jahren.
Es ist eine weinerliche Vergessens- und Verdrängungs-Kultur, ein Leben das bis auf das Festkrallen am Glas im Konjunktiv stattfindet. Es ist ein permanentes Schöntrinken von Hinterwäldlertum und unaufgearbeiteten Familiengeschichten einer auch noch in der vierten/fünften Generation verbrechens/kriegstraumatisierten Bevölkerung.
Es ist notwendig um das (immer noch entstellte) Gesicht zu wahren.
4
Die Sucht, das Sich-Reinsinkenlassen in die süße Lasterhaftigkeit und seine Gewohnheitsmachung ist das kollektive Aspirin gegen ein subkutanes tinnitusgleiches Kopfweh, das dieses Land immer noch peinigt. Die Sucht als Flucht.
Sie zu bekämpfen ziemt sich also nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen (man vertrinkt das Produzierte ja nicht allein selber, man ist schließlich auch Wein/Bier-Exportland) nicht, sondern auch aus behandlungstechnischen. Wird doch das Zudröhnen mittels Alkoholika von politisch und ökonomisch Mächtigen als einzig mögliche Kur - und als wesentlicher Faktor in der Kontrolle der Massen angesehen. Und das wiegt die volkswirtschaftlichen Schäden, die durch Saufen/Rauchen (Krankheit, Erwerbsunfähigkeit etc) entstehen, natürlich auf.
5
Der Satz der Frau Oberhauser lässt sich in nur einer Hinsicht tatsächlich gesundheitspolitisch interpretieren: Wenn sie gemeint hat, dass sie sich neben den angesprochenen Schäden der eingeführten, unzerstörbaren und unverzichtbaren Hauptsüchte Saufen/Rauchen nicht noch für weitere Baustellen öffnen will. Und das würde die Kiff-Freigabe tun, keine Frage. So bleiben halbherzige Anti-Raucher-Vorstöße, die selbstverständlich nicht die Geschäfte der Tabak-Lobby stören dürfen, über.
Das hätte man natürlich auch anders formulieren können. Ganz ohne Eiertanz. So wie etwa Oberhausers Parteikollege Voves aktuell viel gravierendere Probleme viel deutlicher akzentuiert und viel direkter formuliert. Seltenes Belegstück dafür dass es gehen würde, wenn man nur wollte.
6
Ich denke das ist ebenso nebensächlich wie die Positionierung in der Anlassfrage "Freigabe von Cannabis, Fluch oder Segen?" - über die man endlos diskutieren kann.
Die zentrale Frage dahinter ist die nach der Sucht und ihren Ursachen. Und da gilt eine recht simple Faustregel: je glücklicher und zufriedener eine Gesellschaft ist, desto weniger selbstzerstörerisch sind ihre Drogen.
Mit aller Macht gegen sämtliche Süchte kämpfen ist so, als wollte man mit aller Macht gegen das Menschsein an sich kämpfen. Die Süchte gehören zum Menschen dazu, auch genetisch (siehe etwa Bär und Honig), sie bekämpfen zu wollen hat was von Maos oder Pol Pots Umerziehungs-Lagern.
7
Es geht doch vielmehr (wie in fast allen Fragen) um das Wie, um die Qualität der Süchte und ihre Vereinbarkeit mit einem größeren Gesellschaftsvertrag. Für die politisch Verantwortlichen geht es letztlich darum das Leben (und zwar für alle) besser und so lebbar zu machen, dass das Verlangen nach Verdrängung, das Wegmachenwollen einer schiachen Wirklichkeit so gering wie möglich ist. Das verringert dann auch die Verwendung von harten Drogen jeder Art (egal ob Meth, Gabalier oder alpendonauinfo) dramatisch. Und schon verflüchtigt sich die kriegerische Kampf-Rhetorik dorthin wo sie hingehört: ins Nichts. Ins Reich der verdrucksten politischen Floskel.
PS:
Zugegeben: das österreichische Saufen würde eine solche, im Kern visionäre politische Praxis nur leise entschärfen, aber nicht umbringen können. Da hilft echt nur der Weg in die Theraphie.