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Irmi Wutscher

Gesellschaftspolitik und Gleichstellung. All Genders welcome.

7. 11. 2014 - 06:33

"Geschlossene Gesellschaft"

Was macht Reichtum mit den Menschen? Dennis Gastmann war für sein Buch als Gonzo-Journalist in elitären Zirkeln unterwegs.

0,1% Prozent der Menschen besitzen über 80 Prozent des weltweiten Finanzvermögens. Und die Schere geht ständig weiter auseinander. Um von Armut Betroffene kümmern sich gesellschaftliche Institutionen wie die Armutskonferenz: regelmäßig werden Zahlen erhoben, wie viele Menschen unter oder nahe der Armutsgrenze leben. Von reichen Menschen hingegen weiß man relativ wenig. Sie sind gut abgeschottet und bleiben unter sich in exklusiven Clubs und auf Privatinseln, zu denen man als normaler Mensch keinen Zutritt hat. Der Journalist Dennis Gastmann hat für sein Buch "Geschlossene Gesellschaft" versucht, in diese exklusiven Zirkel vorzudringen.

Wie ein Naturforscher

Das Interview mit Dennis Gastmann führte Zita Bereuter auf der Frankfurter Buchmesse.

"Du musst tatsächlich vorgehen wie Naturforscher, die sich Äste ins Haar stecken und das Gesicht mit Kot einreiben", erzählt Buchautor Dennis Gastmann. "Das heißt: rein in den Smoking und rauf auf die Galas und mit den Leuten trinken und feiern, aber auch weinen! So habe ich sie kennen gelernt, also Gonzo-Journalismus." Die journalistische Distanz habe er erst wieder am Schreibtisch, beim Schreiben des Buches eingenommen.

Yachthafen von Marbella

CC BY 2.0 Tomás Fano on flickr

CC BY 2.0 Tomás Fano on flickr. In Marbella hat Gastmann zum Beispiel mit den Reichen gefeiert.

Das Buch beginnt im Vorwort mit einer Liste, wer ihm aller abgesagt hat: Weder Niki Lauda noch Steffi Graf, weder Dietrich Mateschitz noch Flavio Briatore, weder Mark Zuckerberg noch Marissa Meyer wollten über ihren Reichtum interviewt werden. Denn die Reichen leben zurückgezogen und abgeschirmt hinter Assistenten und PR-Frauen. Und sind sie nicht gerade auf der Suche nach Anerkennung und Aufmerksamkeit, dann kann ihnen ein Interview zu ihrem Reichtum eher schaden als nützen.

In diesem Text finden sich bewusst kaum Binnen-Is. Denn Reichtum ist männlich, abgesehen von ein paar JetSet-Prinzessinnen kommen Frauen in diesem Reichtums-Bericht als PR-Wachhunde oder Hostessen bei Empfängen und Präsentationen, allerhöchstens noch als Ehefrauen vor.

Ein paar hat Dennis Gastmann dann doch noch für sein Buch getroffen - Rolf Sachs zum Beispiel, der Sohn von Gunther Sachs, oder Werner Kieser, der mit den gleichnamigen Fitnessstudios ein Vermögen gemacht hat, die Jetset-Prinzessin Bea von Auersperg oder Nachtclubkönig Rolf Eden.

Gastmann bedient sich dabei nicht nur des eingangs erwähnten Gonzo-Journalismus, sondern auch noch eines anderen Kniffs: Wenn die, um die es geht, nicht mit dir reden wollen oder nur Allgemeinplätze von sich geben, dann musst du deinen Weg zu diesen Menschen beschreiben. Gastmann erzählt deshalb in weiten Strecken des Buchs seine Reise an Orte, an denen reiche Menschen potenziell anzutreffen sind: eine Yachtmesse in Cannes, Partys auf Sylt oder Katar, wo 2022 die Fußball-WM stattfinden soll. Dabei beschreibt er das Sich-Herumschlagen mit der PR-Maschinerie, das Warten und Vertröstet-Werden in prunkvollen Vorzimmern, die PR-Vorträge oder Multimedia-Spektakel, die man als Journalist über sich ergehen lassen muss, bevor man überhaupt mit irgendjemandem sprechen darf.

Was macht Reichtum?

Was Gastmann wissen möchte: Was macht Reichtum mit den Menschen? Und wie ist ihr Verhältnis zu Geld? Gastmann stellt diese Frage Selfmade-Millionären genauso wie adeligen Erben oder Society-Glücksrittern. Und bekommt Ausweichendes zu hören. Alle Befragten betonen, sie hätten sich doch nicht geändert, wären im Alltag die gleichen geblieben. Der Schraubenfabrikant Reinhold Würth zum Beispiel sagt, er esse am liebsten Linsen mit Spätzle und Saitenwurscht, nicht diesen Haubenkoch-Firlefanz. Werner Kieser öffnet ihm die Tür in einem gestreiften Pyjama mit Loch über dem linken Arm. "Aber ganz automatisch verabschieden sich die aus unserer Gesellschaft", sagt Gastmann. "Weil sie in ganz anderen Dimensionen leben und ob sie es wollen oder nicht, ihnen werden Bodyguards verordnet, sie fristen ein Leben auf Privatinseln und Superyachten und da verliert man schon jegliches Maß."

Buchcover "Geschlossene Gesellschaft"

Rowohlt Verlag

"Geschlossene Gesellschaft" von Dennis Gastmann ist im Rowohlt Verlag erschienen.

Ein paar Gemeinsamkeiten kann Gastmann bei den Reichen ausmachen: Das ist zum einen die Langeweile, wenn alles erreicht und alles leistbar ist. Und die Akribie, die Manie, mit der sie sich ihr Imperium entweder aufgebaut haben oder es verwalten. Oben genannter Reinhold Würth hat sich zwar aus dem operativen Schraubengeschäft längst zurückgezogen, aber gibt regelmäßig in Pamphleten Parolen an seine VerkäuferInnen aus. Zum Beispiel "Morgenstund hat Gold im Mund" oder:

"Unsere Mitarbeiter/innen im Innendienst beginnen in der Zentrale selbstverständlich um 7:30 Uhr und arbeiten bis 17:15. […] Tun Sie dies genauso? Sind Sie um 7:30 beim ersten Kunden?"

Per Dienstanweisung sind Boxenstopps wie Tanken untersagt und Außendienstler, die nicht einhundert Prozent geben, haben bei ihm nichts zu suchen. So ist Würth reich geworden.

Fragen von Wert

Auch die Frage nach Wert hat Gastmann gestellt. Da gibt es zum einen die Statussymbole, zum Beispiel wenn bei der Yachtmesse die tollsten Yachten verkauft werden. Oder die Oligarchen, die sich Badarmaturen aus Gold einbauen lassen. "Aber das ist eigentlich nur Spielzeug", sagt Gastmann. Andere lassen die Binsenweisheit durchscheinen, dass Dinge wie Gesundheit oder Familie für sie Wert hätten, und dass sie sich diese Dinge mit ihrem Geld auch nicht kaufen könnten. Auch Geld per se verliert ab einer gewissen Menge offenbar seine Bedeutung. "Wert hat nicht mehr vieles. Reinhold Würth zum Beispiel wird auf 7 bis 8 Milliarden geschätzt. Er sagt 7 Milliarden 'oder so' und meint, Geld sei für ihn nur Zettel. Er gehe prinzipiell ohne Bargeld außer Haus und lasse sich immer einladen."

Die Yacht "Dubai"

CC BY-SA 3.0/Imre Solt

CC BY-SA 3.0 Nur ein Spielzeug: Mega-Yachten wie diese hier, die "Dubai".

Gastmann hat auch die Frage nach der Gerechtigkeit gestellt. Ob die Milliardäre Mitleid mit armen Menschen haben. "Keiner der von mir befragten Reichen hat abgestritten, dass die Welt ungerecht ist", sagt Gastmann. Sie hätten verschiedene Strategien damit umzugehen. Die einen würden ihr Gewissen mit Spenden erleichtern, hätten Stiftungen eingerichtet. Die anderen hätten keine solchen Einsichten: "Die kommen dann mit Darwin um die Ecke, mit Reinigungsprozessen und dem Gesetz des Stärkeren. Und jeder könne ja sein Glück machen. Und das ist natürlich falsch: da müssen wir hier in Europa gar nicht so weit gucken, selbst in Deutschland gibt es keine Chancengleichheit."

Analyse statt Seitenblicke

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Gastmann verwebt soziale Daten und Fakten kunstvoll mit dem, was ihm die Reichen gesagt oder eher nicht gesagt haben. Er konterkariert smoothe PR-Sätze mit gesellschaftlichen Realitäten. So kommt das Buch über eine Seitenblicke-Beschau hinaus und wird zu einer interessanten Analyse einer mächtigen Klasse.

Umso bewundernswerter, dass ihm seine Interviewpartner das durchgehen lassen - er hat sich, so betont er im Interview, nichts autorisieren lassen. Und so verzichtet er etwa im Kapitel über Dr. Werner Mang, den berühmtesten Schönheitschirurgen Deutschlands, darauf, überhaupt ein Interview zu führen. Denn der umtriebige Chirurg hätte auf eine Autorisierung bestanden.

Ansonsten seien die Porträtierten zufrieden, würden sich wiedererkennen, erzählt Gastmann. "Manche nennen meine Beschreibungen bösartig oder eine Anklageschrift, das finde ich überhaupt nicht! Ich habe nur versucht, ehrlich zu sagen, was ich gesehen oder empfunden habe. Und für die Leute war das in Ordnung."