Erstellt am: 1. 11. 2014 - 17:26 Uhr
"Zwei Tage, eine Nacht"
Eigentlich mag ich Marion Cotillard nicht. Es gelingt kaum, dass sie aus ihrem Image von chicer Exaltiertheit und berechnend-naiver Erotik herausbricht (bei ihr muss es ein Herausbrechen sein, weil der Ausbruch ohnehin Teil ihres Images ist). Nun aber steht fest: Marion Cotillard kann vergessen, dass sie Marion Cotillard ist. Und es gibt sogar Regisseure, die daran interessiert sind. In "Zwei Tage, eine Nacht" spielt sie Sandra, eine Hauptrolle, die jede Szene trägt, eine nicht für den Kampf geborene Heldin aus dem Arbeitermilieu, die sich gegen ihre Kündigung zur Wehr setzen muss.
Thimfilm
Sandra befindet sich in einem massiven Ungleichgewicht. Sie liegt im Bett, wirft sich Tabletten ein, heult. Ihr Arbeitgeber hat die Belegschaft darüber entscheiden lassen, ob Sandra ihren Job behalten kann oder nicht. Mit dem zynischen Zusatz, dass alle KollegInnen ihren finanziellen Bonus verlieren, wenn Sandra ihren Job behält. Kaum verwunderlich, dass die Abstimmung gegen sie ausgegangen ist. Doch eine Kollegin überredet den Chef, die Abstimmung zu wiederholen. Sandra hat ein Wochenende -zwei Tage, eine Nacht - um ihre KollegInnen zu überreden, doch für sie zu stimmen. Sie klappert alle persönlich ab.
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"Ich bin dagegen, Arbeitslose dafür schuldig zu machen, dass sie arbeitslos sind. Aber wenn jemand nicht arbeitet und daher keinen Platz in jener Gemeinschaft hat, die die Gesellschaft ernährt, dann beginnt man zu glauben, man sei nutzlos, man existiere nicht und schließlich bringt man sich um", sagt Jean-Pierre Dardenne.
Auf Basis einer wahren Begebenheit haben sich die Dardenne-Brüder ein hinterhältiges Spiel einfallen lassen, um eine Fabel über die Grausamkeit der Arbeitswelt zu erzählen. Die Idee zum Film ist schon vor zehn Jahren entstanden, doch erst mit der Finanz- und Wirtschaftskrise sei für sie auch die Dringlichkeit entstanden, die Geschichte einer Frau zu erzählen, die es normal findet, dass kaum jemand solidarisch ist und alle nur darauf bedacht sind, in die eigene Tasche zu schäffeln.
Die Krise, hier stellt sie sich als Lähmung der Gemeinschaft dar, die so etwas wie ein kollektives Ideal nicht kennt, sondern ein Haufen Gleichgeschalteter ist, in dem alle um materielle Güter kämpfen. Eine frisch geschiedene Kollegin muss sich eine Waschmaschine kaufen, eine andere sagt, wir haben gerade ein Haus gebaut und brauchen das Geld für die Terrasse. Im Hintergrund brüllt der Ehemann.
"Das ist ein bisschen so, als wäre es heute normal, nicht solidarisch zu sein, als wäre das etwas, womit man ohnehin nicht rechnen könnte", sagt Luc Dardenne. Und Jean-Pierre fügt hinzu: "Die Solidarität musste man sich immer erobern, sie hat nie einfach so existiert. Doch unsere Gesellschaft geht durch eine schwierige Zeit, in der das Gefühl der Angst weit verbreitet ist - und wenn sie nicht da ist, dann wird sie geschürt - und auch die ganz konkrete Angst vieler Menschen existiert, die nicht wissen, ob sie in einer Woche ihre Arbeit noch haben. Neben dieser Angst gibt es auch einen enormen Druck, sich zu unterscheiden, wir sind alle getrieben, anders zu sein als die anderen und miteinander in Konkurrenz zu stehen."
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Jean-Pierre und Luc Dardenne sind bekannt dafür, dass sie Schicksale von mit dem Leben und der Arbeit strauchelnden Menschen erzählen. Die Figur der Sandra steht beispielhaft für den Menschen in der modernen Welt, dessen Existenz sich in erster Linie durch Arbeit legitimiert. Doch so wenig ich daran zweifle, dass man dieses Konzept (mit seinen Depressionen und Tabletten und ständig mitgeführten Plastikwasserflaschen) hinterfragen muss, so ist mir letztlich die Didaktik der Wiederholung (die Tabletten und die Plastikwasserflaschen und ein immer wieder ähnlicher Dialogverlauf), mit der die Dardenne-Brüder hier arbeiten, zu geradlinig geschnitzt. Der Film bestätigt meine Haltung, dass Arbeit ein integrativer Bestandteil des Lebens, aber nicht das Leben selbst ist, doch weiters erzählt er nichts, was ich nicht eh schon wüsste. Und zeigt mir dazu Bilder, gegen deren realistisch fahle Tristesse ich schon ein wenig abgestumpft bin. Womit wir wieder am Anfang wären: meine persönliche Entdeckung in diesem Film ist Marion Cotillard.
Dennoch bleibt für mich "Rosetta" von 1999, die Geschichte eines Mädchens, das aus dem Wohnwagen und von ihrer alkoholkranken Mutter und von ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen weg will, auch nach "Zwei Tage, eine Nacht" das eindringlichste, härteste und nachhaltig beunruhigendste Werk der Dardenne-Brüder.