Erstellt am: 29. 10. 2014 - 12:02 Uhr
Scheitern als Chance
FM4 Radio Session
Das Konzert mit den Goldenen Zitronen vom 28. Oktober im Wiener RadioKulturhaus.
Einen Mitschnitt der FM4 Radio Session gibt es am Montag, 10. November, ab 19 Uhr in der FM4 Homebase zu hören. Zeitgleich geht auch der Videostream des Konzerts auf fm4.ORF.at online.
Es juckt. Man sieht es dem Publikum an, das da in den Fauteuils des RadioKulturhauses lümmelt: es juckt, in den Füßen und im Hintern, und es sind natürlich keine Wanzen im äußerst gepflegten und alt-ehrwürdigen großen Sendesaal. Es ist der Rhythmus, und irgendwann halten es ein paar tatsächlich nicht mehr aus und auch Schorsch Kamerun wirft sich ins Publikum, naja, er steigt zumindest auf die Sitze und am Schluss verteilt er die Schlaginstrumente unter den Tanzenden, es fliegt ein Schuh und es zerbricht tatsächlich eine Bierflasche. Punkrock?
Christian Stipkovits | FM4
Dabei hatte alles so zivilisiert angefangen. "So schön hätte es sein können", problematisierte Kamerun die Situation, als Gastsängerin Eva Jantschitsch aka Gustav nach dem ersten Song die Bühne verlassen hatte. Da hatte sich die Band noch vorgenommen, all ihre musikalische Routine in die Qualität der Aufnahme zu stecken, fehlerfrei durch das Set zu kommen, dem Radiopublikum eine hoch konzentrierte Sendung zu präsentieren. Auf die feine Selbstironie wollte Kamerun dafür natürlich nicht verzichten. Ach, es hätte so schön sein können. Es wurde ein denkwürdiger Abend.
Und das, obwohl die Band anfangs offensichtlich etwas irritiert war von der Situation. Irritation, die viele Musiker im RadioKulturhaus befällt, die ekstatische Crowds und viel Bewegung im Publikum gewöhnt sind. Hier, im großen Sendesaal, ist das anders: während der Songs - andächtiges Lauschen. Nach den Songs - ekstatischer Applaus. Doch wenn eins bei einem Goldenen Zitronen-Konzert schwierig ist, dann ist es andächtiges Lauschen. Stattdessen, vom ersten Song an, dieses Jucken im Hintern und in den Füßen.
Dreißig Jahre Goldene Zitronen
Theatralische Elemente der Selbstinzenierung gehören bereits seit Beginn ihrer Bandgeschichte vor dreißig Jahren zu den Goldenen Zitronen. In den Funpunk-Zeiten Mitte der Achtziger Jahre, als die Goldenen Zitronen noch in einem Atemzug mit den Ärzten und den Toten Hosen genannt wurden, setzten sie derart exzessiv Cowboy-, Scheich- und andere Faschingskostüme ein, dass die Stachelhaare und Nietenlederjacken der aufgebrezelten Punks rundherum auch nur wie eine Verkleidung wirkten.
Als Anfang der Neunziger auch die politisierte Musikszene unter der Parole Move Your Ass And Your Mind Will Follow im Nachtleben entschwand, setzten die Goldies wieder ein Statement gegen den Trend und brachten mit 80 Millionen Hooligans und Das bisschen Totschlag den Zynismus des im Wiedervereingungstaumel nach rechts driftenden politischen Mainstreams auf den Punkt. Nicht ohne auch hier ein musikalisches Statement zu setzen und die Punkrock-Ästhetik mit HipHop und Elektronik aufzubrechen.
Die Ästhetisierung des Widerstands
Von Anfang an arbeiten die Goldenen Zitronen also an der Ästhetik des Widerstands, und inzwischen sind sie quasi zwei Bands in einem. Sie sind die Agit Prop Goldies, die Texte zur Lage hinausschicken, doch weil ihnen das alleine zu öd wäre, ruhen diese Texte auf der Arbeit der "anderen" Goldies, auf dem, was sie als musikalisches Kollektiv an treibenden Beats und ausgefeilten Arrangements hervorzaubern. Und dafür ist die unglaubliche Akustik im großen Sendesaal mit seinen holzvertäfelten Wänden, mit dem schwingenden Parkett und den Lederfauteuils geradezu perfekt. Trotz sitzendem Publikum, trotz Radio-Aufnahme-Technik und an jeder Ecke postierten Kameras.
Christian Stipkovits | FM4
Die Goldenen Zitronen hatten sich also viel vorgenommen, und es war ein großes Vergnügen, ihnen beim Scheitern zuzusehen, beim Scheitern daran, ein der Steifheit des Ambientes entsprechend schaumgebremstes Set abzuliefern. Dazu ist Schorsch Kamerun einfach zu sehr Rampensau. Dazu lässt sich die Band einfach zu sehr von der eigenen Rhythmik treiben. Dazu schwingt der Saal einfach zu sehr. Und irgendwann wars dann auch egal, das imaginierte Radiopublikum, die perfekte Aufnahme "in CD-Qualität" (O-Ton Kamerun), und es wurde ein Zitronen-Konzert-Klassiker mit allem was dazugehört. Inklusive einem begeisterten Publikum, das die Band auch noch ein drittes Mal auf die Bühne zurück holen wollte, als die stilvolle Saalbeleuchtung schon an war.
FM4 Radio Session mit den Goldenen Zitronen
Einen Mitschnitt des Konzerts gibt es am Montag, den 10. November, ab 19 Uhr in der FM4 Homebase zu hören. Zeitgleich geht auch der Videostream der FM4 Radio Session für 7 Tage auf fm4.ORF.at online.