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Sophie Strohmeier Philadelphia

Film, Film, Film

28. 10. 2014 - 11:55

Vlog #3: Gebirgsschlangen und andere Landschaften

Ein Liebesbrief an Clouds of Sils Maria; danach ein paar kleine Enttäuschungen.

Vlog

Sophie Strohmeiers
Viennaletagebuch

Tatsächlich ein bisschen vorhersehbar: "Clouds of Sils Maria von Olivier Assayas" haut mich komplett um. Es mag schon überflüssig sein, den Film bei der Viennale zu sehen - immerhin läuft er bereits im Dezember in Österreich an - ich wollte aber nicht länger warten. Es ist ja schön, auf einen guten Film hinzufiebern. Noch schöner und seltener ist es, wenn der Film dann um so viel besser ist, als erwartet. Und das bei einem Film aus dem heurigen Jahr! Gute Gelegenheit, sich Olivier Assayas zu widmen und Hoffnung zu schöpfen.

Filmstill Clouds of Sils Maria

Viennale

Juliette Binoche und Kristen Stewart auf Wolkenjagd

Oh berühmte und geliebte Mise en abyme

Filme über das Filmemachen, über die Filmindustrie; es ist logisch, dass Kinogeher wie Kinomacher - Kreaturen der Moderne eigentlich - eine Schwäche dafür haben. Und Hollywood selbst ist unser Urbrei, unser Babylon, unser Olymp: Götter wurden durch Sterne ersetzt, Sagen durch Skandale.

Heuer gab es gleich zwei große filmische Gebilde dieser Art, Ungeheuer aus Sterngestirnen und Wolken: David Cronenbergs "Maps to the Stars" und Assayas’ "Clouds of Sils Maria". Beide Filme stehen einander wie Spiegelbilder gegenüber, bilden, finde ich, eine seltsame Einheit: schon allein die Tatsache, dass Robert Pattinson bei Cronenberg mitspielt und Kristen Stewart bei Assayas, ehemaliges Hollywoodpaar sowohl "in the real world" als auch in "Twilight", suggeriert die Vereinigung eines (nun unfreiwillig mythischen) Liebespaares. In beiden Filmen dominieren Landschaften: in "Maps" der albtraumhafte Urban Sprawl von Los Angeles, in "Clouds" die Schweizer Alpen. In beiden Filmen geht es zentral um die Annäherung einer Schauspielerin an eine ungeliebte Rolle sowie die Beziehung dieser Schauspielerin zu ihrer Assistentin.

Zwei Frauen, Ursymbol

Es ist ein beliebtes, fast unbewusstes Motiv der Filmgeschichte: zwei Frauen, eine älter und eine jünger (oder auch: eine blond und eine brünett), in einem Machtverhältnis, in dem sich die Grenzen des Individuums, des wortwörtlich Unspaltbaren auflösen. Eine "Männerphantasie" sagen da einige; auch Juliette Binoches Figur in "Clouds of Sils Maria" schiebt diese leichtfertige Floskel. Es ist aber viel mehr als das: als einer der vielen Aspekte des komplizierten Doppelgängermotivs ist dieses Bild ein symbolischer Teil von uns allen und wird hauptsächlich von der Filmgeschichte aufgearbeitet.

Eine erotische Komponente muss diese Teilung, Verdoppelung und Synthese nicht immer beinhalten. In "Persona" (1966) von Ingmar Bergman geht es z.B. um einen Machtaustausch im Gespräch - die Eine spricht und gibt sich auf, die Andere schweigt und dominiert. Das Motiv findet man aber auch bei Claude Chabrol ("Les Biches", 1968), Ida Lupino ("The Stand-In", 1956), Billy Wilder ("Fedora", 1978). Der non-plus-ultra Film dieser Art ist natürlich "Mulholland Dr." (2001) von David Lynch.

Filmstill Persona

Criterion

"Persona"

Ein solches Motiv beherrscht das pulp-ige fiktive Theaterstück, das Filmstar Maria Enders (Juliette Binoche) in "Clouds of Sils Maria" einstudiert: "Maloja Snake", über die Verführung einer Frau durch eine andere, jüngere. Vor vielen Jahren erlebte Maria Enders als 18-Jährige mit der Rolle der jüngeren Frau den Durchbruch. Nun soll sie die ältere Frau spielen. Maria Enders’ gewissenhafte Assistentin Val (Kristen Stewart) hilft ihr, den Text auswendig zu lernen. Grenzen zwischen dem Realen, dem Biographischen und der Gegenwart lösen sich auf. Assayas widmet sich in seinem Film dem Phoniness der gegenwärtigen Kulturindustrie. Banale Ansichten (wie z.B., dass es sich in der Unterhaltungsbranche um einen Jahrmarkt der Eitelkeiten handelt) lässt er aus und zeigt subtil und scharfsinnig auf, was für Oberflächlichkeiten und gefinkelten, peinlichen Maschinerien die heutige "Arthaus"-Industrie (das Haneke-Kino) verweilt. Sehr leicht könnte man den Film missverstehen, so subtil aber doch unerschütterlich sind diese Andeutungen.

Eine ephemere Qualität erhält der Film dann dennoch aus seinem Stoff selbst: obwohl satyrisch ist der Film nicht bitter; er schildert das Verfliegen der Zeit, genauso monumental wie der Anblick von Naturgewalten. Die Wolken von Sils Maria, die sich zu einer Schlange formieren, sind wie ein weiteres Bild für die Kinoleinwand und unsere Träume: flüchtig, gestaltenwandelnd. Vorboten des Unwetters, heißt es im Film - genau so ist der Film selbst aufgeladen von einem Gefühl des wachsenden Unheils, das dann aber nicht schrecklicher und nicht weniger schrecklich ist, als die Natur selbst.

4 Femmes

Nicht nur zwei großartige Frauen sind in diesem Film vereint, es sind gleich vier: Angela Winkler, Juliette Binoche, Kristen Stewart und Chloë Grace Moretz stehen in einer interessant-überkreuzten Konstellation. Jede Frau verkörpert eine Kinogeneration, eine andere Herangehensweise. Jede Frau blickt auf die andere, beobachtet sie, fasst sie zusammen. Wie oft gibt es im Kino schon so ein Treffen?

Filmstill Clouds of Sils Maria

Viennale

Angela Winkler, Kristen Stewart, Juliette Binoche beim Filmschauen

Ein weiterer überraschender Beitrag zu der unerschütterlichen Struktur des Films ist Kristen Stewarts subtiles und zuversichtliches Spiel als die jüngere Frau. Kristen "KStew" Stewarts Figur Val ist Juliette Binoches verkörperte Aktion: ständig am Telefon, am Organisieren und Einfädeln, erinnert sie ein bisschen an die Übersetzerin aus Godards Le Mépris. Natürlich trägt sie eine Brille - nicht nur zum Beobachten und Kommentieren ihrer Arbeitgeberin, sondern auch, um als deren Augen zu fungieren. Mit ihrer Jugend soll sie - als selbstrollendes Rad - ein Gegenbild zu Binoche sein, die zu sehr in ihren eigenen Vorstellungen von sich selbst versteinert ist. Besonders schön ist aber, dass diese Figur in positiver Form dargestellt wird: die jüngere Frau als die Weise, als Schutzengel und zugleich als Subversion der Älteren.

Kristen Stewart in Clouds of Sils Maria

Viennale

Die Weisheit trägt Popkultur T-Shirts: Kristen Stewart

Oder steht Kristen Stewart vielleicht ein kleines bisschen für Assayas selbst? Bei einem Gespräch zwischen Maria Enders und Val nach der Sichtung eines Science-Fiction-Films ergreift Val charmant Partei für den Film. Maria Enders wird nun zur Anwältin des "Ja eh-Films", Val zur Anwältin des Genre-Films. Dabei ist der dargestellte Genre-Film leider keiner, den es wirklich geben würde (er ist schlichtweg viel zu bunt, erotisch promiskuös, lustvoll, "inkorrekt") - außer vielleicht in einem Film von Olivier Assayas.
Ich liebe diesen Moment in diesem Film! Er ist so schön, so leicht erzählt; das Gespräch danach erinnert mich an meine ewigen Filmstreitereien mit meiner Mutter. Und das ist die Magie von Assayas: er beflügelt den Zuseher, inspiriert mit solcher Leichtigkeit und großzügigem Einfallsreichtum. Wenn man aus einem Assayas-Film kommt, möchte man selbst am liebsten gleich losziehen und ideenreich an die Arbeit gehen.

Gib acht auf Mädchen mit langen Zähnen

Filmstill A Girl Walks Home Alone At Night

Viennale

Das gefährliche Mädchen in A Girl Walks Home Alone At Night

Nach "Clouds of Sils Maria" gilt meine größte Vorfreude dem Film mit dem fantastischen Titel "A Girl Walks Home Alone At Night" von der iranischen Regisseurin und Drehbuchautorin Ana Lily Amirpour, die auch Autorin eines Comic-Buchs mit demselben Titel ist. Überhaupt ist mir diese Ana Lily Amirpour sympathisch: laut ihrer Website mag sie am liebsten "Bruce Lee, David Lynch, and dancing". Die Vampirin ihres Films fährt auch noch Skateboard. Und über das aufgeladene Bild von Vampirmädchen in Burka muss ich nichts mehr sagen. Leider war’s das aber auch schon. Im Film spielt noch ein junger Mann mit, ein iranischer James Dean mit einer Katze wie aus "The Long Good-Bye". Dazwischen passieren noch andere Dinge, die unlogisch verknüpft sind, aber nicht auf die gute Art; eher so, als hätte sich da jemand nicht die Mühe gemacht, schöne Bilder zu einer guten Narration zu verbinden. Der Film endet spät in der Nacht, die Besucher sind lauter hübsche junge Menschen. Ich aber krieg Bauchweh und eile heim in die Dunkelheit.

Ein paar Stunden zuvor bin ich im Film "Little Accidents" von Sara Colangelo gesessen - ein derart kunstiger Sozialkitsch, eine richtige "sob story"; ich ärgere mich noch immer. Schon langsam freue ich mich auf mein eigenes Programm nach der Viennale: hoffentlich viel Mario Bava und American Horror Story.

Wenn wir ständig an das Kino denken, denkt das Kino jemals an uns?

Still aus Maloja

Viennale

Maloja von Arnold Fanck

FM4 goes Viennale

Drei Stunden lang befasst sich die FM4 Homebase am Mittwoch, den 29. Oktober ab 19 Uhr mit Indiekomödien und der Bedeutung von 16mm in Dokumentationen. Außerdem: Interviews mit dem Independent-Regisseur Joel Potrykus und dem Filmhistoriker Haden Guest, ein Porträt des Filmemachers Peter Strickland und eine Annäherung an Nick Cave im Film.

Trotzdem noch schön: Der heutige Essayfilm "Von Caligari bis Hitler", über die Filme der Weimarer Republik. Volker Schlöndorff, Fatih Akin und Elisabeth Bronfen geben Kommentare ab. Anschauen tu ich mir den, weil ich Scorseses stundenlange Filme über das italienische und das amerikanische Kino liebe - ich erhoffe mir von diesem Film so etwas Ähnliches und bekomme es auch. Das tut gut. Die flüchtigen Anmerkungen Siegfried Kracauers, dem Populärkultur-Interessierte alles zu verdanken haben, tun auch gut. Hier lässt sich auch wieder ein sehr schöner Bogen spannen zu "Clouds of Sils Maria": Ausschnitte werden gezeigt von den Bergfilmen, wie der in Clouds of Sils Maria gezeigte Film von Arnold Fanck, der das Naturphänomen der Maloja Schlange einfängt.

Dienstag früh schaue ich mir völlig hedonistisch Clouds of Sils Maria beim Frühstücksfilm gleich noch mal an, Gottseidank kommt er bald darauf ins Kino. Ich werde ihn mir noch ein paar Mal ansehen. Demnächst aber auch: 52 Days, Buzzard, Kuime, Deo Te-reo La-i-beu, und, falls ich noch Karten krieg, Birdman!