Erstellt am: 28. 10. 2014 - 10:27 Uhr
Ich werde beobachtet, also bin ich
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"Ich hab ja nichts zu verheimlichen." Ein Satz mit dem man DatenschützerInnen richtig ärgern kann. Die warnen natürlich vor der Gefahr von solchen Argumenten. Das führe uns direkt in die Überwachungsgesellschaft!
Privatsphäre als Ausnahme
Doch es gibt auch immer mehr Menschen, die den Abgang der Privatsphäre mit großer Freude verkünden und sich nicht vor der Überwachung fürchten, sondern auf die neuen Freiheiten hoffen, die nach der Auflösung der Privatsphäre kommen sollen.
Radio FM4
Tipp
Prima Leben ohne Privatsphäre - Maria Motter über Christian Hellers Buch, das 2011 erschienen ist.
Einer von ihnen ist Christian Heller, der mit seinem Buch "Post-Privacy. Prima leben ohne Privatsphäre" für Aufregung sorgte. Er protokolliert seinen persönlichen Alltag ganz öffentlich im Internet.
Trotz aller Empörung ist die Gier nach dem öffentlichen Blick längst Normalität. Millionen UserInnen konkurrieren auf Facebook, Twitter und Instagram um die Aufmerksamkeit anderer. Für viele scheint das Gegenteil das eigentliche Horrorszenario zu sein. Was, wenn ich zu uninteressant bin und nicht wahrgenommen werde?
Im Internet ist Anonymität nicht mehr der Normalfall, sondern eine Ausnahme. Der private Modus von Firefox wird z.B. mit einer Ballmaske in der Statusleiste erkenntlich gemacht. Bei Chrome ist es ein altmodischer Detektiv mit Hut, Sonnenbrille und Trenchcoat, der zum Symbol für den "Inkognito-Modus" wird. Hier findet schon eine Umkehrung des "Privaten" statt. War es früher so, dass Menschen im Privaten den Schutz vor dem Blick der Öffentlichkeit suchten, scheint heute zunehmend der "private" Internetuser ein Voyeur zu sein, der hinter einer Maske versteckt das Geschehen im Netz beobachtet.
Was passiert mit der Öffentlichkeit?
Im technischen Bereich ist also Post Privacy, wie auch Heller betont, nicht ein abstraktes Konzept, sondern die Realität. Es ist die Gesellschaft, die nicht zum ersten Mal einer technologischen Entwicklung hinterher hinkt. Was passiert aber, wenn dieser Gap geschlossen wird? Dann ist es aus mit der Privatsphäre, aber auch mit der Öffentlichkeit, behauptet der koreanisch-deutscher Philosoph Byung-Chul Han. Für ihn verwandeln sich die Menschen im Netz immer mehr in digitale Hikikomoris, also Menschen, die kaum noch ihre Wohnung verlassen und, "die keine Öffentlichkeit bilden und die sich an keinem öffentlichen Diskurs beteiligen."
Laut Han lösen sich das Private und die Öffentlichkeit in einem digitalen Panoptikon, einem perfekt überwachten Gefängnis, auf. Alle würden hier freiwillig sitzen und jeder ist mit jedem vernetzt. Diese Hyperkommunikation, die mithilfe von Datenauswertern verarbeitet wird, macht die totale Kontrolle möglich. Den Post Privacy-Verteidiger wie Heller hingegen macht dieses neue Panoptikon keine Angst. Sie nennen das Transparenz. Schließlich werden hier auch die Überwacher überwacht. Oder nicht?
CC BY 2.0, flickr.ocm, User: ilifeinicity
Unverträgliche Wahrheiten
Die Idee einer möglichst transparenten Gesellschaft klingt verlockend. Endlich wissen, wie unsere Steuergelder eingesetzt werden und was alles noch als "Staatsgeheimnis" vor der Öffentlichkeit verborgen bleibt. Doch hier ist auch die größte Schwäche der Post Privacy-Welt. Die Privatsphäre wird mithilfe der technologischen Fortschritte überwunden, aber wie geht es weiter? Denn der freie Zugang auf alle Daten bringt zunächst mal nichts außer Verwirrung. Damit jeder sich in der ungeheuren Datenmenge zurechtfinden kann, bräuchten alle Datenverwerter, mit denen sie die unwichtigen Informationen filtern können.
Und selbst, wenn alle die technischen Mittel dazu hätten, stellt sich die Frage, wie aus diesen individuell gewonnenen Daten die relevanten Themen für die Gesellschaft ausgewählt werden und eine gemeinsame Politik entsteht.
Post Privacy mag bald nicht nur technische, sondern auch gesellschaftliche Realität sein. Diese Ansicht teilen sowohl optimistische Futuristen, als auch Kulturpessismisten. Wer kann aber garantieren, dass so eine Zukunft viel besser oder viel schlechter ist als das Leben mit der Privatsphäre? Vielleicht werden aber ja in Zukunft auch solche Fragen mithilfe von Daten beantwortet.
FM4 Auf Laut - Hast du noch eine Privatsphäre? Und wozu?
Um die Gegenwart und Zukunft der Privatsphäre geht es in der neuen Folge von FM4 Auf Laut. Ist die Idee der Privatsphäre überholt, wie einige Protagonisten der "Post-Privacy-Spackeria" vorgeschlagen haben? Welche Möglichkeiten gibt es, Kontrolle über den eigenen Datenkörper zurückzuerlangen? Wie geht informationelle Selbstbestimmung?
Dazu diskutieren in FM4 Auf Laut die Nationalratsabgeordnete Sigrid Maurer und der Medienkunstguru und Post-Privacy-Spacko Johannes Grenzfurthner. Und Lukas Tagwerker wird die Sendung moderieren.
FM4 Auf Laut, am Dienstag, den 28. Oktober ab 21 Uhr.
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