Erstellt am: 25. 10. 2014 - 14:21 Uhr
"Question everything"
Elevate 2014
Das Festival für Musik, Kunst & politischen Diskurs
23.-26. Oktober 2014, Graz
Alles dazu auch auf fm4.orf.at/elevate2014 und 2014.elevate.at.
Schon das "Uhmm" von Ursula Rucker hat einen super Klang und tut gut. Beim Elevate-Festival in Graz wird tagsüber der Diskurs vorangetrieben, und zwar zu Alternativen zu gängigen Systemen. Am Podium wechseln AktivistInnen, ForscherInnen und gestern am frühen Abend dann auch MusikerInnen im eineinhalb Stundentakt. Das zehnte Elevate Festival blickt mit seinen Gästen zurück, um den Status Quo der Entwicklungen zu erfassen. Vorweg ist klar: Die Begriffe werden nicht kleiner. Commons, die sozial-ökologische Transformation, die Nutzung des Internets und schließlich kreative Antworten auf gesellschaftliche und politische Zustände stehen am Plan.
Ursula Rucker ist heute Samstag um 22.30 beim Elevate live zu sehen
Wie die US-amerikanische Schrifstellerin und Spoken Word-Performerin Ursula Rucker frei zu den Protesten gegen Polizeigewalt in Ferguson assoziiert, will man gestern Abend nicht verpasst haben. Es bräuchte weit mehr Reaktionen, positive Reaktionen auf die Gewalt in Ferguson, die Rucker als Schablone dafür nimmt, wie weit man es treiben könne. Rucker ist Mutter zweier Söhne. "They teached me to worry. I'm a worrier". Und wie sie das ausspricht, klingt es wie "warrior". Und dann zieht Rucker die Linie, die als "school-to-prison-pipeline" mittlerweile untersucht wird: Den Umstand, dass black kids in den USA bereits in Vorschulen härter maßgeregelt werden als white kids. "You don't follow me, do you?", sagt Rucker, denn dieser Verweis macht nochmal ein mega Thema auf. Und mega sind alle Themen des Elevate-Diskursprogramms. Bloß spielten nur die Gäste des "Creative Response"-Talks einander und dem Publikum Rap-Videos vor.
Radio FM4
Commons
Achtzig BesucherInnen füllen schon zu Mittag den Raum im Forum Stadtpark, das tagsüber als Festivalzentrum dient. Dinge, die niemandem alleine gehören, gemeinsam zu nutzen, zu pflegen und zu schaffen ist das Anliegen jener, die "Commons" propagieren. Gerade sind die AnhängerInnen von "Commons" allerdings an einem kritischen Punkt angelangt: Als Commoner kann ich nicht leben von all meinem Commons-Machen, stellt der Belgier Michel Bauwens klar. Zudem kehrt sich das eigentliche Anliegen etwa durch Crowdworking ins Gegenteil, wenn über Online-Plattformen Aufgaben von Unternehmen an HeimarbeiterInnen an PCs ausgelagert werden. Vor Kurzem forderte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), dass auch beim Crowdworking ArbeitnehmerInnenrechte gelten müssten.
Michel Bauwens beschäftigt sich seit einigen Jahren mit Peer-to-Peer-Alternativen und schlägt Krypto-Währungen und Kooperativen vor, um den Kreislauf von Commons aufrecht zu erhalten. Man müsse sich vom Anti-Kapitalismus verabschieden und zu neuen Staats- und Eigentumsformen von etwas total Neuem finden. Konkret versucht Bauwens das in Ecuador mit "open education" und "open knowledge" im Projekt "FLOKSociety".
In Island anrufen
Der erste Skype-Anruf beim Elevate 2014 geht an die sympathische Isländerin Birgitta Jónsdóttir. Via Webcam ist man in ihrem Wohnzimmer zu Gast, sie dreht erst mal ihre Musik ab und erzählt, dass sie Edward Snowdens Anwalt in New York besucht hat, die isländische Regierung die schlimmste aller Zeiten wäre und sie sich derzeit mit Urheberrechten befasse. Bekannt wurde Birgitta Jónsdóttir durch ihre Mitarbeit an der Aufbereitung des "Collateral Murder"-Videos von Wikileaks, sie ist Mitglied des isländischen Parlaments für die Piratenpartei. Für Details zu Islands Wirtschaft bleibt keine Zeit.
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Für den Talk "Elevate Democracy" spricht Elevate-Denkerin Brigitte Kratzwald mit dem Grazer Historiker Leo Kühberger und der deutschen Ökonomin Friederike Habermann. In Portugal ging ein Viertel der Bevölkerung auf die Straße und es würde im Fernsehen nicht berichtet. Das deutsche Handelsblatt title "Krise 2.0" diese Woche. "Es gibt das Wirtschaftswachstum nicht. Und selbst wenn es das gäbe: Es würden die Ressourcen fehlen", so Habermann. Von der Occupy-Bewegung über Griechenland bis zu dem Kampf um Kobane werden verbale Schlaglichter geworfen. Dass einem im globalen Nachrichtenstrudel schon mal entfällt, dass ein Staatspräsident diese Position gar nicht mehr innehält, weil er verstorben ist, ist absolut verständlich.
Ernährungssouveränität ums Eck
Geradezu entzückt ist man daraufhin und erneut von Ulli Klein und ihrer "Kleinen Farm". Im mega Themenblock "Elevate Socio-ecological Transformation" tut Kleins Bericht von ihrem Biobauernhof gut, der als gemeinschaftsgetragener Betrieb geführt wird. Denn die sozial-ökologische Krise beschreibt der deutsche Professor für internationale Politik Ulrich Brand zuvor als "Zerstörung globaler Ökosysteme und dass der neoliberale Kapitalismus andere Systeme zerstöre". Er hat jedoch auch Positives zu berichten: Europas Flüsse sind sauberer denn je. Und auch der Democracy Now!-Bericht vom "People Climate March" in New York im September 2014 bereitet Minuten der Begeisterung für das Anliegen. Was kann man tatsächlich gegen Klimaerwärmung tun? "Go vegan!" erklärt eine Amerikanerin kurz.
Die Berliner Klima- und Energieaktivistin Mona Bricke hat ihre persönliche Konsequenz gezogen und wohnt seit zwei Jahren in einem Bauwagen in einer Kommune. Brandenburg könne sich zu einhundert Prozent durch erneuerbare Energie versorgen, wolle sich jedoch nicht von Kohlekraftwerken verabschieden, berichtet Bricke. Jetzt würde Fracking von der Gasindustrie als Alternative zur Kohle dargestellt. Bloß was ist Fracking?, fragt sich mancher im Publikum.
Radio FM4
Das "trojanische Pferd" TTIP
Was das TTIP ist, muss man indes nicht mehr erklären. Die La-Via-Campesina-Aktivistin Ulli Salzer bezeichnet das umstrittene Freihandelsabkommen als "trojanisches Pferd" und fordert die Elevate-BesucherInnen bewusst polemisch auf: "Betätigen Sie sich als Handlungshemmnisse!" Die nunmehr selbstorganisierte Bürgerinitiative liegt im Forum Stadtpark auf und wird in der Pause vielfach unterschrieben.
Radio FM4
Im Salon des Forum Stadtpark treffe ich Elf Pavlik, der all das, worum es beim Elevate geht, tatsächlich lebt. Wie man ohne Pass unterwegs ist, was er den Sommer über in der eindrucksvollen italienischen Stadt Matera gemacht hat und dass er diesmal beim Elevate wirklich Gast sein und was mitkriegen will - man sollte die Gelegenheit nützen und mit ihm plaudern. Elf bin ich diesen Sommer buchstäblich über den Weg gelaufen in Matera. Der Zufall ist ein guter Freund und kaum etwas ist erhellender, als sich mit jemandem zu unterhalten, dessen Lebensstil einem selbst viel zu mühsam wäre und dem man erst mal kritisch gegenübersteht.
Die Alternative wäre da, aber wir sind nicht bereit
Wenig Neues erfährt man bei der Podiumsrunde "Elevate Media & Technology". Dafür spricht Micah Lee Klartext: Die Verschlüsselungssoftware PGP sei noch immer kompliziert, aber alternative Messenger Services seien mehr und mehr im Kommen. Aber obwohl man nicht programmieren müsse, sondern nur eine App herunterladen, sei es schwer, Menschen von diesen Alternativen zu überzeugen. Miriam Rasch, niederländische Dozentin für Philosophie und Medien, weiß, wovon sie ernüchtert spricht. Wenn sie ihre Studierenden fragt, warum es nicht klug ist, Facebook, Gmail, Google Maps zu benützen und über Google sich zu Geschlechterthemen und Krankheiten schlau zu machen, bekäme sie keine Antwort. Elevate-Mitorganisator Daniel Erlacher fügt hinzu: Beim Herunterladen einer App habe man die Wahl zwischen Apple und Google. Letztgenanntes Unternehmen bewegt sich nicht mehr "bloß" im digitalen Raum.
Jakob Isselstein
"Say something, do something!"
Der Krux mit den sozialen Medien kommen auch die MusikerInnen am Podium zu "Creative Response" nicht aus. Direkter Zugang zu Fans versus wer zahlt das nächste Album, das ohnehin selten noch als Vinyl erscheint. Wobei Vinyl? Wäre doch auch aus fossilen Brennstoffen gemacht, wirft Daniel Erlacher ein. Unausgesprochen die Tatsache, dass kaum ein Musiker noch die Wahl zwischen Bezahlung durch ein Label und Selbständigkeit habe. Social Media ist nur ein Werkzeug, erinnert Regisseur Antonio D'ambrosio. Etwas zu sagen zu haben, eine Vision zu haben - darauf komme es an. "Real participation demands to be here and present", findet D'ambrosio. Und Ursula Rucker geht d'accord: "It's the real shit if you show your face and are here. Don't just type me a message. Come and see me." Und die gebürtige Russin Ksenia Ermoshina, die Philosophie studierte, laut eigenen Angaben Musik macht und sich an den Protesten gegen Putin beteiligte, ermuntert: "Question everything". Auch das Elevate solle sich weiterhin hinterfragen.
Hier findet sich der Livestream des Elevate Festivals
Der freiwillige Frontalunterricht in Form von Podiumsdiskussionen mag für einen ganzen Tag ermüdend sein, wenn man sich jeden Talk reinzieht. Doch informativ und ergiebiger als so manche "offene Runde" in Vorjahren ist es definitv. Und als BesucherIn kann man sich vor Ort, aber auch via Internet zu Wort melden mit Fragen.