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Todor Ovtcharov

Der Low-Life Experte

22. 10. 2014 - 14:27

Leben wie die Gangster

Mit 180 Stundenkilometern auf der Autobahn.

Mit Akzent

Die unaussprechliche Welt des Todor Ovtcharovs. Jeden Mittwoch in FM4 Connected (15-19h) und als Podcast.

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"Jetzt werde ich den wegpusten, Oida!" Alper gibt Gas und ich werde in den Autositz gedrückt. Sein BMW düst mit voller Kraft auf der Autobahn, die Geschwindigkeit erreicht 180 km/h.

Ich weiß nicht, ob es an der Beschleunigung liegt oder an der Rapmusik, die auf maximale Lautstärke aufgedreht ist, aber die kleine, silberne Talisman-Felge, die am Rückspiegel hängt, wackelt wie verrückt. Ich schließe die Augen. Ich habe nie geglaubt, dass meine letzte Stunde an einem Herbsttag auf der Autobahn zwischen Wiener Neustadt und Wien kommen wird, während ein wütender deutscher Rapper orientalischer Herkunft etwas über Fitnessstudios, Bizepsgröße und Drogenhandel reimt. Ich erwache aus meinem Weggetretensein vom fröhlichen Lachen von Andrea auf dem Rücksitz. "Du hast ihn aber echt weggeblasen, Oida! Das nenne ich Vollgas!"

Autobahn, Rush Hour

CC BY 2.0 Dirk Vorderstraße on flickr

CC BY 2.0 Dirk Vorderstraße on flickr

Ich fahre gerade mit Alper und Andrea von einem Arbeitseinsatz bei einem Fußballspiel aus der österreichischen Bundesliga zurück. Wiener Neustadt gegen Sturm Graz. Es endete null zu null. Aber jetzt auf der Autobahn können wir unser Leben verlieren.

Alper ist 22 und Andrea ist 20. Sie kommen aus unterschiedlichen Wiener Vorstädten: Alper ist aus Bruck an der Leitha, südöstlich der Stadt, Andrea aus Deutsch-Wagram nordöstlich von Wien. Alper ist meistens in Bruck und im elften Bezirk unterwegs, während das Revier von Andrea diametral entgegengesetzt liegt - im einundzwanzigsten. Sie hassen das Stadtzentrum und sind nie dort. Außer, wenn sie keine andere Wahl haben. Alper ist türkischer Herkunft, geboren in Österreich und spricht perfekt Wienerisch, Andrea ist eine "waschechte" Österreicherin, wie sie voller Stolz betont.

"Und, wieviel PS hat dein Auto?", fragt Alper. "Siebzig", sagt Andrea nicht ohne Stolz. "Meins hat 150 und verbraucht ganze 17 Liter pro 100 Kilometer!", überbietet Alper sie. "Außerdem habe ich eine so starke Anlage, dass du vibrierst, wenn sie an ist! In den Vordersitzen habe ich DVD-Player installiert, falls mir langweilig ist." Andrea beißt sich vor Neid auf die Lippen.

Mir fällt eine Szene aus "Be cool" mit John Travolta ein. Da kommen die Gangster in riesigen Hummer. Der Filmheld will ein Gespräch anfangen und sagt, das Auto verbrauche sicherlich 25 Liter auf 100 Kilometer. "Nein, 35!", erwidert ein Gangster stolz. Ich bin in einem Gangsterfilm. Der Film mit John Travolta war eigentlich eine Komödie. Auf der Autobahn mit Alper und Andrea stecke ich aber in einem Sozialdrama. Diese jungen Leute wollen stark und schön sein wie Gangster. Ich habe geglaubt, so etwas gibt es nur in Osteuropa. Fahr mit 200 auf der Autobahn! Das Gesetz ist für die Schwachen! Lebe schnell! Die deutschen Gangsterrapper reimen weiter über das Leben im Ghetto und wie nur die Starken überleben. Ich frage mich, ob ich zuerst taub oder an der nächsten Kurve sterben werde. Ich will schreien, aber die Musik ist so laut, dass mich niemand hören wird.

Kurz vor Wien steht unser Auto im Stau. Ich habe mich noch nie so gefreut, im Stau zu stecken.