Erstellt am: 21. 10. 2014 - 20:02 Uhr
The daily Blumenau. Tuesday Edition, 21-10-14.
The daily blumenau hat Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst.
Und bietet Items aus diesen Themenfeldern.
Im Übrigen gab es dieser Tage noch einen zweiten Todesfall in meiner Umgebung, der wegen seiner popkulturellen Bedeutung vermeldenswert ist: der Hauptakteur dieses alten Journal-Eintrags ist nach kurzer schwerer Krankheit gestorben.
Am Wochenende ist Gerhard Pretting gestorben, unerwartet und schnell. Pretting, ein 68er-Jahrgang, war promovierter Medientheoretiker, Autor (z.B. für das Buch zu Plastic Planet) und Journalist, unter anderem für brand eins, Die Zeit oder Ö1.
Ich habe nie mit Pretting gearbeitet, wir kannten uns aus Begegnungen in senderübergreifenden Zonen im Funkhaus, also von Festen und vor allem: aus der Kantine, dem klassenschrankenfreien Schmelztiegel im Erdgeschoß.
Pretting war einer, der dich mit einem als Lob getarnten Schmähruf oder einer als Schmäh getarntem Bosheit quer durch den Raum an seinen Tisch lotsen konnte, wo sich meist eine gemischte Gruppe von Interessierten fand. Von Interessierten an höherem Geblödel, am streitlustigem Diskurs und überhaupt dem Abtausch von geschickt gesetzten Argumenten. Die Atmosphäre entsprach eher dem, was man sich so unter einem Tisch in einem Fin de Siècle-Kaffeehaus vorstellt, als dem klassischen Mittags- oder Nachmittags-Kaffee-Gespräch; mit einer Bandbreite von schreilustig bis untergriffig.
Prettings äußere Erscheinung (er wirkte stylingmäßig von der pomadisierten Frisur bis zum oft konservativen Outfit wie gerade einem Erich Kästner-Roman entsprungen) widersprach seiner Rolle als einfordernder Debattenanstoßer einigermaßen, seine Lust am gedanklichen Herumstierln, das Aufstellen schräger Thesen und deren Ausdiskutieren, seine Freude am expertistischen Kluggescheiße (egal ob das Joy Division-Bootlegs, historische Kapitalismus-Kritik oder holländische Fußball-Abwehrspieler betraf) standen dem aber nur scheinbar entgegen.
Pretting war ein Menschenfänger, einer, der weder mit seiner Neugier auf Schicksale und Geschichten, noch mit seiner Lust an der schnellen Einordnung und schon gar nicht mit seiner Fähigkeit, andere Ansätze in sein Denken zu integrieren, hinterm Berg halten wollte. Ich hatte immer das Gefühl, dass ihm das Ausleben seiner Debattenlust wichtiger war als die konkrete Arbeit, die als Autor eine doch recht konzentriert-gefasst-solitäre ist.
Leute wie Pretting, An-Den-Tisch-Zieher, die dich interessiert aber ungemein fordernd ausfragen und daraus dann einen mehrere Menschen unterhaltenden Diskurs stricken können, gibt es nicht viele. Mir fallen gerade eine Handvoll andere ein, die so etwas können und auch tun. Duncan Larkin konnte das mit seiner harsch-britischen Art, Fritz Ostermayer wird es ewig können. Und nein, es sind nicht nur Männer.
Und mir fällt auch auf, wenn ich an Pretting denke, dass dieser unromantisch-schnöde Ort, die Kantine im Wiener Funkhaus ihre diesbezügliche Bedeutung längst verloren hat. Kantinen sind, das wissen alle Theater nur zu gut, die Orte, in denen sich etwas bewegt, in denen Ideen geboren und Pläne geschmiedet werden, selbst wenn sie - wie im Fall des Funkhauses - ohne großen Alkoholisierungs-Effekt auskommen müssen. Das ist - ebenso wie im Theater - auch nicht nötig: das Adrenalin, das einem nach einem Live-Radio-Auftritt oder einer fertiggestellten Produktion in den Körper schießt, erzielt diese Effekte gleichermaßen.
Es ziemt sich jetzt nicht, die wohltradierte Wehklage (welcher Branche auch immer) über den Verlust von echten Typen, kantigen Figuren einzustimmen; denn daran liegt es nicht - die Typen und -innen wären schon vorhanden.
Es wird ihnen nur der Nähboden entzogen.
Im konkreten Fall liegt das an der inhaltlichen Ausdünnung des Journalismus im Allgemeinen, den vielen partei- und verlagspolitisch erzwungenen ORF-Sparpaketen im Speziellen und den Management-Bibeln der letzten Jahrzehnte, die den biegsamen und biegbaren Mitarbeiter dem, der womöglich mehr fordert als das Medium leisten will, der visionärer denkt und agiert als die Chefitäten und sich auch in anderer Hinsicht überlegen zeigt, deutlich vorziehen.
In ganz ganz konkreten Fall liegt es aber auch am Funkhaus, dem aktuell von vielen freundlichen Rettern ironischerweise das genaue Gegenteil konzidiert wird. Dass es genau dieser Ort, dieser Treffpunkt, diese Schnittstelle, dieser Befruchter wäre. Das kommt zustande weil sie nur die Hülle, das Außenangebot, das Radiokulturhaus, im Radiocafe (wo es schon manchmal zu Künstlerrunden kommen kann), nicht aber den Alltag kennen. Und der ist zunehmend von mehr und mehr Funktionalität geprägt. Es gibt zwar noch so etwas wie Stammtische einzelner Sender oder Redaktionen, aber der Austausch hat sich verloren, die interkulturelle Begegnung findet nicht mehr statt.
Ich will jetzt nicht die alten Zeiten zu schönreden, in denen sich die Ö3-Gang und die Familienredaktions-Bande (aus der dann FM4 hervorging) Schlagabtäusche und auch wundersame Allianzen lieferten, als sich der Radio-Wien-Rowdy mit den Ö1-Catchern oder anwesenden Schauspieler-Rüpeln matchte. Da war auch viel Schreckliches dabei, was kein Mensch vermisst. Aber: es gab Auseinandersetzung, es gab Reibung, also auch implizites Feedback. Die Zeit, in der ein Gang in die Kantine deutlich mehr bedeutete als Nahrungsaufnahme und schnellen Small-Talk am Vierertisch, ist bereits seit vielen Jahren vorbei. Auch wenn einzelne immer wieder an die Zeit der Fruchtbarmachung anknüpften.
Gerhard Pretting war einer der ganz wenigen, der die Pflege dieser wichtigen inneren Kommunikationsarbeit noch als nötig und selbstverständlich empfanden. Sein Tod kam überfallsartig; das Sterben seiner Kunst ist ein langsames.