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Chrissi WilkensAthen

Journalistin in Griechenland

20. 10. 2014 - 16:50

Zurück nach Griechenland inmitten der Krise?

Während immer mehr junge GriechInnen ihre Heimat verlassen, gibt es welche, die wieder zurückkehren.

Griechenland, 2014: ein Land mit einem bröckelnden Sozialsystem, wo manche Menschen gar keine Sozialleistungen mehr bekommen, auch wenn sie arbeitslos sind. Laut einer Studie des griechischen Parlaments leben etwa 6,3 Millionen Menschen in Armut oder sind davon bedroht, und die Arbeitslosigkeit -obwohl zuletzt leicht gesunken - liegt bei mehr als 26 Prozent. Mehr als die Hälfte der 14 bis 24-Jährigen ist arbeitslos.

Junger Mann vor einer Stadtkulisse

Chrissi Wilkens

Giannos

Während immer mehr junge GriechInnen aus diesen Gründen ihre Heimat verlassen, gibt es welche, die wieder zurückkehren. Giannos ist einer von ihnen. Wenn er von der Arbeit nach Hause kommt, genießt er den Athener Sonnenuntergang auf dem Balkon seiner Wohnung. Der 28-Jährige ist Bauingenieur und einer der wenigen Rückkehrer. 2010 hat er Griechenland verlassen, um ein Aufbaustudium in München zu machen.

Obwohl er die Möglichkeit hatte, in München zu arbeiten, entweder an der Doktorarbeit oder in einem Unternehmen, hat er sich nach zwei Jahren dazu entschieden, erstmal in Griechenland sein Glück zu suchen. Die Nähe von Freunden und Familie, aber auch die griechische Lebensart, die Natur und das Wetter haben ihn zu dieser Entscheidung geführt. Nach wenigen Monaten hat er eine gute Arbeitsstelle mit einem zweijährigen Vertrag gefunden. Er habe viel Glück gehabt, meint Giannos, denn viele seiner Gleichaltrigen sind mit sehr schwierigen Arbeitsbedingungen konfrontiert.

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"Wegen der hohen Arbeitslosigkeit haben viele Firmen - auch diejenigen, die Gewinne erwirtschaften - die Möglichkeit, die Löhne zu drücken. Und dazu noch gibt es sehr viele junge Leute, die bereit sind, unbezahlt zu arbeiten, um Erfahrung zu sammeln - und um nicht zu Hause herumzuhocken", erzählt Giannos.

Mehr als 140.000 junge Hochschulabsolventen sollen seit Beginn der Krise und dem Einsetzen der harten Sparpolitik Griechenland den Rücken gekehrt haben. Einer Studie des Kapa Research Instituts zufolge möchten 7 von 10 Hochschulabsolventen in einem anderen Land eine Arbeit suchen, während einer von 10 sich bereits auf Jobsuche im Ausland befindet oder versucht, sein Studium anderswo fortzusetzen, um später Zugang zu den dortigen Arbeitsmärkten zu finden.

Danai hat sich wie Giannos entschieden, wieder zurückzukommen. Sie schiebt ihr Fahrrad langsam durch die engen Gassen von Plaka, dem historischen Zentrum Athens. Rundherum sind Tavernas und kleine Cafés. Die 26-Jährige ist vor einem Jahr aus London zurückkehrt, nachdem sie dort zwei Jahre verbracht hat. Zuerst hat sie ein Aufbaustudium in Theaterregie und Performance absolviert, dann war sie bei der Kunst-Plattform Ferodo Bridges aktiv. Sie mochte das Leben in London nicht so und hat auch keinen Job in ihrem Interessensgebiet gefunden. Als sie vorigen Sommer auf Urlaub nach Griechenland gekommen ist, ist sie geblieben. "Ich weiß nicht, ob es eine Schwäche oder eine Stärke ist, inmitten der Krise nach Griechenland zurückzukehren. Vielleicht ist es etwas Absurdes. Es war für mich aber ein tiefes Bedürfnis", sagt Danai.

Junge Frau mit Fahrrad

Chrissi Wilkens

Danai

Die erste Zeit war sehr schwierig. Sie war arbeitslos und auf die Unterstützung ihrer Eltern angewiesen. Heute arbeitet und studiert sie am bekannten Athener Theater Karolos Koun und gibt Englischunterricht. Obwohl es ihr finanziell immer noch nicht gut geht, ist sie mit ihrer Entscheidung zufrieden. "Ich weiß nicht, ob sich die Situation hier in Griechenland verbessern wird. Ich bin aber davon überzeugt, dass jeder von uns etwas dafür tut".

Auch die 27-jährige Ärztin Fani hat Griechenland vor zwei Jahren verlassen, um in einem Krankenhaus in Belgien Berufserfahrung zu sammeln. Obwohl sie einen festen Arbeitsvertrag als Anästhesistin in Belgien bekommen hätte, ist sie zurück nach Athen, um dort in einem Krankenhaus zu arbeiten. In Griechenland ist Fani mit ungleich schwierigeren Arbeitsbedingungen konfrontiert: Medizinisches Material und Medikamente fehlen, Geräte sind defekt, Kollegen überfordert, Patienten verzweifelt. Auch für sie war die Bindung an die Heimat der entscheidende Faktor. Sollte sich die Situation in Griechenland nicht verbessern, kann sie sich vorstellen, wieder in ein anderes Land zu ziehen, auch wenn sie eigentlich in Griechenland bleiben möchte. "Wir können doch nicht alle das Land verlassen. Wenn etwas schief geht, hat man ja immer die Möglichkeit, auszuwandern. Ich glaube aber, dass für uns alle Griechenland immer die erste Wahl ist", so Fani.

Giannos verabredet sich auf ein Bier mit Freunden in einer naheliegenden Bar. Viele aus seinem Freundeskreis befinden sich im Ausland. Er schaut in die Ferne und lächelt sanft. "Dieser Sonnenuntergang ist einer der Gründe, warum ich kämpfen werde, hier bleiben zu können, aber auch damit meine Freunde zurückkehren und unter besseren Bedingungen leben können."