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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

19. 10. 2014 - 19:00

Freihandelsabkommen im Schatten von "Big Pharma"

Das aktuelle Leak des Kapitels zu "geistigen Eigentumsrechten" im pazifischen TPP-Abkommen lässt bei TTIP ein Wunschkonzert für die großen Pharmakonzerne befürchten.

Mitten in die Versuche auf höchster Ebene, die festgefahrenen Verhandlungen zum pazifischen Freihandelsabkommen TPP (Trans-Pacific Partnership) wieder in Gang zu bringen, platzte das jüngste Leak des geheimen Vertragstexts. Die am Donnerstag veröffentlichte, neueste Version des TPP-Kapitels zum "Schutz geistigen Eigentums" zeigt, dass es nicht nur in Bezug auf die Nahrungs- und Autoindustrie schwerwiegende Differenzen gibt. Im Zentrum der Kontroverse steht auch die Praxis der Pharmaindustrie, ablaufende Medizinpatente durch Tricksereien mit den Inhaltsstoffen immer wieder zu verlängern.

Der von Wikileaks publizierte Text zeigt, dass die dabei treibenden Kräfte Japan und USA auf enorme Widerstände stoßen. Da das TPP-Abkommen das pazifische Gegenstück zum transatlantischen TTIP zwischen der EU und USA darstellt, die den globalen Pharmasektor haushoch dominieren, ist abzusehen, dass diese Tendenzen im TTIP noch radikaler zutage treten werden. Wie das Beispiel des gescheiterten ACTA-Abkommens zeigt, hatten die USA und Europa gerade in Fragen "geistigen Eigentums" bisher stets eine recht einheitliche Linie verfolgt.

Machtverhältnisse auf dem Pharmasektor

Eine ganze Reihe von Regelungen im TPP soll diese Praxis, die Gültigkeit ablaufender Patente zu erneuern, um auf Jahre hinaus weitere Lizenzgebühren zu lukrieren, als Regelfall festschreiben. Davon profitieren vor allem die marktdominierenden Konzerne, unter den globalen Top 20 finden sich allein zwölf US-Firmen, fünf stammen aus der EU, dazu kommen zwei aus der Schweiz und ein japanischer Konzern.

Wenn also die USA und Europa bei den TTIP-Gesprächen über Pharmapatente verhandeln, sitzen fast alle großen globalen Player aus diesem Sektor mit am Verhandlungstisch. Die TPP-Gruppe ist hingegegen sehr heterogen zusammengesetzt, unter den zwölf Teilnehmern sind mit den USA und Japan zwei Wirtschaftsriesen, dazu kommen aber auch Staaten wie Chile, Vietnam, Mexiko oder Malaysia. Freibriefe für das besonders im Pharmasektor gängige "Patent Evergreening" auszustellen, liegt nicht im Interesse dieser Staaten, das zeigt der Widerstand dagegen, der sich aus den im Text enthalten Länderpositionen ablesen lässt.

Weniger einig als bei Pharma sind sich Japan und die USA über Lebensmittel oder den Automarkt. Im Frühjahr ist TPP deshalb ins Stocken geraten, der Ton unter den Verhandlern hat sich verschärft. Aktuell wird durch hochrangige Treffen auf Regierungsebene versucht, den Prozess wieder anzuwerfen

Immergrüne Patente

Gleich zu Beginn der Sektion E, in der Patente abgehandelt werden, findet sich ein von den USA und Japan unterstützter, grundlegender Vorschlag. Nach Artikel Q.Q.E.1 "dürfen Staaten kein Patent alleine auf der Basis ablehnen", dass eine Veränderung der chemischen Zusammensetzung "den Wirkungsgrad eines bekannten Produkts nicht verbessert hat, wenn der Antragsteller davor die veränderten Features dargelegt hat, um zu beweisen, dass es sich um eine neue Erfindung... handelt".

Textabschnitt über Verlängerung von Patenten

CC by SA2.0 Wikileaks

"Patent Evergreening" funktioniert exakt nach diesem Prinzip. Für eine pharmakologische Substanz, die als Medikamentenmarke bereits so lange auf dem Markt ist, dass ihr Patentschutz abläuft, wird ein sogenanntes Sekundärpatent beantragt. Marginale Änderungen in der Zusammensetzung der Inhaltsstoffe, ein andere Dosierungsform oder gar nur ein zwischenzeitlich modernisierter Produktionssprozess sollen genügen, um es als neue Erfindung auszuweisen.

Damit würde ein- und derselbe Hauptwirkstoff weitere zehn Jahre patentrechtlich geschützt. Das betreffende Medikament bleibt dann auch in Zukunft ebenso profitabel wie in der ersten Phase seiner Markteinführung. Auch Entwicklungskosten fallen dafür nicht mehr an, denn die waren bereits nach den ersten fünf Jahren abgeschrieben.

Starke Opposition

Gegen den geplanten Freibrief und die Zementierung von "Patent Evergreenіng" haben alle anderen zehn TPP-Teilnehmerstaaten Widerspruch eingelegt. Darunter ist auch Kanada, das mit der Europäischen Union gerade das Freihandelsabkommen CETA finalisiert hat, das keine vergleichbare Regelung enthält. Kanada hat auch allen Grund dafür, eine solche abzulehnen, wurde doch das Land vom US-Pharmakonzern Eli Lilly in einem genau solchen Fall nicht anerkannter "immergrüner Patentierung" im Jahre 2013 auf 500 Millionen Dollar Schadenersatz geklagt.

Eli Lilly klagt Kanada

UNCTAD

Der Grund dafür liegt zwanzig Jahre zurück, als die kanadische Patentbehörde den Antrag des US-Pharmariesen Eli Lilly auf Ausstellung von Sekundärpatenten auf bereits lang davor eingeführte pharmakologische Substanzen abgelehnt hatte. Eli Lilly hatte in Folge seine Klagen vor kanadischen Gerichten dann quer durch alle Instanzen verloren. Die aktuelle basiert hingegen auf einem Schlichtungsverfahren vor einem internationalen Schiedsgericht.

Spätfolgen von Freihandelsverträgen

Die Klauseln zum Investorenschutz sind der zentrale Kritikpunkt bei allen aktuellen Abkommen zum Thema Freihandel. Diese Möglichkeit, eine Regierung vor einem internationalen Schlichtungsgremium auf Schadenersatz zu klagen, steht nur ausländischen Konzernen offen.

Dieser Prozess auf Schadenersatz wegen entgangener Gewinne durch die Nichtausstellung von Sekundärpatenten beruft sich auf die Klauseln zum Investorenschutz im "North American Free Trade Agreement" (NAFTA). Dieses nordamerikanische Freihandelsabkommen der USA mit Mexiko und Kanada wurde bereits 1994 unterzeichnet, die transatlantische Version TAFTA kam nie zustande. Erst 2013 kehrte sie dann unter Bezeichnung TTIP zurück.

Text über Patentierbarkeit von Diagnostik, Therapeutik und Chirurgie

CC by SA2.0 Wikileaks

Auch bei den folgenden Artikeln zu "geistigen Eigentumsrechten" im selben Sektor stehen Japan und die USA gegen eine große Mehrheit der TPP-Staaten. Die von Japan und den USA - in diesem Fall sekundiert von Australien - geforderte Patentierbarkeit von "diagnostischen, therapeutischen oder chirurgischen Methoden", steht ebenfalls gegen eine Mehrheit, die das exakte Gegenteil, nämlich den Ausschluss der Patentierbarkeit dieser Methoden vorsieht.

Wo die Bruchlinien verlaufen

Quer durch die gesamte Sektion E ziehen sich diese klaren Gegensätze, die Bruchlinien verlaufen dabei entlang der Größe und den Interessen des jeweiligen nationalen Pharmasektors. Manche, aber längst nicht alle US-Vorschläge werden von Japan unterstützt, einige auch von Australien oder Singapur, stets aber haben sie eine große Mehrheit dagegen. Die Liste der Länder mit den meisten Widersprüchen gegen einzelne Artikel der Patentsektion wird von Kanada angeführt, wo sowohl das Patentwesen wie auch das Coyprightregime behutsam modernisiert wurde.

Im Copyright Act von 2012 wurden die Regeln für nicht-kommerzielle Nutzung urheberrechtsgeschützter Werke generell liberalisiert, anders als in Europa können etwa "verwaiste Werke" verschollener Urheber relativ einfach neu publiziert werden. Diese eigentlich überfälligen Reformen in Kanada stehen durch das TPP-Verfahren nun wieder auf dem Spiel, während es Kanada in CETA gelungen ist, sie gegenüber Europa weitgehend abzusichern.

Matrix der Widersprüche im TPP-Verfahren

CC by SA2.0 Wikileaks

TPP, CETA und die Blaupausen

Die Ausweitung der Schutzrechte bei Musikstücken nach US-Vorbild auf 70 Jahre nach dem Tod des Autors war 2009 ein Kompromiss. Die EU-Kommission hatte ursprünglich eine Schutzfrist von 95 Jahren anvisiert.

Die allgemein verbreitete Annahme, dass CETA eine Art Blaupause für das TTIP-Vertragswerk darstellt, ist also schlicht unrichtig, weit eher іst TTIP nämlich nach dem Muster von TPP gestrickt. So sollen die Schutzfristen auf Urheberrechte von 50 Jahren nach dem Tod des Autors auf 70 oder gar 100 angehoben werden. Auch das folgt einer US-Vorgabe, der die Europäische Union 2009 eilfertig gefolgt ist. Die Schutzfristen für Musikstücke und Kompositionen wurden da nach US-Vorgaben auf 70 Jahre ausgedehnt.

Wie das aktuelle Leak gezeigt hat, sind praktische alle von den Kritikern befürchteten Maßnahmen, die den Status Quo der wirtschaftlichen Vormachtstellungen einzementieren sollen, in TPP enthalten. Für TTIP bedeutet das nichts Gutes, denn hier sitzen nur Europa und die USA zusammen, die im Pharmasektor weitgehend deckungsgleiche Interessen haben.

"Patent Evergreening" kommt europäischen Pharmariesen unter den weltweiten Top Ten, wie etwa der deutschen Bayer, der britischen GaxoSmithKline oder Sanofi (Frankreich) ebenso zupass wie Pfizer oder Eli Lilly aus den USA. Eine starke Opposition wie bei TPP ist also im transatlantischen Abkommen nicht zu erwarten, die Kosten für die immergrüne Profitabilität der börsennotierten Pharmariesen werden daher die nationalen Gesundheitssysteme, also die Steuerzahler tragen.

Strafrecht gegen Leaks

Was den geleakten Text des TPP-Abschnitts betrifft, so würden derartige Veröffentlichungen im Falle einer Ratifikation des Abkommens in den Unterzeichnerstaaten in Zukunft strafrechtlich verfolgbar. In Absatz zwei des Artikels zu "Wirtschaftsgeheimnissen" (QQ.H.8) heißt es da wörtlich, dass die Unterzeichnerstaaten strafrechtliche Maßnahmen ergreifen werden, wenn ein "Wirtschaftsgeheimnis unter Verwendung eines Computernnetzes arglistig oder nichtautorisiert enthüllt" werde.

Strafrecht gegen Leaks im TPP

CC by SA2.0 Wikileaks

Sowohl TPP wie auch TTIP werden hinter verschlossenen Türen verhandelt, weil die dabei verhandeltenen Punkte unter "Wirtschaftsgeheimnisse" fallen. Journalisten und erst recht Whistleblower würden damit de facto Wirtschaftsspionen gleichgestellt.

Wie es mit TPP und TTIP weitergeht

Am Sonntag sind die Chefunterhändler aller 12 an TPP beteiligten Staaten im australischen Canberra eingetroffen, während der nächsten Tagen sind Treffen auf Ministerebene angesetzt, um das verfahrene Abkommen neu anzuschieben. Am 28. Oktober trifft die TTIP-Beratergruppe in Brüssel zusammen, um diesen fast ebenso verfahrenen Prozess wieder auf Schiene zu bringen. Als Punkt drei auf der fünfteiligen Agenda ist "Transparenz" gelistet.