Erstellt am: 19. 10. 2014 - 10:18 Uhr
Weniger rockt mehr
Wer sich mit der Geschichte der Popkultur beschäftigt hat, weiß: Es geht für Künstler immer auch darum, die Gunst des Augenblicks zu spüren. Den richtigen Zeitpunkt zu fühlen. Manche Türen öffnen sich nur für einen historischen Moment, weil eben gerade die kulturellen und gesellschaftlichen Bedingungen stimmen.
Helmet auf „Betty“ Anniversary Tour:
21. Oktober 2014, Conrad Sohm, Dornbirn
22. Oktober, Rockhouse Salzburg
23. Oktober, Szene Wien
Anfang der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts korrelierten diesbezüglich einige Aszendenten in Sachen Rock in einer zuvor nie dagewesenen Form. Teile des Indiepublikums hatten sich fadisiert vom sterbenden New Wave und Gothicpop, aber auch von den braven britischen Jingle-Jangle-Gitarren und putzigen Botschaften abgewandt. Amerikanische Noiserocker zeigten der Biederkeit den Mittelfinger und feierten das kreischende Feedback. Etwas, das bald Grunge heißen sollte, brodelte im noch großflächig vorhandenen Untergrund.
Auf der anderen Seite des Indie-Gartenzauns spielten die eher proletarisch geerdeten Metalkinder mit ihren Slayer-T-Shirts. Neue Formen der musikalischen Aggression entstanden oder wurden verfeinert. Death Metal, Grindcore, Doom faszinierten ob ihrer damals fast schon avantgardistisch anmutenden Brutalität und gleichzeitig feinziselierten Machart auch Hörer aus der Noiserock-Fraktion.
Es war einmal vor langer Zeit in einer weit entfernten Galaxis: Einer aalglatten Mainstream-Übermacht standen kleine Fraktionen von Rebellentruppen gegenüber. Durchgeknallte Noiserocker, kompromisslose Filmemacher oder Hard-Boiled-Literaten beispielsweise.
Weil das Internet noch genauso Zukunftsmusik war wie Comickino-Blockbuster und fesselnde HBO-Serien, weil niemand an riesige Rockfestivals hierzulande zu denken wagte, bei denen tatsächlich aufregende Bands auftreten, tauschte man verwaschene VHS-Kassetten von verruchten Horrorfilmen, lauschte kratzigen Vinylplatten oder traf sich in verrauchten Kellern zu rauschhaften Clubgigs.
Euphorisierte einen irgendein Konzert, Album, Film oder Buch ganz besonders, gab es Lichtjahre vor der Erfindung von Blogs, Foren und Facebook nur wenige Möglichkeiten seine Begeisterung kundzutun: Bei hitzigen nächtlichen Bargesprächen mit Freunden etwa. Oder in einem Fanzine, einem oft handkopierten Heftchen voller subkultureller Brandreden.
Diese Serie taucht, hoffentlich ohne nostalgische Verklärung, in jene Ära ein, als die Fronten zwischen Underground und Mainstream noch nicht verwaschen waren, holt Fundstücke aus den Archiven, erzählt von extremen Phänomenen und außergewöhnlichen Charakteren.
Kaum vorstellbar in unserer posthistorischen Epoche der festgemauerten Stile und Erwartungshaltungen, aber: Alles war in Bewegung. Und plötzlich gab es Grenzgänger, die über die Zäune kletterten und Warnungen ignorierten. Buzz Osbourne von den Melvins war so ein Pionier der uneinordenbaren Härte. Justin Broadrick von Godflesh. Vor allem aber ein damals junger Gitarrenakademiker, der, von der Klassik und dem Jazz kommend, die Essenz des Metal aufsaugte: Page Hamilton.
Interscope
Millionenschwerer Rock-Minimalismus
Als der Artrock Musiker zum ersten Mal mit seiner Band Helmet für Aufsehen sorgt, mit dem wuchtig-krachigem Debütalbum „Strap It On“, erwarten Szenebeobachter, dass sich hier die Nachfolger von Sonic Youth ankündigen. Aber dann kommt es im Herbst 1991 zu einem neuen Urknall im Indie-Sonnensystem. Nirvana machen verzerrte, lärmige Rockmusik konsensfähig und die Majorlabels begeben sich auf finanzkräftige Jagd in die Subkultur-Refugien. Auch bei Page Hamilton und Helmet werden sie fündig.
Eineinhalb Millionen Dollar wandern über den Tisch und die Noiserocker vom einschlägigen Minilabel „Amphetamine Reptile“ zum Time Warner Konzern. Kompromisse gehen Helmet dabei aber keine ein, sie formulieren auf dem 1992 erscheinenden Meisterwerk „Meantime“ ihre Vision nur noch eindringlicher und schneidender.
Vor allem stehen die Musiker um Mastermind Hamilton zu ihren wunderbaren und bis heute einmaligen Widersprüchen: Rasiermesserscharfe Gitarrenriffs werden ohne textliche, visuelle oder sonstige Metalklischees aneinandergereiht. Das Intellektuelle verschmilzt ohne einen Hauch Aufdringlichkeit mit dem Bodenständigen. Das Denken mit der Wut. Die Zärtlichkeit mit der Gewalt.
Ich erinnere mich an mehrere spannende Gespräche mit Page Hamilton im Laufe vieler Jahre. Das beste Interview mit dem Kopf der Brutalo-Band im smarten Tennisprofi-Outfit entstand aber unmittelbar um den Erscheinungstermin des „Meantime“-Albums, anno 1992, als sich für einen kurzen Moment die erwähnte Tür öffnete und man von einem neuen Verständnis für „harte Musik“ träumen konnte. Wie schon des öfteren im Rahmen dieser kleinen Archivserie hier, legte ich nochmal eine Audiokassette in den noch immer funktionierenden Rekorder.
Interscope
Gegen den schwerfälligen Matsch
Page, ihr entzieht euch mit eurem metallisch angehauchtem Sound, der doch kein Metal ist, allen Kategorien, wie geht es euch dabei?
Wenn Leute versuchen uns zu beschreiben und einzuordnen, führt das zu den seltsamsten Ergebnissen. Wir hören die verschiedensten Vergleiche, die sich alle widersprechen; der eine sagt, wir klingen wie Slayer, der andere Ministry, wieder ein anderer glaubt Led Zeppelin oder Prong wieder zuerkennen. Ich habe Prong aber erst vor kurzer Zeit zum ersten Mal gehört. In Deutschland sprechen sie von Glenn Branca oder Rhys Chatham Einflüssen. Es ist gut, dass uns jeder mit etwas anderem assoziert.
Beruht dieser Sound auf einem Konzept oder ist er einfach gewachsen?
Ich hatte eine konkrete Idee bezüglich des spielerischen Stils. Nachdem ich eine Million Drummer und Bassisten gehört hatte, wusste ich genau, was ich nicht wollte. Ich wollte Leute, die sehr kraftvoll spielen, so dass dich die Musik ununterbrochen vorwärtstreibt, und das ganze nie in einem schwerfälligen Matsch endet. Genau hier liegt das Problem vieler Noise-Bands: Dadurch, dass sie über keinerlei technisches Konnen verfügen, spielen sie einfach ständig laut und krachig, ohne Differenzierungen. Für mich wird so etwas nach einer Weile ermüdend, öde. In einem halbstündigem Auftritt sind da vielleicht zehn coole Minuten dabei, aber grundsätzlich glaube ich, dass ein durchdachter Prozess dahinterstehen muss, damit es interessant bleibt.
Und dann hast du einfach versucht, das Gegenteil zu machen?
Nachdem ich lange mit Band Of Susans, Glenn Branca und Rhys Chatham gespielt hatte, hatte ich eine sehr eindeutige, klare Vorstellung, was ich wollte, vorausgesetzt, die Leute beherrschten ihre Instrumente so, wie ich mir das wünschte. Wir kommen alle aus ganz verschiedenen Backgrounds. Aber es gibt doch eine ähnliche, verwandte Art von Intensität, die jeder auf seinem Instrument miteinbringt. Ich denke, jemand, der nicht jedes Mal mit der selben totalen Power spielt, wäre in dieser Band fehl am Platz. Denn da ist so eine Art von Aggressivität, die in dieser Musik einfach notwendig ist.
Das Problem mit dem Metal
Helmet sind endlich eine Antwort auf die krampfhaft komplizierten Nummern im Metal, mit ihren unzähligen Teilen...
Das Problem mit Metal-Musikern ist, dass sie einfach viel zu viele verschiedene Riffs aneinanderhängen. Die sind viel zu interessiert daran zu zeigen, wie toll ihre technischen Fähigkeiten sind und wie gut sie ihr Instrument beherrschen, folglich gibt es so viele Wechsel wie möglich. Wenn ich etwas wie Anthrax oder Metallica höre, dann taucht da plötzlich ein cooles Riff mittendrin auf, aber das steht nur vier Takte da und dann gibt es einen Rhythmuswechsel und es wechselt wieder und wieder. Sie versuchen aber nicht, aus diesem einen coolen Riff etwas zu machen, auszuprobieren, was damit passieren könnte.
Ihr dagegen konzentriert euch oft auf ein einzelnes Riff...
Etwas, das ich von Glenn Branca gelernt habe, ist Geduld mit einer Idee zu haben. Ich meine jetzt nicht unbedingt so extrem wie bei ihm, wo ein Akkord zehn Minuten gespielt wird und darüber baut man dann verschiedene Harmonien. Aber es ist der Versuch, so etwas in ein Pop-Song ähnliches Format zu übertragen. Lass eine Idee wachsen und lass sie dort hingehen, wo es sie hintreibt. Ich liebe jedenfalls die Idee von Musik, die dich dauernd vorantreibt.
Wie denkst du, lässt sich eure Musik in ihrem Minimalismus nun weiter ausbauen?
Unsere Musik verändert sich momentan in die Richtung, dass wir über solche zerhackten Sachen mehr melodischere Vocals platzieren. Am Anfang war ich sehr rhythmusorientiert, sehr hardcoremäßig. Jetzt ist es noch immer rhythmisch angelegt, aber ich versuche, wenn die Drums in 4/4 spielen und die Gitarren in 7/8, mehr melodische Harmonien dagegenzusetzen. Ich denke, ein Fortschritt ist zu erkennen. Hoffentlich werden wir uns noch weiter entwickeln.
All that Jazz
Viele Noiserock-Musiker beäugen dich skeptisch, weil du nicht als Punk-Autodidakt angefangen hast, sondern lange in Jazzclubs gespielt hast...
Am Anfang, als ich eine Gitarre geschenkt bekam, war ich totaler 70iger Hard-Rock Fan. Dann, nach 6 Monaten, brachte mich einer meiner Gitarrenlehrer auf Jazz wie Miles Davis oder John Coltrane, und ich hörte auf, Rockmusik zu spielen. Als ich in Deutschland war, lernte ich Jazz und klassische Gitarre. Erst als ich 1985 nach New York zurückkehrte, kam ich auch wieder zum Rock. Die ersten 4 bis 5 Jahre spielte ich nämlich nur Jazz. Ich kaufte jede Platte von Davis, Coltrane oder Bill Evans. Coltrane hatte eine konsequente, stetige Intensität von Anfang an, bis er starb. Er entwickelte sich ständig weiter und behielt gleichzeitig seinen eigenen Sound. Jeder Auftritt war intensiv und präzis.
Geht dir die Anti-Jazz-Haltung in der Alternative-Szene nicht auf die Nerven?
Ich finde, viele Leute haben eine seltsame Haltung dem Jazz gegenüber und allem, was damit assoziert wird. Es gilt nicht als cool. Ich wurde ziemlich scharf kritisiert und ich schämte mich fast meiner Ausbildung, bis ich realisierte, wie lächerlich das ganze war. Ich versuchte ja nicht, den Leuten mit irgendeiner Theorie, die ich in der Klasse gelernt hatte, eins auf den Kopf zu knallen. Ich hatte so etwas auch gar nicht studiert, ich versuchte nur, meinen eigenen Stil beim Komponieren zu finden. Ich benutzte all das Wissen, um mich weiterzubringen. Ich tat nichts außer meine Ohren zu öffnen für alles von Bartok über Coltrane bis zu Killing Joke. Für mich gibt es in all dieser Musik eine ähnliche Energie. Ich bin jetzt weniger snobistisch als mit 19 oder 20. Damals gab es nur Coltrane für mich, jetzt höre ich alles, sogar Hall & Oates.
Aber ihr werdet ja auch für euren Look kritisiert, weil ihr das Gegenteil von Rock'n'Roll-Klischees verkörpert...
In New York gerieten wir ins Kreuzfeuer der Kritik, weil wir kurze Haare haben und als clean cut gelten und alle sagten: Wenn der Milchbubi-Look einmal modern wird, werden es Helmet weit bringen. Ich frage mich, was spielt das für eine Rolle? Überhaupt keine. Musik ist in der Mode-Richtung sowieso schon viel zu weit gegangen. Sogar in der Alternativ-Szene, die sich für so offen und außerhalb von allem stehend hält, zählt nur mehr dieser Modeschau-Aspekt. Wir wollen, das man sich nur für unsere Musik begeistert, und haben mit Mode nichts zu tun.
Interscope
Was danach geschah
Mit „Betty“ und dessen sonnigem 50er-Jahre-Nostalgia-Cover distanzierten sich Helmet 1994 noch mehr vom Böse-Buben-Image vieler Metalcombos. Musikalisch blitzen Jazz, Funk und Avantgarde-Elemente zwischen den Beton-Riffs auf, der Gesang gibt sich poppiger. Künstlerisch trat die Band danach aber auf hohem Niveau auf der Stelle, Alben wie „Aftertaste“ und „Size Matters“ sorgten nicht mehr für eine ähnliche Euphorie wie zu Anfangszeiten. 1999 erfolgte die offizielle Auflösung.
Page Hamilton selbst arbeitete mit unterschiedlichen Musikern wie Trent Reznor oder Caspar Brötzmann und tauchte sogar im Live-Lineup von David Bowie auf. 2004 kam es zum Helmet-Comeback, allerdings mit komplett neuer Besetzung, die seitdem auch einige Male wechselte. Auf späteren Alben wie „Monochrome“ und vor allem ihren Bühnenshows zählt wieder die reine Riff-Lehre. Das kann man, je nach eigenem Standpunkt, als konservativ oder trendunabhängig bewerten.
Was in jedem Fall bleibt, ist nicht nur der riesige Einfluss auf die Nu-Metal-Szene, die sich allerdings nur auf die plakativsten Elemente von Helmet stürzte. Mit seiner Offenheit und dem Drang, Grenzen zu überschreiten, gehört Page Hamilton definitiv zu den größten Pionieren der Gitarrenmusik.
Kontrolle ist besser
Dabei gibt es aber doch schon eine lange Verknüpfung von Rock’n’Roll und Fashion, die euch aber nicht interessiert?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich große Komponisten wie Bach oder Schubert ums Perückenpudern gekümmert haben oder darum, was andere über sie denken. Sie saßen bloß am Klavier und spielten etwas, das sie liebten. Und daraus entwickelten sie etwas, formten es zu einem Eigenen. Sie hatten immer Einflüsse der Vergangenheit, aber sie verarbeiteten sie konstant weiter. Thelonius Monk arbeitete beständig an seinem Klavierspiel, obwohl er ständig von den Kritikern zerissen wurde wegen seiner fetten Finger und seines klimpernden Sounds. Er war kein technischer Virtuose, aber er wollte ja auch nicht wie Red Garland klingen, er wollte nur Thelonius Monk sein.
Die komplette Verweigerung eines Looks, die Lust auf Lärm, aber der gleichzeitige Drang den Krach zu kontrollieren – diese und andere Dinge erinnern mich auch an Bands wie Jesus Lizard und die Melvins...
Du hast gerade meine privaten Lieblingsbands genannt. Wir spielten in Toronto ein Konzert mit diesen beiden Gruppen. Ihnen nur zuzusehen, war großartig. Ich fühlte mich sehr geehrt mit diesen Bands zu spielen, für uns war das wie eine Schule. Wir haben alle drei einen ziemlich unterschiedlichen Stil, aber eines verbindet uns. Kontrolle. Disziplin.
Also ist das Spiel aus Kontrollverlust und strenger Kontrolle die Essenz von Helmet?
Innerhalb dieser kontrollierten Form kann man sich Lärm und vieles andere einverleiben. Das macht die Sache sinnvoller, interessanter beim Hören. Wenn etwas zu lärmig ist, wird es langweilig, und wenn es zu kontrolliert ist, ermüdet es auch. Ich hatte ein gutes Gespräch mit Duane Dennison von Jesus Lizard und er sagte, es hätte einige Zeit gedauert, bis er die richtige Mischung als Gitarrist gefunden hatte. Als Jesus Lizard begannen, hatte es noch nicht genügend Druck, weil er noch an seinen Ideen feilte und sie noch nicht richtig zusammenspielten. Ähnliches gilt für uns. Wir wollen uns auch nicht durch äußere Umstände ablenken lassen. So nehmen wir auf Tour keine Drogen, rauchen nicht, trinken kaum, ich glaube, so etwas würde uns zerstören.
Ich danke für das Gespräch, sag mir nur noch einen Satz zu eurem Bandnamen?
Eigentlich wollten wir einen deutschen Namen. Ich war Austauschstudent, als Helmut Schmidt noch Kanzler war, so lang ist das her. Die Idee mit Helmut fanden wir aber nur 5 Minuten lang gut.
Helmet