Erstellt am: 20. 10. 2014 - 06:00 Uhr
Alles wird beben
Japan, das war immer so ein Sehnsuchtsland. Bis zum März 2011, dem Tōhoku-Erdbeben und dem Atomunfall in Fukushima. Nur wenige Wochen danach reiste die deutsche Autorin Lucy Fricke nach Kyoto, um ein Stipendium anzutreten. "Die Angst hörte auf, als ich dort war", sagt Lucy Fricke im Gespräch mit Zita Bereuter auf der Frankfurter Buchmesse. "Eigentlich merkte ich sobald ich ins Flugzeug stieg: Jetzt ist endlich Ruhe".
Dagmar Morath
Das Flugzeug war zwar halb leer und außer Fricke flogen nur JapanerInnen mit. Doch als sie ankam und derart liebevoll empfangen wurde, wusste sie, es war die richtige Entscheidung. Alle anderen StipendiatInnen hatten abgesagt.
Big in Japan
"Takeshis Haut" ist Lucy Frickes neuer Roman. Wie die Hauptfigur Frida war sie allein in Japan. Auf der Straße wurde sie ganz oft angesprochen. Die Menschen, die sie kennenlernte, nahmen sie mit in deren Familien und Dörfer. "Ich bin relativ tief reingelangt in dieses Japan, einfach nur aufgrund der Katastrophe, weil plötzlich eine andere Offenheit da war und eine andere Dankbarkeit, dass überhaupt jemand kommt", sagt Fricke. In Europa wäre stets von Fukushima die Rede gewesen, aber in Japan waren in Folge des Erdbebens 25.000 Menschen gestorben, erinnert sie.
Seitdem war sie mehrmals und für längere Aufenthalte dort. Vor kurzem in Tokyo. Fukushima hätte auch eine Chance für Veränderung geboten, doch das wäre alles vorbei: "Es gibt eine neue Regierung, die sehr rechts gerichtet ist. Es gibt eine Einschränkung der Pressefreiheit. Es gibt ein großes Zurückgehen zur Atomkraft", berichtet Fricke.
Rowohlt
In ihrem Roman "Takeshis Haut" ist die Welt in Japan allerdings erst noch in Ordnung. Frida ist foley artist, also Geräuschemacherin, und mit einem Koch in einer langjährigen Beziehung. Die Auftragslage ist mau, bis Frida auf die Anrufe eines Jungregisseurs reagiert. Sie soll einen kompletten Film nachvertonen und dafür nach Japan.
Dieses ferne Land ist in Frickes Roman ganz nah, man kann es nahezu in den Zeilen hören. Dabei driftet die Erzählung nicht in Kitsch ab. Zudem ist Fricke mit Frida ein weiblicher Charakter gelungen, der eigenständig, durchaus tough und allem voran interessiert ist an der Welt. Wenn diese Frida sich einlässt auf etwas, werden sich Gefühlszustände verschieben, wie das in der Region Tōhoku Erdplatten verschoben hat.
"Wenn du weißt, dass du abreisen wirst, ist bereits die Gegenwart erinnert. Alles fürs Protokoll. Da musst du die Kamera gar nicht zücken, nicht für die anderen, die auf deinen Bildern ohnehin nichts erkennen werden von dem, was du gesehen hast. Dein Blick passt nicht durch den Sucher."
Frida sei Dank
"Durst ist schlimmer als Heimweh" war der Debütroman von Lucy Fricke. 2010 ist "Ich habe Freunde mitgebracht" erschienen.
Mehr weibliche Hauptfiguren wie Frida täten der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur gut. "Eigentlich sind es immer so ein bisschen männliche Frauen, diese kumpelhaften, burschikosen Mädels", sagt Fricke über ihre weiblichen Figuren, "Die fehlen mir auch in der deutschsprachigen Literatur." Zu viele zerbrechliche, an sich selbst leidende Frauen oder auch schlicht Tussis würden durch Romane wandern. Da muss man Fricke beipflichten.
"Takeshis Haut" ist ein super Buch über emotionale Zustände, verrückte Liebe und nicht zuletzt eine Reise nach Japan. Eine herzliche Empfehlung.