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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

15. 10. 2014 - 13:34

The daily Blumenau. Wednesday Edition, 15-10-14.

Klientelpolitik und der Selbstzerstörungs-Mechanismus.

The daily blumenau hat Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst.
Und bietet Items aus diesen Themenfeldern.

*Gestern entfiel das daily Blumenau. Der Text (einer über die Ursprünge der Bundesheer/Bundeswehr-Debatten in Ö und D) war zwar schon fast fertig, wurde mir dann aber doch deutlich zu verschwörungs-theoretisch, auch weil die Fakten- und Quellenlage zu diffus blieb. Und gerade in diesem Bereich ist jede weitere dünne, womöglich auf Paranoia basierte Betrachtung dann echt nur kontraproduktiv und weil ich ja selber nichts mehr hasse als das, hatte ich gar keine andere Möglichkeit als Wegschmeißen. Für was anderes war's dann zu spät, sorry for that.

#machtpolitik #medienpolitik

Weil ich gestern* den Kollegen Kappacher und einen älteren Text in seinem Blog zitiert habe: in seinem aktuellen Eintrag findet sich ein Nebensatz, der mich zu einer recht prinzipiellen Überlegung angestiftet hat.

Sechsmal hübsch beleuchtet das Phänomen des allzu häufigen Einknickens der grünen Landesregierungs-Partner, also die grüne Selbstaufgabe von Kernthemen - nicht nur (aber auch in Wien).
Mein Thema in seiner Geschichte ist das in Wiener Intellektuellen-Kreisen öfter als es den Grünen lieb sein kann diskutierte Abnicken von kleinen Ungeheuerlichkeiten, weil man Zusammenarbeit offenbar nur so definieren kann. Etwa die ganz direkte Finanzierung von Verlagen, die der SP mehr als nur nahestehen, und der Investition in Jubelbroschüren und einen aufgeblasenen Informationsdienst. Wenn man diese Wiener Leitlinie zur direkten Investition in Heute/Österreich und die Versuche, den ORF zu dirigieren (also den Bemühungen der Bundes-SP), dazurechnet, hat man auch schon die gesamte medienpolitische Agenda der Kanzler- und Bürgermeister-Partei auf dem Tisch. Und die erinnert allzu stark an das Schröder-Credo dass man eh nicht mehr brauche als Boulevard und Glotze.

Kein Wunder, dass sich bei einer solchen Schwerpunktsetzung niemand um eine Reform des ORF-Gesetzes, die Abwehrkämpfe der heimischen Medien gegen die großen Netz-Kraken oder überhaupt eine digitale Agenda kümmern kann.

Im nächsten Absatz erzählt Kappacher von einem Konflikt rund um den Ausbau von Förderunterricht für Risikoschüler und gleichzeitigen Kürzungen von Zusatzstunden in Volksschulen. Und dann schreibt Kappacher: "Oder wie SPÖ-Chef Bürgermeister Michael Häupl es ausgedrückt hat: Wir bedienen unsere Klientel und nicht die Bobos der Grünen."

Mir ist schon klar: das ist kein wörtliches Zitat (zumindest kann ich das so nicht finden), aber es ist selbstverständlich der Grundgedanke dahinter - mit dem die SPÖ auch nicht allein dasteht.

Ich kann aber auch diesen Grundgedanken nicht verstehen; und halte ihn für in vielerlei Hinsicht gefährlich. Er ergäbe nur Sinn, wenn Michael Häupl, dem Chef-Lenker all der hier besprochenen politischen Leitlinien, für die Zeit nach seinem Rücktritt die Parole "nach mir die Sintflut!" ausgegeben hätte - oder eine sensationelle Finte im Hintersinn hätte.

Ich kann nämlich keine zukunftsrelevante SPÖ-Klientel erkennen. Auch nicht im SP-trächigsten aller Länder, der Gemeinde Wien.

Die SPÖ-Wähler sind tendenziell über 60. Bei den Jungen, also den Unter-60-Jährigen, kann die Sozialdemokratie nur noch 25 Prozent auf sich vereinen, bei den Kiddies unter 30 sind es nur noch 20 Prozent. Österreichweit.
In Wien lag man 2010, als man mit 44 Prozent ein okayes Ergebnis einfahren konnte, in diesen beiden Gruppen noch knapp unterm Schnitt. Aktuell, bei umfragemäßigen 35 Prozent , steht man schon recht nah am Österreich-Schnitt. Auch im roten Wien.

Denn abgesehen von den Pensionisten bedient die SPÖ keinerlei fassbare Klientel.

Die wütenden jungen Männer gehen lieber gleich zum FPÖ-Original, die pragmatischen jungen Frauen fühlen sich bei den Grünen verstandener. Die von Phantom-Ängsten (Ausländer-Überflutung) und realen Befürchtungen (Mittelschicht-Verschwinden, verstärkte Armut trotz Arbeit) aller Art geplagten 30 bis 60-Jährigen sind längst nicht mehr durch gezielte Einzel-Zuwendungen, kollektive Gesten oder Bildungs-Offensiven zu beeindrucken. Die (von der SP als Gratis-Nachhilfe verbrämt) Problemschüler-Stärkung etwa wird - wie so viele Gemeinde-Aktivitäten - als selbstverständliche Pflicht angesehen und von niemanden als lockende Kür verstanden. Auch nicht von den Wienern mit Migrationshintergrund, die schon längst kein Problem mehr mit dem FPÖ-Wählen haben.

So etwas wie eine durch Maßnahmen, die früher klassische Bindungserfolge erzielt hätten, formbare kritische Masse an Stamm-Klientel existiert nicht mehr. Zumindest jenseits der Pensionisten.

Eine klassische Klientel-Politik steht kleinen Parteien wie den Neos (oder in Wien der ÖVP) zu, die nicht mehr als ein demoskopisch errechenbares Maximum erreichen können. Schon die Wiener Grünen sind längst auf den Geschmack gekommen und suchen mit populistischen Maßnahmen alle möglichen Bevölkerungsgruppen jenseits ihrer (sowieso treulosen) Stamm-Klientel, die sie ein Stück des Weges begleiten wollen.

Eine politische Kraft hingegen, die sich als Volkspartei definiert, kann sich eine solche Selbstbeschränkung nicht leisten - es sei denn, sie beabsichtigt sich zu spezialisieren. Das wäre die zuvor angesprochene mögliche Häupl-Finte: die SPÖ spezialisiert sich auf die Ü60, die zahlenmäßig stärkste (and counting...) Kraft im Land, eine Klientel, von der man hofft, dass sie denkarttechnisch irgendwann automatisch schon in die hohle Gasse kommen wird, die man angebotsmäßig exklusiv zu beackern hofft.

Will die SPÖ von ihrem Leitmotiv der bewusst gesetzten Klientel-Politik nicht abrücken, ist diese Spezialisierung die einzig mögliche Überlebenschance; österreichweit früher, in Wien ein paar Jahre später - beides aber schneller als man glauben mag.

Für eine Volkspartei, die auf einer breiten Basis aufsetzt, ist dieser wie jeder andere Gedanke an Klientel-Politik jedoch unziemlich. Und mit einem todsicheren Selbstzerstörungs-Mechanismus versehen.