Erstellt am: 15. 10. 2014 - 12:18 Uhr
Ebola als Beruhigung
Mit Akzent
Die unaussprechliche Welt des Todor Ovtcharovs. Jeden Mittwoch in FM4 Connected (15-19h) und als Podcast.
"Die Leiden des jungen Todor"
Das Buch mit den gesammelten Kolumnen gibt es ab sofort im FM4 Shop.
Als Kind dachte ich, es gäbe nichts Langweiligeres als Nachrichten. Sie unterbrachen immer die Kindersendungen. Ernsthafte Menschen erzählten etwas, und meine Eltern veränderten sich. Die Wangen meiner Mutter wurden immer rot und mein Vater zupfte besorgt seinen Bart. Seitdem weiß ich, dass Nachrichten nie gut sind. Ich kam selber zur Erkenntnis, dass gute Nachrichten keine Nachrichten sind.
Heute schaue ich mir jeden Abend die Nachrichten an. Zuerst die österreichischen und danach die bulgarischen.
Wir schauen die österreichischen Nachrichten, damit meine liebe M. ihr Deutsch verbessern kann. Seit einigen Monaten kann sie den Bundeskanzler von seinem Vize unterscheiden. Ich bin neidisch auf sie, da ich es immer noch nicht ganz kann.
Der Akzent in den österreichischen Nachrichten fällt immer auf die internationalen Geschehnisse. Lokal passiert nichts Apokalyptisches und die internationalen Tragödien beherrschen die Nachrichtenwelt der Österreicher.
Die IS-Jihadisten in Syrien rücken immer vor und sind an der Schwelle, die kurdische Stadt Kobanê zu erobern. Viele von diesen Jihadisten sind europäischer Herkunft und sind dorthin gereist, um für den "wahre Glauben" zu kämpfen.
(Es erwacht die Angst, dass unser muslimischer Nachbar ein potentieller Jihadist ist, eigentlich ist er Kellner im Restaurant nebenan.)
In der Ukraine ist die Lage weiter unklar. Man weiß nicht, wie es mit diesem Land weitergehen wird nach dem Bürgerkrieg, der gleichzeitig von Russland und den USA angefacht wurde.
(Es entsteht Nostalgie, nach der Zeit, als die Ukraine ein sicherer Ort war, als sie zwischen dem Russischen Reich und Österreich-Ungarn gespalten war.)
Die Energiesicherheit in Europa ist instabil.
(War es richtig, dass die OMV einen Vertrag zur Kollaboration mit Gazprom unterzeichnet hat?)
Das Ebola-Virus rückt immer näher und hat Europa schon erreicht.
(Alles war okay bis die verdammte EU mit ihrer Reisefreiheit kam. Alle Probleme kommen von außen. Wir sollten einen neuen eisernen Vorhang errichten!)
Ganz spontan fällt mir der Satz von Noam Chomsky ein: Je freier die Medien sind, desto raffinierter werden sie kontrolliert.

EPA/NIAID
Mit M. schaue ich mir auch die bulgarischen Nachrichten an. Sie beginnen üblicherweise mit der lokalen Lage. Deren Beschreibung ist meist apokalyptisch genug. Falls es keine großen Katastrophen wie Überschwemmungen oder Erdbeben gibt, vertiefen sich die bulgarischen Nachrichten in persönliche Tragödien: Eine Oma ist in ihrem Haus von minderjährigen Einbrechern ausgeraubt worden, ein Kabeldieb wurde in einer Elektroschaltstelle lebend gebraten, ein Kind wurde von einem Auto auf dem Zebrastreifen vor seiner Schule überfahren. Der Ton, in dem die Nachrichten erzählt werden, erzeugt eine ungeheure Spannung. (Vor Jahren gab es eine Nachrichtensprecherin, die fast immer am Weinen war. Das brachte das Fernsehpublikum auch zum Weinen.)
Nach den lokalen Nachrichten kommen die internationalen Meldungen über die IS, Ebola oder Massenerschießungen in der Ukraine. Sie wirken wie eine Art Erleichterung für die Zuschauer. "Seht", sagen die Nachrichten, "es gibt Menschen, denen es noch schlechter geht als euch". Sie wirken wie eine kollektive Psychotherapie. Es stimmt, dass es völlig unklar ist, wann das bulgarische Parlament eine Regierung bilden wird. Es stimmt auch, dass keine einzige Partei ein Programm hat, um das Land weiterzubringen. Eine der größten Banken ist pleite und es ist unklar, ob die Menschen, die ihr Geld dort hatten es je zurückbekommen werden... Aber wenigstens ist Ebola noch weit weg. Die Nachrichtensprecherin verkündet das Vorrücken der IS-Kämpfer in Syrien mit einem beruhigenden Ton. Die internationalen Nachrichten in Bulgarien werden als ein Gegengift gesehen, ein Lüftung für die Gesellschaft, die sonst in ihren eigenen Problemen ersticken wird.
Ich bin erwachsen geworden, ich zupfe immer besorgt an meinem Bart an, wenn ich mir Nachrichten anschaue. Aber wenigstens lernt M. Deutsch dabei.