Erstellt am: 29. 10. 2014 - 13:55 Uhr
Indiepop im Schlagerstudio
"This is how it ends / seems like a good place to start..."
Wer hören will muss fühlen
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Wann immer mir diese Textzeile in den Kopf kommt, ist er sofort da. Dieser wundervolle Song mit seiner melancholischen Keyboardmelodie, dem gefühlvollen Gesang, den epischen Streichern und der unwiderstehlich herzzerreißenden Atmosphäre.
Mit "Kamaro's Song" ist der Grazer Band Polkov ein absoluter Ohrwurm und Indiehit gelungen. Aber das ist erst der Anfang...
Luzide Träume im Schlagerstudio
Eigentlich unglaublich, dass Polkov erst vor zwei Jahren das Licht der heimischen Musiklandschaft erblickt hat. Ihr Debüt wirkt, als hätten hier junge Musiker eine elendslange Entwicklung durchleben müssen, um so zu klingen, als käme alles mit Leichtigkeit wie aus einem Guss. Das Projekt wurde von Laurenz Jandl und Paul Pfleger gegründet und ist eine Splittergruppe aus verschiedenen österreichischen Popbands, das mittlerweile zu einem sechsköpfigen Kollektiv angewachsen ist. Innerhalb weniger Monate hat die Band gelernt, auf allen Ebenen miteinander zu harmonieren. Das macht der bombastische und trotzdem transparente Sound ebenso deutlich wie das ausgeklügelte Arrangement der Songs. Kein Ton ist hier zu viel, keine herrliche Melodie zu wenig.
(c) Alex Krischner
Gleich die zweite Nummer "Reverie" des selbstbetitelten Debüts entführt uns in die träumerische Soundlandschaft, durchzogen von akustischen Folkklängen, zartem Schlagzeug und über allem schwebt diese psychedelische Atmosphäre, nicht zu wissen, was hier Tagträumerei und was Realität ist. Ein Thema, das sich durchs ganze Album zieht. Schließlich hat sich Paul intensiv mit der Möglichkeit luziden Träumens beschäftigt, also wie man durch Übung seine Täume bewusst steuern kann. Manchmal hat der Polkov-Gitarrist und Sänger es sogar geschafft, geträumte Songs niederzuschreiben, auch wenn die im Traum gespielten Akkorde in der Realität ganz andere Griffe benötigten. So ganz 1:1 luzid zu träumen gelingt wohl nicht, und so spannend es auch ist, leide doch auch die Schlafqualität darunter, meint Paul.
Polkov
Also doch lieber im Hier und Jetzt mit der ganzen Truppe in ein Studio gehen und Songs aufzeichnen, die schon lange im Kopf herumschwirren. Dazu hat es das Grazer Kollektiv in ein altes Schlagerstudio in der Nähe von Hartberg verschlagen. Trotz muffigen Geruchs zeigte sich die Band begeistert von den Möglichkeiten, in mehreren Räumen zeitgleich Songs live einzuspielen. Und genau das hört man der Platte auch an. Die herrliche Dynamik, das Ineinandergreifen der verschiedenen Instrumente, diese magischen Momente, wenn sechs Musiker zusammen spielen. Das alles ist bei jedem Song herauszuhören. Egal ob es das ruhige Stück "Strangers" ist, bei dem sich immer wieder ein verstörender Lärmteppich dazumischt, oder ob es das beschwingte "Paul's 316th Dream" ist, das gekonnt zwischen Beatles, David Bowie, Brit-Pop und klassischem Singer/Songwritertum pendelt.
Polkov live in Österreich:
- 30. Okober: Fluc Wanne, Wien (Album-Präsentation)
- 31. Oktober: Forum Stadtpark, Graz (Album-Präsentation)
- 12. Dezember: Kling Klang, St. Pölten
Ein Instrument, das sich wie ein roter Faden durch das Klanguniversum von Polkovs Debüt zieht, ist die Pedal-Steel-Gitarre, gepsielt von Jon Graboff, der schon mit Noel Gallagher, Norah Jones und Ryan Adams zusammengearbeitet hat. Erstunlich auch, dass die Grundstrukturen der Songs genug Raum und Platz gelassen haben für diesen warmen Sound, der sich gut mit den nachträglich eingespielten Streichern und Bläsern mischt. Alles zusammen kann dann schon wie eine richtig große Calexico-Hymne klingen, wie bei der zweiten Single "Promised Land".
Polkovs Debüt ist eine umwerfende Platte, ein zartes und eindrucksvolles Gesamtkunstwerk. Feingliedrig, detailverliebt und mit viel Gefühl. Und wenn man in diesen kalten und nebligen Tagen einen Balsam für die deprimierte Herbstseele braucht, dann hilft eine intime Ballade wie "Pictures", die das Herz wärmt und einen von in der Wiese liegenden Sonnentagen träumen lässt.