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Zita Bereuter

Gestalten und Gestaltung. Büchereien und andere Sammelsurien.

11. 10. 2014 - 10:00

Mädchenhimmel!

Von der Eifersucht, tatenlosen Männern, dem schlechten Ruf und dem prekären Leben ohne Engagement. Kniefall vor den ausgezeichneten Gedichten und Geschichten von Lili Grün aus den 1920er und 1930er Jahren.

"Mein kleiner Junge, kokettier' nicht mit mir,
Ich hab' andere Sorgen.
Den ganzen Tag lauf' ich herum,
Um Geld für die Miete zu borgen."

Lili Grün

Österreichische Nationalbibliothek

*Später auch Lily Grün

Lilli* Grün ist 25 Jahre alt, als ihr "Monolog" am 25. 9. 1929 in der Berliner Zeitung erscheint.

"---Ich bin im Februar neunzehnhundertvier in Wien geboren,
Frühzeitig hab' ich Vater und Mutter verloren.
--- Sollte es mir gelingen, die freiwerdende Stelle
Bei Ihnen zu bekommen, sehr verehrter Herr Direktor,
Dann werde ich mich bemühen, meinen Pflichten stets nachzukommen."

Tatsächlich kam Lili Grün als Elisabeth Grün im Februar 1904 in Wien auf die Welt, verlor früh ihre Eltern und wollte Schauspielerin werden; nahm Schauspielunterricht, erlernte als Brotberuf erfolglos "Kontoristin", um die Büroarbeit bald gegen eine Ausbildung als Modistin auszutauschen.

Das Gedicht kann also durchaus als Bewerbung gelesen werden.

Als Schauspielerin fand Lili Grün in Wien kaum Rollen, sie zog nach Berlin, wo noch mehr SchaupsielerInnen um die wenigen Rollen kämpften.

In "Tränen der Kollegin" beschreibt sie das aussichtslose schwierige Vorsprechen einer Kollegin: "Zwischen ihr und diesen großen Rollen steht die unübersteigbare Chinesische Mauer, die noch kein Anfänger ohne Protektion, Zufall und Glück durchbrochen hat."

Im Kabarett (u.a. um Hanns Eisler) fühlt sich Lili Grün schließlich mit ihren Gedichten und lyrischen Songs gut aufgehoben.

Sie skizziert den Alltag, Probleme wie Sehnsüchte und Träume. Was sie beschreibt, gleicht dem Konzentrat des in Gedichten mit großartigen Titeln wie "Elegie bei einer Tasse Mocca", "Jung enttäuscht", "Weißt du, was mich schrecklich kränkt?", "Weihnachtsvorbereitung einer Junggesellin" oder "Notschrei einer allzu Braven" oder in Geschichten wie "Tatenlosen Männer", "Wir sind eifersüchtig", "Sein schlechter Ruf", "Engagementlos", „"Selbstmord ganz vergeblich" oder "Endlich allein!".

Man liest diese Momentaufnahmen und mag nicht glauben, dass die fast 90 Jahre alt sind.

Aus der Zeit gefallen scheinen diese selbstironischen melancholischen, teilweise lakonischen Beobachtungen. Gleichzeitig sensibel wie selbstbewusst. Poetisch wie rotzig.

Ein Fräulein erwacht in einer fremden Wohnung

Sie schmeckt mir nicht, die so geliebte Morgenzigarette –
Ach, wenn ich bloß 'ne andres Sorte hätte;
Natürlich, ausgerechnet so ein starkes Kraut,
Und überhaupt – ich will nach Haus
In mein Bett!
Und mich ausstrecken
Unter gewohnten, geliebten, vertrauten Decken,
Und ich will meine Zahnbürste
Und meine Badewanne
Und meine eigene praktische Kaffeekanne,
Nicht dieses fremde, scheußliche Ding
Mit diesem ausgefallenen Muster,
Ausgerechnet 'ne Blume und ein Schmetterling,
Einfach verrückt!
Was hat denn der Junge da nur für Manieren?
Du lieber Himmel, so kann man sich irren?
Gestern abend war er doch wirklich scharmant,
Und heut ist er öd, scheußlich und unbekannt.
Ob denn das wirklich alles nötig ist – ?!
Ach, das kommt nur daher,
Daß man immer wieder in Romanen liest,
Daß es so was wie Abenteuer gibt.
Und jetzt in die Lackschuh' hinein,
Die tun doch weh, sind eng und brennen,
Und überhaupt – ich mag nach Haus
In mein Bett und flennen!
Ich bin so verknautscht.
Ach ja, mein Liebling,
Am besten ist's, du rufst mal an
Und kommst dann auf ganz gemütlich zu mir.
Olivia drein drei null vier,
Wo hab' ich denn bloß die Telefonnummer her?
Ist das nicht die von Hedi Stehr?
Ach was, der Junge macht sowieso keinen Gebrauch davon,
Wenn der anruft, laß' ich mich hängen,
Und überhaupt – wir wollen diese Nacht lieber verdrängen!
(6.6.1931 Berliner Tageblatt/Morgen-Ausgabe)

Nachdem sie an Tuberkulose erkrankt, kehrt sie nach Wien zurück und schreibt den Roman "Herz über Bord". Die Presse schwärmt von dem "prachtvollen" Roman der 29jährigen. „"Sie wird ihren Weg machen", war man sich sicher.

Doch der führte sie über Prag nach Paris und aus Geldnot und durch die erneute Erkrankung Anfang 1935 wieder nach Wien, wo sie ihren zweiten Roman "Loni in der Kleinstadt" fertigstellt. Nur wenige Jahre später darf sie als jüdische Schriftstellerin nicht mehr publizieren. Lilli Grün kann aus gesundheitlichen und finanziellen Gründen nicht emigrieren. Sie wird am 27. Mai 1942 aus Wien deportiert und am 1. Juni 1942 in Maly Trostinec ermordet.

Im 2. Bezirk findet man in der Heinestraße 4 einen "Stein der Erinnerung" für Lili (Elisabeth) Grün und bei der Klanggasse/Castellezgasse ist ein Platz nach ihr benannt.

buchcover maedchenhimmel

AvivA Verlag

Lili Grün: Mädchenhimmmel! AvivA 2014

Die Wiederentdeckung von Lili Grün ist Anke Heimberg zu verdanken. Im Berliner AvivA Verlag hat sie die Romane "Alles ist Jazz" (Originaltitel "Herz über Bord") und "Zum Theater!" (Original "Loni in der Kleinstadt") neu herausgegeben.

Vor allem aber hat Anke Heimberg erstmals die Gedichte und Geschichten versammelt, die in den 1920er-/1930er Jahren in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften publiziert wurden.

Dieser Band wurde am 10. Oktober 2014 bei der Frankfurter Buchmesse mit dem Melusine-Huss-Preis ausgezeichnet, der von der Hotlist der unabhängigen Verlage vergeben wird.

Wann, wenn nicht jetzt sollte man Lili Grün lesen?
Man wird es sicher nicht bereuen!