Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Vom Leben gelernt"

Irmi Wutscher

Gesellschaftspolitik und Gleichstellung. All Genders welcome.

9. 10. 2014 - 18:07

Vom Leben gelernt

Sie ist mit Mitte zwanzig erfolgreiche Serienproduzentin, Hipster-Königin von Brooklyn, Sprachrohr einer ganzen Generation junger Frauen und Watschenfrau der Twitteria. Jetzt hat Lena Dunham ein Buch geschrieben, es heißt "Not that kind of girl – was ich im Leben so gelernt habe".

Lena Dunhams Twitter.

Seit Tagen sind meine Facebook- und Twitter-Feeds voll mit Kommentaren zu Lena Dunham und ihrem neuen Buch - wenig verwunderlich, ist sie doch neben Serienproduzentin, Kolumnistin der New York Times und It-Girl Fashion Icon und gerade eine der öffentlichsten Figuren der Medienwelt. Dass ihr Buch aber fast gleichzeitig mit dem Amerikanischen Original auf Deutsch erschient, war doch erstaunlich. Scheinbar ist die Berühmtheit der "Coolest Person of the Year" des Time Magazine so groß, dass ihr Buch ähnlich gute Verkaufszahlen wie Harry Potter verspricht.

Über drei Millionen Dollar Vorschuss soll Dunham für ihr Buch bekommen haben. Ein Umstand, der die Internet-Gemeinde erzürnt hat, und viele der Gossip-Seite Gawker darin Recht geben, dass die geleakten ersten 66 Seiten des Proposals von einer "übelkeitserregenden Pose der Altklugheit" künden.

Lena Dunham

http://blog.shankbone.org/

Und ja, Lena Dunham erklärt uns ein bisschen die Welt in "Not that kind of girl" – ihre Welt – und hofft, dass jede ihrer falschen Entscheidungen bezüglich Sex, jeder elende Job den sie durchstehen musste, uns vielleicht helfen könnte, einen Fehler weniger zu machen.

Mit dem Erwachsenwerden klarkommen

Fehler machen – das wäre ja meine persönliche Zusammenfassung der Fernsehserie GIRLS, mit der Lena Dunham bekannt geworden ist.

GIRLS ist die HBO-Serie, die Lena Dunham mit 24 geschrieben hat, Regie geführt und auch gleich die Hauptrolle gespielt hat. Die Serie dreht sich um vier Frauen Mitte 20 in New York. Es geht um das erste Zurechtfinden beim Erwachsenwerden: schlecht bezahlte Jobs, Partys-Drogen-Ausgehen. Frauenfreundschaften, wo man sich zwischendurch schon mal hasst oder anbrüllt. Beziehungen, in denen man steckt ohne genau zu wissen, wieso. Oder auch psychische Krisen, weil man die Arbeit nicht hinkriegt.

Die 4 Hauptcharaktere der Serie "Girls"

HBO

Dazu muss ich sagen, dass ich nicht uneingeschränkt begeistert von der Serie bin. Mir gefällt das realistische – soweit eine Serie halt realistisch sein kann – die unbeholfenen Sexszenen. Dass Lena Dunham ihren Körper unvorteilhaft in Szene setzt, dass man sie oft in zu engen kurzen Shorts oder mit hochgerutschtem Kleid am Boden liegend sieht – und sie dabei schöne Hipster-Indie-Mode trägt, ohne die dafür perfekten Hüften/Haare/Beine etc. haben zu müssen. Aber auf der anderen Seite, diese nervigen Dialoge? Der permanente Imperativ, "alles ausprobieren zu müssen"? Und müssen alle Charaktere immer die dümmsten aller Entscheidungen treffen?

Keinen Sex, aber angebrüllt

Im Prinzip ist "Not that kind of Girl" der Serie GIRLS recht ähnlich. Erzählungen aus Lena Dunhams Leben gruppiert rund um die Themen Liebe/Sex, Körper, Freundschaft, Arbeit und das große Ganze. Es gibt Stories vom ersten Mal und von komischen Exfreunden. Buzzfeed–ähnliche Listen darüber, was Lena Dunham von ihrem Vater oder ihrer Mutter gelernt hat, was sich in ihrer Handtasche befindet oder – Achtung HypochonderInnen – "Die Top Ten meiner Ängste in Sachen Krankheiten" (große Empfehlung – außer das ich jetzt auch schon sämtliche Symptome an mir feststelle).

Am stärksten fand ich persönlich das Kapitel "Wir hatten keinen Sex aber sie haben mich angebrüllt" – Lena Dunham plant hier eine Abrechung, die sie mit 80 machen wird. Da geht's um so gewisse Männer in Hollywood, die auf junge Frauen zukommen und ihnen sagen, sie würden sie gerne schützen, ihnen helfen. Im Buch heißen sie "Lichträuber".

Männer, die schon ein bisschen zu lange dabei sind, die keine Lust mehr haben, aber noch nicht bereit sind auszusteigen. Sie suchen nach einer neuen Form von Energie, von Bestätigung. Das hat mit Sex zu tun, ist aber nicht dasselbe wie Sex. Sie wollen dir viel mehr abnehmen, als deinen Tanga auf der Rückbank ihres Lexus. Sie wollen deine Ideen, deine Neugier, deine Lust, morgens aufzustehen und etwas Kreatives zu machen.

Keine Geheimnisse

Lena Dunham veröffentlicht auch einen Tagebuchauszug über einen Abnehmversuch, worin alles Gegessene mit Kalorienwert aufgelistet ist – sie schreibt, das sei das geheimste und demütigendste Dokument auf ihrem Computer. Immer wieder stellt sie klar, dass sie keine Geheimnisse haben kann, für sie muss alles ausgesprochen und ausdiskutiert werden. Zum Beispiel als sie es nicht aushält, dass ihre Schwester ihr erzählt dass sie lesbisch ist und sie irgendwann vor den Eltern damit herausplatzt – bevor die Schwester es ihnen selbst sagen kann.

Auch Nacktsein oder Sexszenen vor der Kamera überschreiten ihre Schamgrenze nicht. Lena Dunham weiß ganz genau, dass die ganzen Menschen, die sie fragen, woher sie den Mut nimmt, ihren Körper nackt zu zeigen, eigentlich wissen wollen, woher sie den Mut nimmt, ihren unvollkommenen Körper nackt zu zeigen. Ihre einfache Antwort: Sie braucht keinen Mut dafür, weil das nicht etwas ist, wovor sie sich fürchtet.

Buchcover

S. Fischer Verlag

"Not That Kind Of Girl – Was ich im Leben so gelernt habe" ist in einer Übersetzung aus dem Amerikanischen von Sophie Zeitz und Tobias Schnettler im S. Fischer Verlag erschienen

Allerdings gibt es schon auch eine Geheimnis-Grenze für Dunham: Als die Gossipseite Gawker Teile des unfertigen Manuskripts zum Buch geleakt hatte, war das für sie eine wahre Bloßstellung, schlimmer als nackt vor der Kamera zu sehen zu sein. In einem Interview sagt sie dazu:

"To me, it's such a huge violation. I would rather you took pictures of my boyfriend and me on vacation than put out my unedited work. It was really unfair because so much of it was focused on the advance I got for the book, and I have rarely seen a man attacked or put on trial like that, with the public saying, 'Do you deserve your money?'"

Ja, aber

Ja, Lena Dunham ist ein bisschen die Watschenfrau der Twitteria und Gawker scheint sie zu ihrer persönlichen Feindin erklärt zu haben. Und ja, in einigen Dingen ist sie sehr ichbezogen und blind gegenüber eigenen Privilegien. In der ersten GIRLS-Staffel ist einfach keine einzige Person mit dunkler Hautfarbe vorgekommen. Und die Serie besteht ausschließlich aus First-World-Problems und eigenartigen Gesprächen darüber. Aus dem Buch wissen wir, das Lena Dunham therapiert und gecoacht wird, seit sie klein ist. Dass sie zwei erfolgreiche Künstler als Eltern hat, auf speziellen Kreativschulen war und später das superliberale Oberlin-Arts-College besucht hat. Also zehn Kilometer Startschubser vor allen anderen.

Darf frau jetzt Lena Dunham gut finden oder ist sie Verräterin aller unserer feministischen Werte (as suggested on Twitter & Co.)? Meine Antwort: Ja.
Auch wenn ich GIRLS nicht uneingeschränkt klasse finde, bin ich froh um das erfrischende Frauenbild, das hier gezeichnet wird. Und ich finde Lena Dunham als Person gut, freue mich über jedes Bild von irgendeinem roten Teppich, über jeden blondgefärbten Topfhaarschnitt, der vermutlich gerade in ganz Brooklyn nachgestylt wird. Das schönste ist: Lena Dunham macht ihre Sache, so wie sie das will. Der Boss ist bei allem immer sie selbst, auch bei den Sexszenen:

Sich nackt ausziehen fühlt sich an manchen Tagen besser an anderen schlechter. Doch ich tue es, weil mein Boss es von mir verlangt. Und mein Boss bin ich. Wenn man nackt ist, ist es schön, die Kontrolle zu haben.