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Johanna Jaufer

Revival of the fittest... aber das war noch nicht alles.

9. 10. 2014 - 19:38

Notfalls lachen

Er liegt in einem Pfefferonifeld nahe der türkisch-syrischen Grenze und beobachtet den Kampf um die Kurden-Enklave Kobanê aus nächster Nähe. Der IT-Techniker @cahitstorm hält via Twitter Tausende auf dem Laufenden. Ein Telefonat.

Seit Wochen verteidigen die kurdischen Volksschutzeinheiten YPG/YPJ die Enklave Kobanê gegen den sogenannten "Islamischen Staat". Die 50.000-Einwohner-Stadt direkt an der Grenze zur Türkei ist vom "IS" umstellt, die Kämpfer in der Stadt völlig abgeschnitten von jeglicher Versorgung. Wie viele Zivilisten sich noch in Kobanê befinden, lässt sich nicht genau sagen. Unterstützung bekommen die Kurden lediglich aus der Luft – die "westliche" "Anti-IS-Koalition" bombardiert Panzer und IS-Einheiten.

Viele Mitglieder der Stadtverwaltung kämpfen selbst mit, fast die Hälfte davon Frauen. Seit ca. zwei Jahren bilden die kurdischen Enklaven in Nordsyrien ein selbstverwaltetes Autonomiegebiet. Eine demokratiepolitische Ausnahmeerscheinung in der Region: Im "Rojava" genannten Siedlungsgebiet leben unterschiedliche ethnische und religiöse Gruppen gleichberechtigt zusammen.

Zu wenig intensiv, sagen die Kurden, die Munition geht zur Neige und der IS ist dank ausreichend Nachschub aus dem Hinterland dabei, Kobanê einzunehmen. Von der Türkei werden keine der vielen Freiwilligen, die sich den kurdischen Kämpfern anschließen wollen, nach Kobanê durchgelassen. Die Lage der Flüchtlinge auf der türkischen Seite ist verzweifelt, viele sind seit Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs schon zum zweiten oder dritten Mal geflohen. In ganz Europa entlädt sich währenddessen die Wut der Kurden gegen Grenz-Embargo und Einfallen des IS in heftigen Straßenschlachten.

Auf der türkischen Seite der Grenze hat vor ein paar Tagen ein ganz spezieller Experte Position bezogen. cahitstorm postet minütlich Updates zur Lage in Kobanê. Der kurdische IT-Techniker arbeitet normalerweise in einer nahen türkischen Stadt. cahit gestern Nachmittag nach Erreichen der 5000-Follower-Grenze (des Rätsels Lösung kann man er-scrollen auf twitter.com/cahitstorm/media):

Vor zehn Tagen sei er noch mit Freunden Cocktails trinken gewesen, jetzt liegt cahit in einem Pfefferonifeld, beobachtet Luftangriffe, postet Bilder von IS-Panzereinschlägen und informiert mehr als 6000 Menschen aus der ganzen Welt über Truppenbewegungen und Neuigkeiten aus der umkämpften Stadt.

Auf seiner Seite der Grenze bemüht sich cahit, nicht vom türkischen Militär entdeckt zu werden. In der Nähe wird demonstriert, Tränengas und Knüppeleien sind keine Seltenheit: Türkische Einsatzkräfte, die vor der Grenze zusammengezogen worden sind, haben den Auftrag, Protestierende wegzuscheuchen. Die Reporter Paul Adams (BBC) und Jenan Moussa (Al Aan TV, Dubai) können davon ein Lied singen.

Hintergründe zu Kobanê

Updates

cahit: It is a madness. People are sending me pepper pics from all over the world: South Africa, India, Mexico, Spain, Germany, from everywhere. Many people are sending me support messages. I don't know why but I thank them. I didn't expect this and I still don't know why my account is so popular because I have done nothing. People are crazy.

Trotz der gespannten Lage strahlt cahit so etwas wie Gelassenheit aus. In seinen Messages schreibt er von "Skorpionen, Pfefferoni und Daesh (der arabische Name für den IS)", "alle drei brennen mir in den Augen". Ich frage ihn, wie er sich trotz Angst und Schrecken ringsum seinen Humor bewahrt. Er antwortet mit einer messerscharfen Diagnose zum Vorgehen des sogenannten "Islamischen Staats": Angst sei deren Sache. "Das ist ein Psychokrieg, sie verbreiten Angst und Verzweiflung, (nur) darin sind sie stark. Ich fürchte mich nicht".

I am in a pepper field with smoke and snipers and explosions. It's better to laugh at this.

Informationen, die er nicht sicher belegen kann, stellt cahit nicht online, und hält auch manches zurück, von dem er nicht will, dass es IS-Anhänger erreicht. Auf die Frage wie er denn die tatsächliche Lage der kurdischen Kämpfer einschätzt, kommt eine klare Antwort: Solange die Türkei keine Hilfe nach Kobanê lässt – nach einer Veränderung der Lage sieht es weiterhin ganz und gar nicht aus – hat Kobanê keine Chance. Die IS dringt immer weiter in die Stadt vor und Munition ist Mangelware. cahit will seine Plattform im Netz verwenden, um allen Involvierten Mut zu machen, große Chancen auf eine Niederlage des IS rechnet er sich aber nicht mehr aus.

"Auch wenn wir Kobanê jetzt verlieren", stellt cahit am Ende unseres Gesprächs voller Überzeugung fest, werde man die Stadt zurückerobern. Schließlich kenne er die Kurden.

Anruf bei cahit