Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Gender Trouble"

Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

8. 10. 2014 - 18:51

Gender Trouble

Keine Revolution, bloß eine flauschige, kleine Show für eine schönere Welt: "Transparent" wärmt die Füße. Eine der besten neuen Serien des Jahres.

FM4 in Serie

Mehr auf fm4.orf.at/serien

Die Welt ist ein fließendes Spektrum, die Identitäten sind flexibel, alles im Leben ist Performance. Wir brauchen allerhöchstens nur ganz besonders weiche Zäune. Hinter Zwist, Schwierigkeiten, Streit und der Abbildung von gesellschaftlicher Ächtung transportiert die von Jill Soloway (u.a. "Six Feet Under") ersonnene Amazon-Show "Transparent" doch eine hochpositive Message: Es ist möglich. Irgendwie dann doch. Wir können uns ändern, wir können sein, wer wir sind.

Ende September hat Amazon alle zehn Episoden der ersten Staffel der eigenproduzierten Serie zum Stream online gestellt. Man hat sich auch daran schon gewöhnt. "Transparent" funktioniert dann auch eher wie ein fünfstündiger Film in 10 Kapiteln denn wie eine Serie. Man kann und soll sich diese kleine, wundersame, fast schon magische Show locker in ein bis zwei Sitzungen ansehen.

Amazon

Amazon

Der bemühte Wortwitz im Titel ist schon das Unsubtilste an "Transparent". Der große Jeffrey Tambor, nach seiner Rolle als leicht despotischer George Bluth Sr. in "Arrested Development" hier in gegenteiliger Variante des Familienoberhaupts, gibt den der Serie den Namen spendenden Mort Pfefferman: Ehemaliger Professor, Denker und Autor, der sich im Alter von 70 Jahren entscheidet, nun auch endlich in der Öffentlichkeit als die Frau zu leben, als die er sich lange, lange schon fühlt. Mort ist Maura.

Die einstige Ehefrau ist längst schon in Kenntnis gesetzt, bloß den drei erwachsenen Kindern muss Maura noch die Wahrheit gestehen. Die Kinder, Ali, Josh und Sarah, zwischen Anfang 30 und Anfang 40, sind allesamt recht verzogen und egoistisch, schlafwandeln, mit den Finanzen der Eltern im Rücken gut abgesichert, durch Los Angeles.

Sarah ist vornehmlich Ehefrau, Josh als hip-cooler Checker im Plattenbusiness durchaus erfolgreich, hangelt sich von einer Affäre zur nächsten und will sofort und immer, diesmal aber wirklich, im aktuellen Gegenüber die große Liebe entdeckt haben. Bis er es wieder einmal verbockt, recht schnell. Ali, die Jüngste und Schlauste, macht nicht viel, mal ein bisschen studieren, dies oder das austesten, Drogen nehmen, hauptsächlich erproben wie, wo und mit wem sie ihr sexuelles Glück finden kann.

Transparent

Amazon

"Transparent" bewegt sich also auf gefährlichem Terrain. Die Show schnitzt jedoch sensibel. Kein Klamauk und kein bedeutungsschwangerer Schwafel-Mumblecore-Arthouse, auch wenn tatsächlich viel geplaudert wird, bevorzugt über Sex, Judentum, Musik, Sex und Essen. Der Trailer von "Transparent " verheißt zwar Indie-Comedy-Quirkiness, Ukulelen-Melancholie und die ach so süße Schrulligkeit eines Films wie "Little Miss Sunshine", diese Klippen of cutesy Schrägheit umschifft die Show aber meist souverän.

"Transparent" findet einen eigenen Ton zwischen seifenblasenleichtem Drama, leisem komödiantischen Grundrauschen und prinzipieller Luftigkeit. Nun ist "Transparent" sicher nicht perfekt, da und dort ertappt man sich dabei, genau zu wissen, was diese Show tun und sein will, lakonische Coolness, coole Lakonie versprühen, oder werden die Emotionalität und Originalität zu eindeutig in den Vordergrund gezerrt. Das sind nur kurze Momente, fast durchgehend ist die Show mühelos, träumerisch und, ja, schlicht wunderschön ins Bild gesetzt.

Die Dialoge zielen nicht auf krassen Witz, die Figuren sind oft abstoßend, unerträglich, nervig, dann liebenswert, verzweifelt und komplett nachvollziehbar. Die gesamte Cast, bis in die kleinsten Nebenrollen, beispielsweise Carrie Brownstein als Alis best friend und eventuelles love interest, Rob Huebel als Sarahs Ehemann, Melora Hardin als selbstverliebte Wohnraumdesignerin Tammy oder Katheryn Hahn als weiblicher Rabbi, ist kaum weniger als umwerfend. Unter den Hauptdarstellern glänzt Neben Jeffrey Tambor vor allem Gaby Hoffmann als trotzige, verwirrte Ali.

Eine prägende Rolle kommt dem Soundtrack zu: Neben dem zerbrechlichen Piano-Theme von Dustin O'Halloran befördert die Songauswahl viele der ohnehin schon mulmig machenden Szenen zu tatsächlich erhebenden Momenten: Bob Dylan, Neil Young, Bill Callahan, aber eben nicht die abgenutzten Superhits, sparsam eingesetzt, 70s-Songwriterkram und Softrock, Folk, alter Soul.

Derlei Szenen hat man oft schon gesehen, wie aber Ali und Josh am Ende von Episode 4 gemeinsam zu "Then You Can Tell Me Goodbye" von Bettye Swann den Frust wegtanzen, muss am Herzen rühren. Ebenso: Wie Maura und ihre neue beste Freundin Davina bei einem Talentwettbewerb eine längst schon totgespielte Nummer, "Somebody that I Used To Know" von Gotye, als Kommentar zur eigenen Wandlung interpretieren.

"Transparent" stellt die Normen und die Labels in Frage, lesbisch, schwul, transgender, bi, butch, straight, high femme. Was kann Familie bedeuten? Die Welt ist wild, viele Konstellationen sind möglich. "Transparent" handelt von Freundschaft, der ewigen Suche nach sich selbst und nach Liebe, von Eifersucht und Eigensinn. Und dann doch, bei allen Turbulenzen, vom familiären und geschwisterlichen Zusammenhalt. Es kann schön sein, es besteht Hoffnung. Ein die Brust wärmender Trost, ein kleines Glück.