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Todor Ovtcharov

Der Low-Life Experte

8. 10. 2014 - 16:00

Wen soll man wählen?

Zum zweiten Mal in den letzten zwei Jahren gab es in Bulgarien vorgezogene Parlamentswahlen. Die Wahlsieger enttäuschen die Bürger regelmäßig.

Dimo und ich warten in der Schlange vor dem Wahllokal in Wien, wo wir das neue bulgarische Parlament wählen wollen. Zum zweiten Mal in den letzten zwei Jahren gibt es in Bulgarien vorgezogene Parlamentswahlen. Dimo hat bisher nie einen Wahlgang verpasst. Er ist ein fröhlicher Mensch, der alles mit offenem Herzen annimmt. Dimo lügt nie und glaubt jedem alles. Er liest mit großem Interesse die Programme der Parteien und wählt immer diejenigen, die versprechen, das Land am schnellsten vorwärts zu bringen.

junger Mann tritt aus einer Wahlkabine

APA/EPA/VASSIL DONEV

Vor mehr als zehn Jahren wählte Dimo das erste Mal. Damals stimmte er für den ehemaligen bulgarischen Zaren Simeon II., der die Republik Bulgarien regieren wollte. Er versprach, dass er das Land in 800 Tage richten würde. Warum genau 800 und nicht 500 oder 1000 wurde nicht klar. Aber Dimo verstand schnell, dass das einzige was der Zar gerichtet hat, war, sein Landgut wieder zu bekommen.

Dimo wurde ein überzeugter Republikaner und wählte bei den nächsten Wahlen für die sozialistische Partei, die versprach den Zaren zu bestrafen und vor Gericht zu stellen. Wie groß war aber seine Enttäuschung, als die Sozialisten mit dem Zaren koalierten und ihn beschützten.

Bei den nächsten Wahlen wählte Dimo gegen die Sozialisten. Er stimmte für den ehemaligen Leibwächter des Zaren. Dieser charismatische Mensch mit dem Aussehen und mit den Manieren eines Gorillas hatte sich vom Zaren getrennt und eine eigene Partei gegründet. Dimo hatte gehofft, dass der Leibwächter gleichzeitig den Zaren und die Sozialisten bestrafen würde. Und wirklich: Am Anfang schimpfte er wütend gegen die beiden und ihre Partner der türkischen ethnischen Partei. Kurz danach aber ging er eine Vereinbarung mit dem Medienimperium der gleichen türkischen Partei ein. Sie gab ihm komfortable Berichterstattung und er ließ sie in Ruhe.

Bojko Borissow bei der Stimmabgabe vor Journalisten

APA/EPA/VASSIL DONEV

Der "Leibwächter" bei der Stimmabgabe

Dieses Mal war Dimo wirklich empört und entschied sich bei den nächsten Wahlen dafür, eine nationalistische Bewegung zu wählen, die versprach, alle vorherigen Machthaber zu bestrafen und die nationalen Interessen zu verfolgen. Wie groß war seine Überraschung, als die "nationalistische" Partei nach den Wahlen die nationalen Interessen von… Russland zu wahren begann?

Die letzte Regierung hat es geschafft, in sehr kurzer Zeit das Land in die erste Bankenkrise seit Mitte der 90er zu stürzen. Die EU-Förderungen für viele Infrastruktur- und Agrarprojekte wurden gestoppt. Die Berufung eines mafiösen Medienmoguls auf einen wichtigen Staatsposten brachte im Land massive soziale Unruhen hervor. Sogar in Wien, war Dimo geistlich mit den Protestierenden.

Während wir in der Schlange warten, fragt sich Dimo, wen er wählen soll. Ein großer Teil der Parteien hat nationalistische Tendenzen. Dimo aber will nichts mehr mit den Nationalisten am Hut haben. Andere sind ultrapopulistisch (eine Partei zum Beispiel verspricht eine Million neue Arbeitsplätze, während es in Bulgarien gar nicht so viele Menschen im arbeitsfähigen Alter gibt). Es gibt auch eine Koalition der verschiedenen "rechten" Parteien , die aber so zart ist, dass die Chance, dass sie zerfällt, wenn man an der Macht schnuppert ganz groß ist. Es gibt auch noch die Sozialisten und den Leibwächter.

In Dimo kämpfen der Drang, zu wählen, und die Enttäuschung durch so viele Parteien. Wir sind bald an der Reihe. Dimo betritt den "dunklen Raum". "Und wie ist deine Entscheidung gefallen?", frage ich. "Ich habe den ganzen Stimmzettel durchgestrichen!"

Acht Parteien sind im neuen bulgarischen Parlament.