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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

8. 10. 2014 - 15:53

The daily Blumenau. Wednesday Edition, 08-10-14.

Kein Zufall, keine Poesie, nur große Kunst. Christoph & Lollo halten österreichische Popmusik am gesellschaftspolitischen Puls.

The daily blumenau hat Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst.
Und bietet Items aus diesen Themenfeldern.

#pop&politik

Es gibt ja keine Zufälle.
Und deshalb war es auch keiner, dass ich das Album "Das ist Rock'n'Roll" auf einem Kinderspielplatz überreicht bekam. Zum einen, weil ich nicht zufällig dort war, direkt nach der Kindergarten-Abholung, wenn noch eine Runde Schaukeln und Rutschen angesagt ist. Zum anderen, weil der Christoph und der Lollo, die Überreicher, auch nicht zufällig dort waren. Sie saßen in der sogenannten Nest-Schaukel und posierten für ein Video oder einen TV-Bericht oder beides, befremdlich beäugt von Kindern, die dort auch reinwollten und unter der bösen Nachrede von loyalen Eltern.

Christoph & Lollo in der Nestschaukel

schreibmüller

Beweisbild aus 2002: die Nestschaukel-Besetzer sind einschlägig vorbelastet

Es ist auch kein Zufall, dass sich auf dem Album ein Stück mit dem Titel "Seit ich ein Kind hab'" findet, das so ungefähr alle Veränderungen, die der Lebensalltag mit Kind so mit sich bringt, aneinanderreiht und Neo-Eltern gleichzeitig zum Lachen und Weinen bringen muss. Denn die Feststellung der Tatsache, dass man Zeit damit verbringt drüber nachzudenken, welches Geräusch denn der Fuchs (das Tier, nicht der) macht, ist dabei noch das Unschuldigste.
Also alles kein Zufall.

Hier lobt die Österreich-Ausgabe der Zeit die beiden, da der Münchner Merkur und auch die heimische Presse kann nicht anders als Christoph & Lollo zu würdigen.

Christoph & Lollo-Albumcover

Pertramer

Und deshalb kann es auch kein Zufall sein, dass die neuen elf zu einer Veröffentlichung gebündelten Stücke von Christoph & Lollo just dann als CD erscheinen, wenn in meinem Umfeld wieder einmal die Frage nach der Popmusik als direkt zupackender gesellschaftspolitischer Kunstform gestellt wird. Und dass die dort erwähnte Ausnahmestellung von C&L (neben anderen, aber ganz wenigen Beispielen wie Attwenger) sich beim ersten Lollo-Such-Treffer auf der FM4-Seite, hier nämlich, gleich im schönen, titelgebenden Satz niederschlägt. Dass nämlich Poesie eine Ausrede ist.

Das stimmt so natürlich nicht. Nicht immer.
Poesie ist für den Wieder-Nicht-Literatur-Nobelpreisträger Bob Dylan, oder Andre Heller oder auch Gustav keine Ausrede, sondern Verpflichtung, innerer Drang. Und in den besten aller Fälle kommt trotzdem oder gerade deswegen auch der Drang, die Welt zu einem lebbareren Ort zu machen, durch die Poesie durch und setzt sich - in dichten Slogan-Hagel verpackt - in den emotionalen Andock-Stationen der Menschen fest.
So wie das - wieder einmal - jüngst bei Tocotronic der Fall war.

Aber weil es keine Zufälle gibt, stimmt es trotzdem. Für Christoph & Lollo jedenfalls. Ihr Talent ist das geschickte Verpacken von Moritaten, Befindlichkeiten und Analysen in eine schlichte und volksmusikalisch klassische, für jeden Menschen nachvollziehbare Form, deren direkte Anklage und deutliche An/Aussprache durch das ausgesucht höfliche Auftreten und grundfreundliche Wesen der beiden in einer Art abgemildert wird, die auch die größte Unverschämtheit als erträglich hinnehmbar transportiert.

Ihr Talent ist eben die Anti-Poesie. Das direkte verbale Zupacken, die an sich humorfreie Aufzählung des Anzuprangernden, die ihren Charme und Witz erst durch die Massierung der Fakten gewinnt.
Das ist selbstverständlich politisch.
Und damit meine ich nicht nur die Wahlkampfhymnen für die Parteien anlässlich der letztjährige Nationalratswahl, die an Schärfe und Klarsicht nicht zu übertreffen sind, sondern eher Stücke wie "Demokratie" oder "Du weisst ja wie die sind" vom neuen Album, also Texte, die sich aus immer wieder gedroschenen Alltags-Phrasen speisen und sich schlussendlich, nach der fast schon naiv-präzisen Begegnung mit dem freundlich-normalen Christoph & Lollo-Universum, als die Monster präsentierten, die sie sind.

Das ist kein Zufall und keine Poesie, sondern eine große Kunst. Und die gelingt C&L verlässlich, pro Veröffentlichung immer sicher zwei, dreimal. Ganz egal ob es um Burschenschaften, den Islam, Sponsorentum, Polizisten oder die Globalisierung geht.

Gestern wurde im Stadtsaal präsentiert, als Auftakt zu einer neverending Tour.

Und: schön, dass es auch andere aktuelle Ausnahmen gibt.

PS: siehe auch The daily Blumenau. Tuesday Edition, 02-09-14..

Daneben zünden die beiden Favoritner immer wieder Glanzlichter aus der Alltagshölle, und ja, in dieser Hinsicht sind sie - traditionslinientechnisch - tatsächlich die legitimen Nachfahren von Pirron und Knapp, und die waren ja auch politischer als sie der immer gern als Referenz hergenommene Klassiker übers Tröpferlbad ausweist. Auch wenn Christoph & Lollo da auf dem neuen Album die perfekte heutige Entsprechung, das Stück "In der Therme" draufhaben.

Eine bitterböse Nacherzählung wie diese lässt mich dann auch die etwas bierernste Vernichtung von Kunstscheiße (dem Stück das aktuell leider als einziges der vielen neuen auch ein Video hat) relativieren.

Denn klar, so etwas etwa macht sich, vor allem wenn es schwer angesäuselt und im Abzocker-Modus (Gratis-Karten schwarz verchecken, pfui Teufel...) daherkommt, leicht angreifbar. Und natürlich gehört das auch abgeklopft, parodiert und konfrontiert. Und solange Christoph & Lollo bei einer einzigen Veröffentlichung alles, was sonst in Österreich an Popular-Musik in einem Jahr erscheint, gesellschaftspolitisch aber sowas von in die Tasche stecken, dürfen sie sowieso alles.