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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

7. 10. 2014 - 13:38

The daily Blumenau. Tuesday Edition, 07-10-14.

Vertrauenskrise. Warum User/Leser/Seher ihren Medien nicht mehr so recht trauen, wieso aber auch Medien nicht zu sehr auf ihre User/Seher/Leser eingehen sollten.

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Dieser Tage in der Begegnungszone der Mariahilfer Straße: Ein junger Mann mit Anonymous-Maske erklimmt einen Betonblock und beginnt eine Rede ans vorbeiströmende Volk. Er werde, erklärt er in ausholenden, irgendwie an die Bühne erinnernden Gesten, ein Gedicht von Francois Villon rezitieren und es in erster Linie einmal allen Journalisten widmen. Und dann auch noch allen Politikern. Ob er danach noch die Mächtigen dieser Welt inkludiert, habe ich nicht genau gehört: mein Kind signalisierte durch lauten Protest nicht stehenbleiben zu wollen, der Mann war ihm (zurecht) unheimlich.

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Im Weitergehen, den Sound des Villon-Gedichts noch als Nachhall im Ohr, hatte ich ein assoziatives Deja-Vu: mir fiel die Zeit ein, in der ich zuletzt tragend vorgebrachte Villon-Gedichte gegen die Zustände der Zeit gehört hatte.
Es war Ende der 70er, ich war Teenager, die Arena-Bewegung und danach die Zwentendorf-Abstimmung hatten eine politische Protestkultur in die Stadt gebracht. In der alltäglichen Praxis bedeutete das, dass es so alle zwei Wochen irgendwo ein Grätzl- oder Gemeindebau-Fest gab, bei dem kritische Liedermacher und wilde Redner (heute würde man Aktivisten und Wutbürger dazu sagen) Auftritte absolvierten und man gemeinsam Bewusstseins-Bildung betrieb. Francois Villon, der nimmertote poète maudit aus dem 15.Jahrhundert wurde dort gerne zitiert, weil er vagante Lebensweise mit verbaler Radikalität ohne Selbstschonung verband.

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Auch bei diesen Gemeindebau-Festln wurden die Medien attackiert, die damals in würdeloser Einmütigkeit einer ultrareaktionären Kulturpolitik das Wort redeten, vor allem die Kronen-Zeitung und Dichands Kettenhund Staberl waren Ziel der durchaus ohnmächtigen Wut. Die damalige Medienszene bestand aus Partei- und Interessensgruppen-Zeitungen und dem stramm geführten Bacher-ORF, Rückkanal (wie das Internet) gab es keinen, liberale Positionen wie die des Standard auch nicht, der Falter war noch ein Underground-Programmheftl. Im Vergleich zu heute also alles ein stalinistischer Irrsinn.

Trotzdem wäre keiner der damaligen Protestierter auf die Idee gekommen, mit seiner Wut zuallererst den Journalismus zu attackieren. Auch weil die Aktivisten über eine gesicherte politische (natürlich linke, großteils marxistische) Bildung verfügten, und die tatsächlich zu Adressierenden dahinter anging: Medien-Besitzer, politische Strippenzieher und Konzerne. Und natürlich (Antiamerikanismus ole!) der große Bruder jenseits des Teichs.

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Es wäre also nun ein Leichtes, den kinderschreckenden Anonymous-Schauspieler als reinen ahnungslosen Deppen abzutun; als politisch Ungebildeten, von Verschwörungstheorie-Sekten Angefixten der unreflektiert auf das, was er sieht, einschlägt, anstatt sich die Systematik dahinter zu vergegenwärtigen. Es wäre - vor allem angesichts der in jeder Hinsicht falschen Symbolpolitik oder der läppischen Gewichtung - aufgelegt.

Ich möchte das vermeiden.
Denn: Obwohl die Position der Maskenmänner die einer verwirrten Minorität ist - die Grundhaltung dahinter ist (wie allzu vieles, was sich noch vor einem Jahrzehnt an den Rändern aufhalten musste) in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

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Niemand, der wirklich bei Sinnen ist, wird die Schuld an aktuellen Weltenbränden oder der eigenen Unbehaglichkeit beim hiesigen Berufsstand der Journalisten verorten.
Und trotzdem hat der Journalismus, auch der auf der in gewisser Hinsicht immer noch seligen Medien-Insel Österreich, in den letzten Monaten und Jahren ganz schleichend und unmerklich ein massives Problem bekommen, eines, das die Schwierigkeiten durch die digitalen Entwicklungen und die patschert angegangene Konvergenz-Phase so verstärkt, dass das Boot schön langsam echte Schlagseite bekommt.

Es gibt eine Vertrauens-Krise.
Und das ist etwas, was den Kern des Medien-Geschäfts bedroht.

Schuld daran ist nicht jemand einzelner oder eine Gruppe allein, nicht der Maskenmann und auch nicht die Journaille per se.
Ich darf das an einem aktuellen Beispiel durchspielen.

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Letzte Woche durchbricht eine Meldung den Alltag jener, die sich für Populär-Kultur interessieren oder zuständig fühlen: Das Flex ist pleite.
Innerhalb von wenigen Minuten wird die Meldung einer Zeitungs-Website durch die sozialen Medien ge/verteilt, innerhalb weniger Minuten mehr ist die Empörung, das Entsetzen öffentlich und groß, die offenbar zwingend notwendige Kommentierung bewegt sich zwischen Schadenfreude, es-immer-schon-gewusst-haben und Abgesangestum.

Was wirklich passiert ist: das Wirtschaftsblatt bringt eine (mittlerweile vorsorglich verschwundene) Meldung, die von einem Konkurs-Verfahren berichtet. Weitere Nachfragen oder gar ein Gegencheck beim Flex selber fehlen. Was niemanden daran hindert, die Meldung in einer Mischung aus Lust & Schauer weiterzuverbreiten. Kurze Zeit darauf veröffentlicht Kollege Robert Zikmund eine kurze Geschichte mit weiteren nachgeprüften Informationen und Stellungnahmen. Tenor: Es wird womöglich nicht so heiß gegessen wie gekocht. Und: Von einer Pleite im eigentlichen Sinn kann nicht die Rede sein.

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Als sich diese Geschichte langsam in Social Media (ich könnte auch Facebook/Twitter schreiben, was anderes hat keine Relevanz) setzt, kommen Posting-Klagen nach dem Motto: ja, danke, unsere Medien, das ist ja wieder typisch. Alles aufblasen, wo nur ein Bruchteil stimmt. Der Empörungs/Erregungs-Faktor, die offenbar zwingende Kommentierung dreht sich nur in eine neue Richtung, bleibt aber im letztlich selben Modus.

Was ist da passiert?
Zum einen veröffentlicht ein Medium eine Nachricht, und das ist, wie heute üblich, nur eine leicht aufbereitete OTS, also die Übernahme einer Presseaussendung.
Eine Nachricht ist aber keine Geschichte.
Dazu wird sie erst durch das Kontaktieren der anderen Seite, durch Nachfrage und - im Optimalfall - durch das Hintergrundwissen einen spezialisierten Berichterstatters, der Erfahrungen im Amtsdschungel hat, oder über die historischen Konflikte des Flex mit den Behörden Bescheid weiß oder am besten beides.

Erst dann lässt sich eine substanzielle Geschichte über die Zusammenhänge verfassen. Alles davor ist halbgar, spekulativ, eine verknappte Teil-Wahrheit. Bei allem davor besteht die (durchaus hochprozentige) Gefahr sich instrumentalisieren zu lassen.

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So sollte der professionelle Umgang mit Nachrichten sein.
Den kann man von Laien und Amateuren, also den empörten Facebook-Usern, die sich offenbar zur Kommentierung gezwungen sehen, nicht verlangen.
Was man sehr wohl von jedem, der über Bürger/Wahlrechte etc verfügt, verlangen kann, ist zumindest zu erkennen, wenn eine Nachricht nur die Sicht einer Seite enthält. Egal ob es sich um die ARD und Berichte über ukrainische Nazi-Bataillons oder die Flex/Pleite-Meldung handelt.

Und jede/r, der/die eine solche deutlich als einseitig zu entlarvende Meldung im Brustton der Empörung weiter verteilt, macht sich mitschuldig an der Verbreitung von Halbwahrheiten. Und ist genauso schuldig wie die Medien, die - ja wieder typisch - etwas unachtsam aufgeblasen haben.

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Das durch die Krise schon hyperventilierende Medien-System reagiert darauf aber irrational.
Gerade weil und wenn viele Facebook-User Meldungen wie diese empört kommentiert in ihre Bekanntenkreise jagen, sorgen sie dafür dass die klassischen Medien darauf reagieren. Und zwar genauso wie sie: hektisch, unüberlegt, patschert und mit dem impliziten Zwang der Kommentierung.

Das (neben vielem anderen) für die Beobachtung der sozialen Netzwerke zuständige Redaktionsmitglied bekommt die dortige Erregung ja mit und fühlt sich nun seinerseits (auch aufgrund des von Verlagsseite vorherrschenden Neo-Glaubenssatzes, dass man nix verpassen darf, was sich geredemäßig da im Netz abspielt) unter Druck gesetzt - weshalb dann "die Medien" ja, danke, das ist ja wieder typisch: alles aufblasen, wo nur ein Bruchteil stimmt usw...

Soll heißen: die auf dem schnellen Thrill, der vorschnell rausgespuckten Nachricht, also auf unsgesunden Humus gewachsene Empörung der User treibt wiederum die Medien vor sich her, die ihrerseits lieber dieser schon gänzlich kranken Gefühligkeit schnell Einiges an Raum geben als sich ihrer eigentlichen Aufgabe (aus einer Nachricht eine Geschichte machen; dann womöglich noch eine Analyse, die das Ganze in einen zwingenden Gesamtzusammenhang stellt, folgen zu lassen. Sorry, ich träume grad ein wenig...) zu widmen.

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Die Empörungs-Spirale hat alle umfasst und so sehr eingewickelt, dass alle darunter leiden.

Die User-Rückkanäle (etwas, wovon Ende der 70er, im ersten Villon-Zeitalter alle geträumt hatten) sind mit Bosheit, Misstrauen und unerfüllbaren Forderungen, absurden Zuschreibungen und Erwartungen verstopft.

Die konkreter werdende Hinwendung an Publikums-Erwartungen von Seiten der Medien setzt wiederum das Level dort, wo den Menschen mehr zumutbar wäre, deutlich zu niedrig an. Das ist, vor allem, wenn die Menschen merken, das sie nicht für voll genommen werden, fatal.
Auch dann, wenn sie - wie die Beispiele zeigen sollten - durchaus zurecht nicht für voll genommen werden, weil ihre nur scheinbar private, aber öffentliche Kommunikations-Politik meist boulevardesker ist, als es das tiefste Schmierblatt zusammenbringt.

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Ich habe tiefes Verständnis für alle, die nach einem Schlüsselerlebnis medial aufwachen und die Instrumentalisierungs-Strukturen zu hinterfragen beginnen. So beginnt jedes gesellschaftspolitische Engagement.

Ich kann aber einer (nicht nur maskierten) Userschaft, deren politische Bildung derart auf der Nudelsuppe daherschwimmt, dass sie jeder erdenklichen Instrumentalisierung anheimfallen muss, und auch jeder anderen oberflächlichen Empörungs-Kultur keinen Respekt entgegenbringen.

Die Vertrauenskrise ist eine beidseitige.