Erstellt am: 6. 10. 2014 - 18:01 Uhr
Risse in der Fassade
Es gibt Menschen, die sehen diesen Mann als Spezialisten für technisch virtuose Hochglanzthriller ohne Seele. Tatsächlich inszeniert der amerikanische Regisseur David Fincher seine Filme mit kühler Präzision und einem unverkennbaren Gespür für Style. Und es lässt sich nicht leugnen, dass etwa die Figuren in "The Game", "Fight Club" oder "The Social Network" eine fast schon existentielle Leere ausstrahlen.
Aber dahinter steckt natürlich ein Programm. David Fincher ist ein Skeptiker, ein Zweifler, ein gnadenloser Rationalist, den irrationale Handlungen ebenso faszinieren wie das emotionale Vakuum hinter den Fassaden des Humanismus.
Der Filmemacher, der sich dem Schreiber dieser Zeilen einmal in einem Interview als staubtrockener Pragmatiker präsentierte, scheint weder an göttliche Instanzen noch an irdische Träume zu glauben. All die kleinbürgerlichen Idyllen, die wir uns auf der Suche nach Geborgenheit erschaffen: Fincher zerschlägt sie in seinen Filmen mit dem Vorschlaghammer, bis dahinter ein gähnender Abgrund sichtbar wird.
Centfox
Keine Chance für das kleine Glück
In seinem unterschätzten Debüt "Alien 3" thematisiert er die Schwierigkeit der menschlichen Interaktion, die sogar im Angesicht einer monströsen Bedrohung scheitert, Betrug und Verlogenheit regieren in der Finsternis des Alls. Im Durchbruchsschocker "Se7en" gönnt der Regisseur dem jungen Paar Brad Pitt und Gwyneth Paltrow das gemeinsame kleine Glück nicht einmal in einer billigen Absteige, das berüchtigte Unhappy Ending war, laut Finchers Aussagen, der wichtigste Grund für ihn, den Streifen zu drehen.
In "Panic Room" werden Jodie Foster als alleinerziehende Mutter und Kristen Stewart als ihre Tochter in den eigenen vier noblen Wänden bedroht, niemand ist irgendwo sicher im Kino von David Fincher. In "Zodiac" tötet der titelgebende Killer nicht nur Liebespärchen am laufenden Band, er zerstört über Umwege auch die Leben der diversen Protagonisten, die sich obsessiv auf seine Spuren begeben. Alle Versuche, sich eine einigermaßen normale Existenz aufzubauen, werden drakonisch bestraft.
Sogar in Finchers einzigem schwelgerisch-romantischen Film, der pittoresken Parabel "The Curious Case Of Benjamin Button" ist die Idylle trügerisch. Denn der Antiheld, der alt auf die Welt kommt und sich unaufhaltsam verjüngt, genießt nur eine kurze Phase der Verbundenheit mit seiner Geliebten, bis das Schicksal und der Lauf der Dinge sie trennen. Vielleicht ist das triviale, aber essentielle Carpe Diem das einzige brauchbare Motto, dass man von all diesen Filmen mitnehmen kann: Einfach nur den Moment zu genießen, denn schon morgen kann sich alles drastisch verdunkeln.
Centfox
Außen Mysterythriller, innen Ehedrama
"Gone Girl", David Finchers neuer Film, schließt da nahtlos an. Nick und Amy Dunne, nach Außen ein perfektes Mittelklasse-Ehepaar, verbringt unzweifelhaft eine schöne Zeit miteinander, in den ersten Monaten nach dem zufälligen Kennenlernen auf einer Party. Wir erfahren aber nur in Rückblenden von diesen Augenblicken des lächelnden Miteinanders, des exzessiven Sex und dem Gefühl, einen Seelenverwandten gefunden zu haben.
Die Gegenwart des Films sieht anders aus. Da steht Nick (ziemlich treffend mit Ben Affleck besetzt) im Mittelpunkt kriminalpolizeilicher Ermittlungen und eines medialen Sperrfeuers. Denn die charmante Amy (großartig: Rosemund Pike), eine gefeierte Journalistin und Kinderbuch-Ikone, ist ausgerechnet am fünften Hochzeitstag spurlos verschwinden. Der patschert agierende Gatte, der anfänglich nicht gerade mit Trauer hausieren geht, kommt den Cops und auch einer hysterischen Talkshow-Moderatorin äußerst verdächtig vor.
Ich gestehe, wieder einmal eine Buchvorlage nicht gelesen zu haben, in diesem Fall den gleichnamigen Beststeller von Gillian Flynn. Verfolgt man aber die zahlreichen lobenden Rezensionen zum Roman "Gone Girl", kristallisiert sich eine klare Strategie der Autorin heraus. Flynn verwendet das Genre des Mysterythrillers, um all die Stammkundinnen von Bahnhofsbuchhandlungen anzulocken. In Wahrheit geht es ihr aber weniger um Thrills und Twists, als um die zerbröselnde Institution Ehe und generell um poröse Beziehungen im beginnenden 21. Jahrhundert.
Centfox
Angriffe im Geschenkpapier
David Fincher muss mit Gillian Flynn, die selber das Drehbuch verfasste, den idealen partner in crime gefunden haben. Denn auch der Regisseur agiert vom Anfang seiner Karriere an ganz bewusst mitten im Mainstream. Um möglichst viele Zuseher mit seinem dunklen Weltbild zu konfrontieren, verpackt er seine Attacken in edelstes Geschenkpapier. Fincher ästhetisiert die Trostlosigkeit, damit wir sie besser ertragen.
Am Ende von "Se7en" steht zwar die absolute Hoffnungslosigkeit, aber die Tristesse ist so stilsicher in Szene gesetzt, dass bis heute Fernsehserien wie "Hannibal" davon zehren. "Fight Club" erzählt von Abgestumpfheit und Kulturpessimissmus, erklärt letztlich unserem westlichen Way Of Life den Krieg, lässt sich aber als knallbuntes Gewaltvideo genießen. Sogar das langweiligste, ödeste Thema der Welt - die Gründung von Facebook - wird in der Fincher-Fassung als "The Social Network" spannend.
Mit "Gone Girl" legt der 52-Jährige jetzt eine weitere Mogelpackung im besten Sinn vor. An der schimmernden Oberfläche lauert ein rätselhafter Thriller mit zahlreichen Wendungen. Man muss aber schon fast blind sein oder die Realität verweigern, wenn man nicht sieht, dass die Krimihandlung nur der Aufmacher ist. David Fincher verdichtet das Buch zu einer bitteren, zynischen Satire auf die Liebe unter den Seifenoper-Bedingungen des Hier und Jetzt.
Centfox
Der Feind in meinem Bett
Wer also nur einen logisch-bestechenden Thriller einfordert, hat nichts kapiert. Statt an naheliegende Vorbilder wie Alfred Hitchcock und dessen Suspense-Methoden zu denken, fällt mir im Kinosaal ein polemisches Plädoyer ein, dass unlängst in der FAZ erschienen ist. Wenn Markus Günther darin die Enttäuschungen und Kollateralschäden beschwört, die unvermeidlich den Heilsversprechungen der "Ersatzreligion Liebe" folgen, wenn er schreibt, dass "Zweisamkeit nichts anderes als die Fortsetzung der Ich-Bezogenheit mit anderen Mitteln" ist, dann wirkt das wie ein Begleittext zu "Gone Girl".
Auch Finchers Film verbirgt unter dem Deckmantel des Entertainment einen bissigen Abgesang an all die Projektionen und (Selbst-)Täuschungen, die mit Beziehungen verbunden sind, an die Fassaden, die irgendwann rissig werden, auch wenn wir es nicht wahrhaben wollen. Plötzlich liegt da ein Feind im gemeinsamen Bett.
"Marriage is sort of like a long con", sagt Gillian Flynn in einem Interview, "because you put on display your very best self during courtship, yet at the same time the person you marry is supposed to love you warts and all. But your spouse never sees those warts really until you get deeper into the marriage and let yourself unwind a bit." David Fincher findet für diese eheliche Enttarnung, die auch ohne Entführung und Mord höchst dramatisch sein kann, ein Schlussbild, in dem Idylle und Anti-Idylle kollidieren. Viel Vergnügen also mit dem destruktivsten Datemovie der Saison.
Centfox