Erstellt am: 8. 10. 2014 - 12:05 Uhr
Cosima von Bonin im Wiener Mumok
Cosima von Bonin: Hippies Use Side Door - Das Jahr 2014 hat ein Rad ab. Noch bis 18. Jänner wird im Wiener Mumok gefeiert, rumgegammelt und rumgekotzt.
Knallbunte, überdimensionale Plüschtiere liegen schlaff in der Gegend herum. Lethargisch schauen sie in die Leere. Manche von ihnen übergeben sich gar vor lauter Langweile. "Hippies Use Side Door - Das Jahr 2014 hat ein Rad ab". Es ist die bisher größte Personale der 1962 geborenen Künstlerin Cosima von Bonin. Die Hippies - einst versandeltes Feindbild - hat man früher in den USA höflich mit eigenen Metallschildern darauf hingeweisen, bitte unauffällig über den Seiteneingang in Geschäfte und öffentliche Gebäude einzutreten. Was wurde eigentlich aus denen?
"In San Francisco gibt es wieder Kommunen - nur wohnen dort diesmal Start-Up-Gründer und IT-Experten, die im Silicon Valley den neuen Goldrausch suchen" - die SZ hat zufälligerweise vergangene Woche in einer Geschichte zu diesem Thema berichtet. Der Hippie, einst Idealbild des Laissez faire und des freien Denkens, hat sich über die vergangenen Dekaden zum absoluten Feindbild transformiert. Der (meist männliche) Fleißarbeiter, der mit seinen genialen Ideen plötzlich die große Kohle scheffelt. Gestern hui, heute pfui! Kein Wunder, dass da die Stimmung kippt, so wie auch in Cosima von Bonins plüschigem Referenz-Imperium. Wahrlich zum Kotzen! Wir sind doch irgendwie alle Hippies, in einer Moebius-Schleife der Selbstverwirklichung gefangen. Oder ist es doch nur ein Hamsterrad, das von innen aussieht wie eine Karriereleiter?
FM4/ Alexandra Augustin
Alles ist zum Speien...Kapitulation!
Die Faulheit, das Nichtskönnen und der Leistungsdruck spielen im Kunstsystem der Künstlerin die Hauptrollen. Eine lustvolle Kritik an der kapitalistischen Leistungsgesellschaft. Kapitulation.
Innerhalb der mumok-Ausstellung fühlt man sich wie Alice, nur dass man vor dem Trip ins Wunderland versehentlich ein paar Happy Pills mit gepantschtem Meskalin verschluckt hat. Alles Schall und Wahn! Aus ein paar Lautsprechern düdelt Ambient-Mukke, man spaziert an weißen Riesenstoffpilzen vorbei. Die Straßenlaternen im Raum lassen ihre Köpfe hängen und rauchen sich an überdimensionalen Zigaretten lieber gemütlich eine an. Die Erleuchtung hat mal Pause.
Dem Plüschküken, das auf einer rosaroten Rakete daher reitet, ist sichtlich schon recht übel. Missy Misdemeanour nennt sich das Tier, das sich auf den eigenen Latz übergeben muss. Klassischer Party-Overkill? Oder ist es ein Statement auf den wahnwitzigen Kunstbetrieb, der selten weibliche Role Models ins Rampenlicht befördert, schon gar nicht dann, wenn sie aus der Norm fallen? Cosima von Bonins Arbeiten sind auf viele Arten interpretierbar. Hinter dieser Arbeit verbirgt sich aber nicht bloß zufällig auch eine Missy Elliott-Namensreferenz.
FM4/ Alexandra Augustin
Stephan Wyckoff
Ich hab' geträumt ich war Pizza essen mit Cosima von Bonin
Und auch die Holzfigur am Balkon, der sogenannte "ITALIENER", kotzt sich die Seele aus dem Leib, direkt vor die Füße der MQ-Besucher. "Und wenn du denkst, alles ist zum Speien - Kapitulation" haben Tocotronic 2007 gesungen. Es ist nicht die einzige assoziative Verschränkung zwischen Cosima von Bonin und ihren Wahlverwandten Tocotronic, die einem hier in den Kopf schießt. Cosima von Bonin und die Band verbindet seit Jahren eine enge Freundschaft. Tocotronic, wie auch Phantom Ghost, spielen oft bei Ausstellungen der Künstlerin, die bei ihrer eigenen Eröffnung treu im Tocotronic Fan-Shirt daherkommt, und viele ihrer Arbeiten nach Liedtiteln der Bands benennt. Egal ob man Kunst macht oder Musik, es ist doch "alles nur Pizza backen", erzählt Dirk von Lowtzow.
Kennengelernt haben sich die beiden einst nach einer ihrer Ausstellungen, wie sie mir heiter im Interview verraten haben:
FM4/ Alexandra Augustin
Was du auch tust, mach es nicht selbst
Groß war die Freude, als ich Cosima von Bonin sprechen durfte - beim Rauchen am Balkon. Bis vor Kurzem hat sie keine Interviews gegeben:
"Wenn man genau hinsieht erkennt man, dass ich gar nichts kann und viele andere Menschen meine Arbeit erledigen! Ich kann weder nähen noch Raketen bauen. Wenn ich sowas brauche, dann rufe ich einfach jemanden an und meine Freunde wissen dann schon, was ich mir da wieder in meinem Kopf zusammenspinne und bauen mir das dann!"
Live
Im Rahmen der Ausstellung:
Phantom Ghost
18.11.2014
mumok Wien
Ist das cooles Understatement oder berechnende Ehrlichkeit? Spätestens seit Andy Warhols Factory ist es ein offenes Geheimnis: Wer im Kunstmarkt bestehen will, der muss nicht (nur) geniale Ideen haben. Dein Netzwerk ist dein Kapital. Im Falle von Cosima von Bonin heißen diese Wegbegleiter Martin Kippenberger - mit dem sie etwa in den 1980ern die junge, wilde Kölner Szene geteilt hat - und Dirk, Arne, Jan und Rick. Die richtige Dosis "Anti"-Sein verschafft einem die nötige Credibility. Das alles gepaart mit plakativen Installationen, die durch subtilen Witz glänzen: Diese Ambivalenzen machen die Spannung in ihrem Œuvre aus.
Tocotronic by Patrick Muennich
Die Party endet nie
Es ist diese spezielle "Fuck-you-ich-mach-was-mir gefällt!"-Attitüde, die die Person Cosima von Bonin so unterhaltsam macht. Einen "Agent Provocateur mit hintergründigem Humor" nennt das mumok-Direktorin Karola Kraus. Von "hedonistischen Kunstfestspielen" spricht Diedrich Diederichsen in seinem Katalogvorwort. Die Party endet nie. Der Hangover am Tag danach lässt sich zwischen all den grotesken Stoffobjekten aber aushalten. Arbeiten, die den selbsternannten "Plüschophilen" Dirk von Lowtzow übrigens sogar zum Weinen bringen. Zurück zum Plüsch! Das Weiche steht dem Steinklotz mumok im Moment jedenfalls sehr gut.