Erstellt am: 7. 10. 2014 - 05:00 Uhr
Im digitalen Schwitzkasten
"Das Netz ist wie verschwitzte Schuhe. Was mal drin ist, lebt ewig." (Protagonist Mono in "Emission")
Joshua Cohen zu Gast in Wien:
7.10. Hauptbücherei, Urban-Loritz-Platz 2a, 1070 Wien
Moderation: Ulrich Blumenbach
Genies fallen nicht vom Himmel, das weiß auch Mono. Er ist Drogendealer im großen Stil, bevorzugter Kundenkreis sind die Studierenden der Elite-Universität Princeton. Es scheint ein Missgeschick der Zeit zu sein, aber Mono geht seinem "Geschäft" wie viele seiner Altersgenossen mit nur wenig Leidenschaft nach. So passieren Fehler: Nach einer langen Nacht, unzähligen Pillen und Parties dreht Mono seinen Laptop auf und entdeckt auf einem Blog sein dunkles Geheimnis inklusive seinem vollen Namen. Irgendein Mädchen, das an die dreißig Blogs betreibt, hat sich Monos Drogengeschäften angenommen und löst einen Shitstorm gegen ihn auf den sozialen Netzwerken aus. Sie schreibt über Monos kriminelle Handlungen, postet Namen und Adressen und - als wäre das nicht noch schlimm genug - gibt sexuelle Details preis, insbesondere, dass Monos bestes Stück eher zu wünschen übrig ließe.
Verzweifelt versucht Mono die Identität des Mädchens ausfindig zu machen und die pikanten Details entfernen zu lassen. Dadurch wird alles aber nur noch schlimmer.
Tobias Helm
Schöffling & Co.
Joshua Cohen: "Vier neue Nachrichten" ist in deutscher Übersetzung von Ulrich Blumenbach bei Schöffling & Co. erschienen.
"Was stimmt nicht an meiner Erzählung?"
Der New Yorker Autor Joshua Cohen hat ein Gespür für Einzelgänger, am liebsten sind ihm neben den Drogendealern die Schriftsteller (no pun intended!). In der zweiten Kurzgeschichte "McDonald's" ist der Protagonist ein verzweifelter Autor, der stets Google befragt, wenn er mit seinen Texten nicht mehr weiter weiß: "Was stimmt nicht an meiner Erzählung?" Der daraus resultierende Wahn führt zu einer Vermischung aus Fakt und Fiktion, unser Protagonist bildet sich ein, ein digitales Abbild seines Vaters zu sein und ersäuft in dem Dilemma, ob er Urheberrechtsprobleme bekäme, wenn er den Namen einer berühmten Fast-Food-Kette in seinen Text einbauen würde.
Ähnlich überbordernde Fiktionen lassen sich auch in den letzten beiden Geschichten finden. In "Uni-Bezirk" haben die Protagonisten Angst in Restaurants essen zu gehen, wenn diese noch nicht im Netz bewertet wurden. Und in "Gesendet" trifft ein Journalist auf alle Pornodarstellerinnen, die er jemals im Internet angeklickt hat.
Adam Gong
Weitere Leseempfehlungen:
Joshua Cohens Sprache ist bei all diesen Erzählungen hochintelligent, virtuos und allzu meta-verliebt. In seinem Heimatland ist ihm längst der Vergleich mit David Foster Wallace sicher, auch Cohens Texte faszinieren weniger durch ihre (teils absurden) Handlungsstränge, sondern vielmehr mit ihrem einzigartigen Blick auf Alltägliches. In diesem Fall ist es das Internet, das Cohen durchaus kulturpessimistisch in seine bisherigen Texte einbettet (man denke nur an seinen 2008er Roman "Witz", in dem nach einer Seuche der letzte überlebende Jude wild gejagt wird). Für Cohen ist die Welt schlecht, das Internet zeige dies nur noch detailreicher auf.
"Vier neue Nachrichten" ist eine verstörende Momentaufnahme im Schwitzkasten digitaler Befindlichkeiten, die nun auch auf Deutsch vorliegt. Übersetzt übrigens von Ulrich Blumenbach, dem kongenialen Übersetzer des Nachlasses von, ja richtig, David Foster Wallace.