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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

5. 10. 2014 - 18:58

Freihandelsabkommen TTIP vor großen Änderungen

Die Anzeichen, dass der Investorenschutz aus TTIP gestrichen und das Abkommen in einzelne Tranchen zerlegt wird, verdichten sich.

Die siebte Runde des umstrittenen Freihandelsabkommens TTIP, die am Freitag zu Ende ging, war vom öffentlichen Echo her die bis dato ruhigste. Rund um die Verhandlungen aber häuften sich die Indizien dafür, dass Änderungen sowohl im Umfang wie dem Ablauf der TTIP-Verhandlungen bevorstehen. So hatte der neoliberale US-Thinktank "Cato Institute" plötzlich empfohlen, den Investorenschutz (ISDS) ganz aus TTIP zu streichen und den Verhandlungsprozess neu zu strukturieren, um das Abkommen zu retten.

Die Verhandlungen zum pazifischen Gegenstück (TPP) mit Japan und einem Dutzend anderen Staaten aus dem pazifischen Raum sind mittlerweile nämlich völlig festgefahren. Am Freitag hatte der japanische Wirtschaftsminister Akira Amari erklärt, eine Reihe von "ehrgeizigen Zielen" müsste wohl aufgegeben werden, um überhaupt noch einen Abschluss zu erreichen. Die kolportierten Knackpunkte - der Agrar- und der Automobilsektor - sind zwar anders gelagert als in Europa, die Probleme bei TPP sind durch dieselben Strukturen bedingt, die auch TTIP zu Grunde liegen.

Dan Mullaney und Ignacio Garcia Bercero, die beiden Chefunterhändler

EU-Kommission

Die Chefverhandler Dan Mullaney (links) und Ignacio Garcia Bercero. Dieses Foto von der 7. Verhandlungsrunde ist diesmal eines von wenigen, denn auch hier ließ man Zurückhaltung walten.

"Ehrgeizig" als Oberbegriff

Der von den Verhandlern beider Verfahren stets betonte "ehrgeizige" Ansatz bestand darin, was immer von der Wirtschaft als "Handelsbarriere" angesehen wird, in einem Verfahren auf einmal abzuhandeln. Schutzzölle und Lebensmittelstandards, Arbeitsrecht, Umweltgesetze wie bürokratische Hürden, um bestimmte Märkte gegen Importe abzuschotten, landeten so nebeneinander in derselben Verhandlungsmasse.

Weil das größte Problem aller früheren Freihandelsgespräche, stark unterschiedliche Lohnniveaus in den beteiligten Staaten, zwischen Europa und den USA nicht existiert, war man auf beiden Seiten anfangs über Gebühr enthusiastisch. Der ursprüngliche Plan, die TTIP-Gespräche bereits Ende 2014 abschließen zu können, erwies sich schon bald nach deren Start im Juli 2013 als unrealistisch.

Neoliberale Empfehlungen

Das CETA Freihandelsabkommen enthält zwar eine umfassende Regelung zum Investorenschutz, die aber nicht als Blaupause für TTIP angesehen werden kann. Kanada hat keine Großkonzerne wie die USA aufzubieten, wird aber selbst vom US-Chemieriesen Eli Lilly wegen der Nicht-Anerkennung zweier Patente auf eine halbe Milliarde Dollar Schadenersatz geklagt

Dem trägt das TTIP-Bulletin des Cato Institute insofern Rechnung, indem primär empfohlen wird, den wohl umstrittensten Punkt, die Klauseln zum Investorenschutz (ISDS) überhaupt aus TTIP zu entfernen. Die Argumente für ISDS hätten sich als nicht stichhaltig erwiesen, die Gefahr, dass der gesamte transatlantische Freihandelsvertrag so an einem einzigen Punkt scheitern könnte, sei daher schwerer zu gewichten, als die ohnehin vagen Vorteile für die wirtschaftliche Entwicklung durch ISDS, heißt es im Bulletin des Cato-Institute.

Das ist insofern bedeutsam, weil dieser Thinktank in den USA als Gralshüter der Lehre freier Marktwirtschaft in ihrer libertären Ausprägung gilt. Die zweite US-Denkfabrik, die bei TTIP mitmischt, das Atlantic Council, ist hingegen eher neokonservativ geprägt, zur "reinen" Wirtschaftslehre werden hier handfeste geopolitische Interessen ins Kalkül gezogen. Typisch für diesen Ansatz ist die von Proponenten des Atlantic Council auffällig oft verwendete Bezeichnung "ökonomische NATO" für ein Freihandelsabkommen.

Diese Klauseln zum Investorenschutz mit den zugehörigen Mechanismen eines den nationalen Gerichten übergeordneten Schlichtungsverfahrens waren von Beginn an ein wichtiges Element im "ehrgeizigen" Ansatz von TTIP. Nationale Gerichtsbarkeiten sollten eine möglichst geringe Rolle spielen, da sie politischen Veränderungen unterworfen seien.

Karas lehnt ISDS weiterhin ab

Konflikte seien daher besser durch übergeordnete Schlichtungsstellen abzuhandeln, die nach ein- und demselben Regelwerk funktionierten. Für weltweit operierende Großkonzerne sind solche Regelungen zwar wie maßgeschneidert, doch gerade die europäische Wirtschaft ist insgesamt deutlich kleinteiliger strukturiert. Deshalb sind die europäischen Konservativen in Bezug auf ISDS auch keiner einheitlichen Meinung.

Publikum

EU-Kommission

Dieses Bild wird dem realen Fortgang der TTIP-Verhandlungen schon eher gerecht

Das Abkommen wird zwar von allen begrüßt, wie weit es jedoch gehen soll, ist auch innerhalb dieser Fraktion umstritten. So hatte Othmar Karas, einer der Vizepräsidenten der EVP-Fraktion, den Investorenschutz im TTIP-Verfahren von Beginn an abgelehnt. Für Abkommen zwischen Staaten mit hochentwickelten Rechtssystemen seien Spezialklauseln zum Investorenschutz schlichtweg nicht nötig, hieß es aus dem Büro Karas auf eine aktuelle Anfrage von ORF.at, der Standpunkt sei hier unverändert.

Die USA stellen von Pharma- und Energiekonzernen bis zur (agro)chemischen Industrie und dem IT- und Internetsektor die größten Player auf dem Weltmarkt. Das im TTIP vorgesehene Schlichtungsverfahren ist nach eben diesen Interessen ausgerichtet.

Das Argument China

Die Antworten aus den Büros von SPE und Grünen zeigen ganz klar eine generelle Ablehnung solcher Klauseln. "Wir sehen hier durchaus Diskussionsbedarf, speziell da hier zwei Seiten verhandeln, die über fundierte Rechtssysteme verfügen" sagte auch NEOS-Abgeordnete Angelika Mlinar (Liberale Fraktion,) fand aber als einzige Abgeordnete einen positiven Zug an ISDS.

Da der Vertrag mit den USA als Maßstab für alle zukünftigen Handelsverträge dienen werde, könne man in Zukunft etwa bei Freihandelsabkommen mit China nicht auf Investitionsschutzbestimmungen bestehen, wenn diese im Vertrag mit den USA nicht ebenfalls enthalten seien, sagte Mlinar zu ORF.at.

Wörtlich steht dazu im Bulletin des Cato-Intitute: "Diese Argumente können das Insistieren auf ISDS in TTIP nicht rechtfertigen. Zum einen gibt es erhebliche Zweifel daran, ob ein ISDS überhaupt Sinn macht, da der Nachweis, dass dadurch generell ausländische Investitionen gefördert werden, auf schwachen Beinen steht." Zudem seien bilaterale Verträge mit China über den Schutz von Investitionen "zum gegenwärtigen Zeitpunkt ziemlich spekulativ" und sollten daher "in den TTIP-Gesprächen keine Rolle spielen".

Regulatorisches ausklammern

Neben der Streichung des Investorenschutzes empfiehlt das Cato Institute, rein regulatorische Maßnahmen aus dem TTIP-Akommen auszugliedern und separat zu verhandeln. Eine einheitliche Regelung hier sei zwar grundsätzlich erwünscht, heißt es im Bulletin, aber schon deshalb unwahrscheinlich, weil sich die unterschiedlichen Standpunkte dies- und jenseits des Atlantiks während der letzten zehn Jahre kaum angenähert hätten. Wenn eine diesbezügliche Einigung Kernbestandteil des Abkommens bleibe, sei zu befürchten, dass man weitere zehn Jahre oder mehr für einen Abschluss des Verfahrens einrechnen müsse.

Das Cato Institute warnt bereits seit vergangenem Herbst, den ursprünglichen Ansatz von TTIP weiter zu verfolgen. Der Thinktank ist libertär im US-Stil geprägt, orientiert sich aber an den Wiener Ökonomen Friedrich von Hayek und Ludwig von Mises. Ihr Gesamtkonzept basiert auf der "Austrian School" oder heißt schlicht "Austrian"

Lebensmittelsicherheit

Unter "regulatorische Maßnahmen" fallen etwa die Standards für Lebensmittelsicherheit. Bei den Hearings im EU-Parlament hatte sich der designierte Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis (Konservative) kategorisch gegen die Anerkennung von US-Lebensmittelstandards als gleichwertig mit europäischen ausgesprochen.

Diese klare Absage an die bestehenden US-Normen durch den ehemaligen Gesundheitsministers Litauens - Andriukaitis ist von Beruf Arzt - wird auch durch offizielle Statistiken aus den USA untermauert. Die zeigen ein weitaus höheres Infektions- und Sterberisiko durch von Salmonellen und anderen Erregern verseuchte Nahrungsmittel in den USA. Laut dem US-Zentrum für Seuchenforschung CDC erkrankt etwa jeder sechste Staatsbürger der USA einmal pro Jahr an einer Lebensmittelvergiftung durch Salmonellen und andere Erreger.

Statistiken und Chlorhühner

In Europa betreffen solche Erkrankungen nur Promillebruchteile der Gesamtbevölkerung, wobei die Statistiken in ihren Ansätzen allerdings stark differieren. In den USA werden höhere Dunkelziffern nicht gemeldeter leichterer Erkrankungen hochgerechnet, während man in Europa nur die schwereren Fälle zählt, in Deutschland kommt man so auf eine Erkrankung pro 100.000 Einwohner.

Vergleicht man nur diese schweren Fälle und rechnet denselben Faktor (mal dreißig) wie in den USA als Dunkelziffer für leichtere Erkrankungen ein, die nicht gemeldet werden, so ist Europa noch immer meilenweit von den 15 Prozent der US-Gesamtbevölkerung entfernt.
Das eigentliche Problem ist nämlich nicht das berüchtigte "Chlorhuhn" selbst, sondern der Umstand, dass Hühner in den USA mit einem solch harten und für Menschen potenziell gesundheitsgefährdendem Mittel desinfiziert werden müssen.

Handshake

EU-Kommission

In Runde vier der TTIP-Verhandlungen machte der optische Eindruck noch einen etwas weniger bemühten Anschein .

Reaktiv gegen proaktiv

Der Unterschied sind die Kontrollen, die in Europa weit früher als in den USA, nämlich beim Erzeuger ansetzen. Der Unterschied dabei ist nicht graduell, sondern fundamental: Während alle europäische Ansätze gerade bei Gesundheit und Lebensmittelsicherheit vorbeugenden Charakter haben, ist der US-Ansatz in erster Linie reaktiv.

Anders ausgedrückt: In Europa muss vor der Neuzulassung von Lebensmitteln nachgewiesen werden, dass sie die Gesundheit nicht gefährden. In den USA muss eine potenzielle Gesundheitsgefährdung durch ein neues Produkt erst nachgewiesen werden, wenn es bereits erhältlich ist. Deshalb bestehen etwa bei der Liste gesundheitsgefährdender Substanzen in Kosmetika so große Unterschiede, die europäische ist daher vielfach länger, als die amerikanische.

Allzu "ehrgeizige" Ziele

Hier könne es keine Kompromisse geben, hatte der designierte Kommissar für Gesundheit und Lebensmittel Andriukaitis denn auch betont, für gentechnisch veränderte Lebensmittel gelte natürlich dasselbe. Angesichts so klarer Aussagen steigt die Wahrscheinlichkeit dass neben dem Investorenschutz und den zugehörigen Schlichtungsverfahren auch andere allzu "ehrgeizige" Ziele in TTIP zurückgefahren werden, um das Abkommen als Ganzes nicht zu gefährden.

Vytenis Andriukaitis, designierter EU-Kommissar

CC BY-SA 3.0 Andrius Ufartas

Wie das Hin- und Her der designierten Kommissarin Cecilia Malmström um den Investorenschutz in TTIP gezeigt hat - erst wurde programmatisch abgelehnt, sodann die Ablehnung zurückgenommen - sind große Änderungen bei diesen Klauseln jedenfalls angesagt. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte selbst schon kurz nach seiner Wahl in den Raum gestellt, dass die ISDS-Klauseln allenfalls nach Ausschöpfung des Rechtswegs vor den jeweiligen nationalen Gerichten schlagend werden sollten.

Der Rückzieher Malmströms wiederum deutet weniger auf einen "Umfaller" als vielmehr darauf hin, dass der Zeitpunkt für eine solche Ankündigung nicht eben günstig war. Den TTIP-Verhandlern, die da gerade in die siebte Runde starteten, wäre so nämlich eine geplante gravierende Änderung über die Öffentlichkeit ausgerichtet worden. Das ist ein absolutes "No Go" in einem Verhandlungsprozess, in dem diplomatische Gepflogenheiten hochgehalten werden.

Warnendes Beispiel TPP

Die bereits viel länger laufenden Verhandlungen über das TPP-Abkommen sind bereits auf dieser Ebene der Öffentlichkeit angekommen. Seit Monaten wird den japanischen Verhandlern von Seiten Australiens und der USA im Wochentakt über die Medien ausgerichtet, dass sie sich bei Fleischimporten und bei der Öffnung des Automobilmarkts endlich bewegen sollten. Eine solche Situation soll bei TTIP, das ohnehin unter Beschuss von allen Seiten steht, unbedingt vermieden werden.

Die Serie von aktuellen Artikeln zum Thema TPP in der Japan Times zeigt den verfahrenen Stand der Verhandlungen recht eindrucksvoll. Laut dem britischen Magazin "Economist" war die letzte TPP-Sitzung von einer "Atmosphäre der Erbitterung" geprägt

Beobachter beiderseits des Atlantiks halten es mittlerweile für sehr wahrscheinlich, dass TTIP in einzelne Tranchen geteilt werden könnte, die nacheinander verhandelt und abgeschlossen werden. Zum einen könnte man dadurch schon bald mit ersten, konkreten Ergebnissen an die Öffentlichkeit gehen und überdies einem der mithin wichtigsten Kritikpunkte begegnen. Die bis jetzt verfolgte Politik der Geheimhaltung hatte die Kritik nämlich erst so richtig angeheizt, darin sind sich die österreichischen EU-Abgeordneten aus allen vier parlamentarischen Fraktionen einig.

Wie es nun weitergeht

Für 19. Oktober ist das erste hochrangige Treffen von Politikern aus den TPP-Verhandlerstaaten angesetzt, um das pazifische Verfahren wieder in Gang zu bringen. US-Handelsminister Michael Froman trifft mit Noch-Handelskommissar Karel de Gucht am 13. Oktober zwecks "Stock-Taking" zusammen. Darunter ist eine Art Zwischenbilanz zu verstehen, welche Punkte von TTIP bereits ausverhandelt sind und welche Schritte man als nächste setzt.