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3. 10. 2014 - 16:42

Kampf um Kobanê

Die syrisch-kurdische Enklave Kobanê steht kurz vor dem Fall. Zu Hintergründen und Tragweite der aktuellen Situation haben wir den Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger befragt.

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für die Betroffenen vor Ort kann man an den Kurdischen Roten Halbmond und an CARE Hilfe für Syrien

An der Südgrenze der Türkei steht in diesem Augenblick das syrische Ain al-Arab unter schwerem Beschuss. Dort leben vor allem Kurden, sie nennen ihre Stadt Kobanê . In den letzten Wochen hat der sogenannte „Islamische Staat“ die Stadt umstellt. Die Situation ist für alle Beteiligten von strategischer Bedeutung. Robert Zikmund hat den Politikwissenschaftler in FM4 Connected (hier 7 Tage im Stream) zu den jüngsten Ereignissen befragt.

Anscheinend sind IS-Einheiten nach Kobanê eingedrungen, es wird also bereits in der Stadt gekämpft. Was lässt sich zu den jüngsten Ereignissen sagen?

Thomas Schmidinger: Offenbar findet in der Stadt nun ein "Schlusskampf" statt. Die Kämpferinnen und Kämpfer der YPG und der YPJ, also der Volksverteidigungseinheiten und der Frauenverteidigungseinheiten der Kurden, scheinen in einem Häuserkampf noch so viele Kämpfer der "IS" mitnehmen zu wollen, wie es geht. Rückzugsmöglichkeiten gibt es keine mehr - die kämpfen bis zur letzten Frau und bis zum letzten Mann.

Karte von Kobane

Syrische Beobachtungsstelle f Menschenreche

So hat die Situation vor wenigen Tagen ausgesehen: Die schwarzen Punkte stellen IS-Truppen dar, die nahe an Kobanê herangerückt waren. Mittlerweile sind die Kämpfe in der syrisch-kurdischen Stadt angekommen.

Es wird beklagt, dass es hier zu wenige Waffen gibt und dass zu wenig Unterstützung kommt. Journalisten wie der Schweizer Kurt Pelda (der in den letzten Tagen direkt aus Kobanê berichtet hat, Anm.) schreiben Dinge wie "ich verstehe es auch nicht". Wie kann man das erklären?

Sie haben nicht zu wenige, sondern gar keine Waffen. Die Ausrüstung die es in den letzten Wochen für kurdische Kämpfer aus Europa gegeben hat, ist an die Peschmerga im Nordirak gegangen. Die Kämpfer und Kämpferinnen von YPG und YPJ haben keinerlei Waffen erhalten. Sie kämpfen mit alten Kalaschnikows und alten Maschinengewehren gegen eine mittlerweile sehr gut ausgerüstete Armee des IS, der sich im Irak bei der Eroberung von Mosul mit schweren Waffen eingedeckt hat, gegen die sie militärisch ohne entsprechende Unterstützung keine Chance haben.

Welche Erklärung gibt es dafür, dass man auf der einen Seite Waffen geliefert hat und auf der anderen nicht?

Die Situation der Kurden

Nächste Woche erscheint Thomas Schmidingers Zusammenschau der Ereignisse in kurdisch besiedelten Gebieten: "Krieg und Revolution in Syrisch-Kurdistan" (Mandelbaum Verlag)

Buchcover

Mandelbaum Verlag

Das Problem ist - das hat mir auch gestern ein amerikanischer Politikwissenschaftler auf Besuch in Wien, der sich sehr mit den Kurden und der Türkei beschäftigt, gesagt: Die US-Politik in der Region wird sehr stark von der Türkei dominiert. Hier wedelt sozusagen der Schwanz mit dem Hund. Die Türkei will keine Unterstützung von PKK-Schwesterorganisationen und dementsprechend sind die Bombardements von IS-Stellungen in den letzten Tagen auch nicht direkt entlang der Frontlinie geschehen, sondern im Hinterland, und haben relativ wenig an der militärischen Situation in Kobane geändert.

Was kann man zur Rolle des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan in dem Konflikt sagen? Könnte man den Eindruck haben, er spielt ein doppeltes Spiel im Westen? Wie verhält er sich?

Erdoğan spielt definitiv ein doppeltes Spiel. Er hat sogar beim World Economic Forum in Davos letzte Woche noch beklagt, dass der Westen sich zwar gegen den IS zusammenschließt, aber nicht gegen die PKK. Für ihn ist die PKK bzw. die jetzt in Syrien kämpfenden Schwesterpartei von der PKK offenbar gleich schlimm wie der IS.

Es gibt Bilder, die belegen, dass IS-Kämpfer weiterhin ungehindert zwischen der türkischen Seite der Grenze und Syrien hin- und herwechseln. Die IS lässt ihre verletzten Soldaten auf der türkischen Seite zusammenflicken - es gibt hier de facto ein gewisses Wegschauen der türkischen Behörden und des türkischen Militärs. Die Türkei scheint abzuwarten, bis der IS die Kämpfer der Kurden auf der anderen Seite kaputtgemacht hat, dann erst ist vielleicht eine militärische Intervention der Türkei möglich, weil sie sich dann auch als Retter in der Not darstellen kann.

Die Türkei ist ja NATO-Mitglied und muss sich mit ihren Partnern abstimmen - Deutschland zum Beispiel und andere Staaten, warum können die da zuschauen?

Diese Frage sollten Sie diesen Regierungen stellen. Offenbar ist teilweise zu wenig Information hier, teilweise aber einfach ein Wegschauen mit inkludiert. Sie dürfen nicht vergessen: die PKK steht immer noch auf der sogenannten "Terror-Liste" des EU-Ministerrats, während der IS immer noch nicht oben steht.

Kobane

EPA

Freitag Nachmittag: Flammen über Kobanê

Wie ist denn die kurdische Bevölkerung überhaupt aufgeteilt? Wir haben vorher über Peschmerga gesprochen und hier in Nordsyrien geht es jetzt um andere Gruppen.

Es gibt auch einen innerkurdischen Konflikt zwischen unterschiedlichen Parteien, wobei der nicht nur einfach zwischen Syrien und dem Irak stattfindet: es gibt auch innerhalb Syriens rivalisierende Parteien und auch im Irak Kurden die nicht zufrieden sind mit der dortigen Regionalregierung, was auch damit zu tun hat, dass die Peschmerga im August militärisch ziemlich versagt haben, als der IS die Sinjar-Region der Yezidi erobert hat. Damals sind den Yezidi Kämpfer der PYD aus Syrien zur Hilfe gekommen. Trotzdem gibt es jetzt in den letzten Tagen ein Zusammenrücken. Auch jene, die die PYD, die Schwesternpartei der PKK, in der Vergangenheit sehr scharf kritisiert haben, stellen sich jetzt eindeutig hinter die Kämpfer in Kobanê und versuchen gemeinsam, noch so gut wie möglich, die Eroberung der Stadt zumindest zu verzögern.

Thomas Schmidinger lehrt am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien. Er war zuletzt beteiligt am Aufbau des "Netzwerk sozialer Zusammenhalt" (derad.at), einer Anlaufstelle für Betroffene und Bezugspersonen von djihadistischer Radikalisierung. Mehr dazu hier.

Thomas Schmidinger

Mary Kreutzer

Was würde denn ein Fall von Kobanê für die Situation in der gesamten Region bedeuten?

Kobanê ist von strategischer Bedeutung für die Kurden. Damit wäre ein großer Teil der Grenze zwischen der Türkei und Syrien unter Kontrolle des sogenannten "Islamischen Staats". Es würden nur zwei kurdische Enklaven auf syrischer Seite verbleiben, die westlich und östlich von Kobanê liegen. Es ist zu befürchten, dass der sogenannte "Islamische Staat" nach einem Fall von Kobanê auch eine dieser Enklaven angreifen würde.

Was würden Sie sich denn in der aktuellen Situation von unserer Bundesregierung wünschen?

Wir sind auch EU-Mitglied und die EU könnte sehr wohl massiven Druck auf die Türkei ausüben, sich bezüglich Syrien und vor allem vor allem ihrer Haltung gegenüber dem IS und den kurdischen Behörden die sich dort (seit dem Syrischen Bürgerkrieg, Anm.) entwickelt haben, zu bewegen und endlich die Grenze zu öffnen gegenüber den syrischen Kurden und die Grenze zu schließen gegenüber dem Islamischen Staat.