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Anna Katharina Laggner

Film, Literatur und Theater zum Beispiel. Und sonst gehört auch noch einiges zum Leben.

2. 10. 2014 - 14:09

Marlene Streeruwitz als Jungautorin

In der Rolle der jüngsten jemals zum Deutschen Buchpreis nominierten Frau schreibt Marlene Streeruwitz "Die Reise einer jungen Anarchistin in Griechenland"

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Die Fähigkeit, literarisch zu schreiben, fällt nicht vom Himmel. Man schreibt nicht einfach so ein gutes Buch. Und oft ist das erste Buch eben auch eine erste Idee von der Entwicklung eines literarischen Werkes, mit all seinen Um- und Abwegen und Auf- und Abstiegen.

Marlene Streeruwitz, die nun wirklich keine Jungautorin mehr ist, schlüpft in ihrem neuen Roman in die Haut der Erstlingsautorin Nelia Fehn. Am Anfang dieses Sommers ist "Nachkommen" von Marlene Streeruwitz erschienen. Es handelte davon, dass eben diese Nelia Fehn als jüngste Autorin für den deutschen Buchpreis nominiert ist. Nun erscheint jenes Buch, für das die fiktive Jungautorin nominiert ist.

Cover des Romans "Die Reise einer jungen Anarchistin in Griechenland"

S.Fischer Verlage

"In dem Augenblick hätte es mich nicht gewundert, wenn ich vor Sehnsucht und Verzweiflung in die Luft aufsteigen und fliegen hätte können und so doch noch nach Athen gekommen wäre." So lautet der erste Satz, den Marlene Streeruwitz als Nelia Fehn schreibt. Nelia Fehn – das haben wir in „Nachkommen“ erfahren, ist Anfang 20, groß und schlank, verliebt in den Griechen Marios. Sie ist ohne Vater aufgewachsen und ihre Mutter ist vor wenigen Jahren gestorben. Der Schmerz ist omnipräsent. Nelias wichtigste Begleiter sind das Iphone und der zu einem Rucksack umfunktionierbare Rollkoffer, den sie von ihrer Mutter bekommen hat.

War „Nachkommen“ eine raffinierte Sachverhaltsdarstellung des deutschen Buchpreises, in dem das Männlichkeitsgetue der Branche auseinandergenommen wurde, gegen das sich eine Jungautorin mit stolpernder Trotzigkeit zur Wehr setzt, so ist „Die Reise einer jungen Anarchistin in Griechenland“ ein atemloses Debüt. Bei „Nachkommen“ ist man bereits innerhalb des ersten Absatzes an Formulierungen wie „die Zeit an der Hand nehmen und sich führen lassen“ hängen geblieben, konnte man sich zwischen den zu Sätzen geformten Halbsätzen Gedanken machen. „Die Reise einer jungen Anarchistin in Griechenland“ hingegen verleitet zum Schnell-lesen. Die Erzählung nimmt einen quasi an der Hand und rast davon.

Cover des Romans "Nachkommen"

S.Fischer Verlage

Dass der deutsche Buchpreis ein Marketinginstrument ist, und nicht unbedingt ein Gradmesser für höchste literarische Qualität, wusste man auch vor „Nachkommen“. Es geht mehr um die Präzision, mit der Streeruwitz die schulterklopfende Domäne als ein Spiel beschreibt, in dem Frauen ausgeklammert werden, wenn sie nicht bereit sind, sich den Regeln zu unterwerfen.

„Nachkommen“ war übrigens auf der Longlist für den deutschen Buchpreis. Ihre Erfahrung damit beschreibt Streeruwitz in dem Artikel „Der Buchpreis ist keine Geschlechtsumwandlung wert“, nach dessen Lektüre (und der Ansicht des von einem Herrn Hochmut geschossenen Autorinnenfotos) man ihr wirklich keine Humorlosigkeit mehr unterstellen kann.

In „Die Reise einer jungen Anarchistin in Griechenland“ gibt es die beobachtende Distanz von „Nachkommen“ nicht, kann es sie nicht geben. Die Ich-Erzählerin Nelia Fehn steht der Unterdrückung durch Männlichkeit mit Fassungslosigkeit – mit stolpernder Fassungslosigkeit - gegenüber. Nelia möchte von einer griechischen Insel auf das Festland nach Athen fahren, um dort ihren Freund Marios zu treffen. Sie muss pünktlich zum Treffpunkt erscheinen, da Marios als politischer Aktivist und Regierungsgegner und Demonstrant keine fixe Telefonnummer hat.

Doch Nelia versäumt die Fähre, weil sie Hals über Kopf aus dem Auto stürzt, nachdem der Chauffeur sie zu einem Kuss genötigt hat.

Am nächsten Tag steigt sie zu zwei unbekannten Männern auf ein Segelboot und sticht mit ihnen in See. Man könnte das als naiv bezeichnen. Man könnte aber auch sagen, dass sie von schlechten Erfahrungen noch nicht verdorben ist. Die Erfahrungen, die sie auf dieser Reise macht - ein Sturm, Seenot, die Begegnung mit frustrierten Zweitwohnsitzbesitzern und die deutlichen Zeichen der Krise – werden sie nicht verderben, sie werden Nelia Fehn zu einer souverän durchs Leben Stolpernden machen.

Marlene Streeruwitz ist nicht nur in die Haut einer jungen Autorin geschlüpft, sondern vor allem in die Haut einer jungen Frau. Einer jungen Frau, die mit Krisen und in Zeiten der Krise erwachsen wird. Es ist eine starke Stimme, mit der Streeruwitz in unbeugsamer Wachsamkeit der Welt der Männlich- und Wirtschaftlichkeit entgegen tritt.

"Nachkommen" und "Die Reise einer jungen Anarchistin in Griechenland" sind beide bei S.Fischer Verlage, Frankfurt/Main erschienen.