Erstellt am: 29. 9. 2014 - 18:07 Uhr
Das Leben, ein Song
Benjamin Booker ist ein sympathischer Kerl. Er hasst Oasis, Eric Clapton und Mumford&Suns. Seine erste Platte war "Elephant" von den White Stripes, zwölf Jahre später eröffnet er die Konzerte von Jack White, obwohl er eigentlich nie Musiker werden wollte und zu diesem Zeitpunkt gerade mal zwölf Songs geschrieben hat, die auf seinem selbstbetitelten Debüt-Album zu hören sind.

Benjamin Booker
Garagen Rock x Blues x Punk x Reibeisenstimme
Dass Booker ein bekennender roter Marlboroianer ist, hört man an seiner rauchigen Reibeisenstimme. Als Einflüsse nennt er The Gun Club, den Blues-Sänger Blind Willie Johnson und die 70er-Jahre-Rocker T.Rex. Als verhinderter Musikjournalist kennt sich der 25-jährige in der Musikgeschichte aus, frage nicht!
Tremolo, Distortion, Fuzz-Gitarre
Sein roher Garagen- und Blues-Rock erinnert an den Rock'n'Roll von Chuck Berry, The Strokes und den Held seiner Jugend, Jack White. In ruhigeren Momenten zügelt er seine wild-galoppierende Fuzz-Gitarre und weidet in Balladen seine zerüttete Jugend, zerfurchte Seele und zerbrochenes Herz aus. Das Album ist seine Autobiografie, jeder Song sein Leben.

ATO Records / Rough Trade
Benjamin Bookers Biografie liest sich wie eine klassische Musiker-Karriere: Stockkonservative, katholische Eltern, der strenge Vater werkt bei der Navy und ganz egal, was Benjamin macht, in den Augen seiner Eltern war und ist es falsch. Als Jugendlicher fährt er Skateboard und kommt mit der DIY-Punk-Szene in Tampa, Florida in Berührung. Dort wird er angefixt. Nicht nur von der Musik, sondern auch von Drogen und Alkohol.
I thought I heard you screaming
Während seiner vier College-Jahre war er laut Eigenaussage ständig high. Er kann sich kaum noch an diese Zeit erinnern, in seiner WG war 24 Stunden am Tag Happy Hour. Seine Wohnungskollegin trieb es noch ein bisschen ärger als er und die Sorge um sie hat er in dem Song "I thought I heard you screaming" verarbeitet. Dabei hat sie gar nicht geschrien, er hat bloß im Drogenrausch halluziniert.

Benjamin Booker
Have you seen my Son?
Doch Benjamin Booker kann mit niemandem über seine Probleme sprechen. Seine Freunde sind immer breit und die Eltern würden ihn sowieso nicht verstehen. An sie geht der Song "Have you seen my Son?".
Aus der Unmöglichkeit heraus, die Dinge im direkten Gespräch beim Namen zu nennen, schreibt er Songs und nimmt sie im Badezimmer auf. Die adressierten Personen bekommen das Ergebnis zu hören, danach wird geredet. Oder auch nicht.
Während seines Journalismus-Studiums arbeitet Booker nebenbei als Musikjournalist, findet aber keine Arbeits- oder Praktikumsstellen und widmet sich deshalb vermehrt der Gitarre. Die Ironie ist, dass ihn jetzt all die Musikmagazine um Interviews und Videos anfragen, die ihn damals abgelehnt haben.
A New Foundation
Die Situation in Florida wird für ihn unerträglich. In "Wicked Waters" singt er über seine Schuldgefühle und seinen Wunsch nach Veränderung.
Booker übersiedelt nach New Orleans. "The Big Easy" ist die Heimat des Jazz, Dixieland, Rhythm&Blues und vor allem Eines - billiger als Florida. Dort ist er trotz schlecht bezahltem Job in einer NGO ständig pleite und ernährt sich monatelang nur von Butter und Brot.
Abends spielt er Akustik-Konzerte, die niemand hören will. Also macht er einen auf Bob Dylan und wird elektrisch.
2012 geht es steil bergauf: Er schickt seinen Freunden ein paar Demos, die dann im Netz kursieren. Der Blog Aquarium Drunkard wird auf ihn aufmerksam und postet einen seiner Songs, der dann von einer Radio-Station ins Programm aufgenommen wird. Ein Plattenfirmen-A&R fliegt daraufhin nach New Orleans, sieht ihn live und nimmt ihn prompt unter Vertrag.
Ein breitenwirksamer Auftritt bei David Letterman folgt:
Dort spielt er "Violent Shivers" und es ist das erste Mal, dass seine Eltern ihn auf einer Bühne sehen. Statt stolz zu sein meckert die Mutter, dass sie nicht verstanden hat, wovon er eigentlich singt. Aber das war wohl besser so, denn laut Booker gehts in "Violent Shivers" um Asphyxiophilie, das nicht ungefährliche Spiel mit der Atem-Unterbindung beim Sex.
Benjamin Booker hat es gerne ungestüm, intim und leidenschaftlich. Deshalb klingt das Album auch unmittelbar und roh wie ein Konzert in einer drittklassigen Bar, wo man vor Euphorie auf den Scherben der Bierkrüge und Bookers Herzen tanzt.
"Sad Songs is all I know", sang schon Otis Redding und bei Booker ist es ähnlich. Dass er beim ungeschminkten Seelenstriptease die technisch perfekte Spielweise vernachlässigt, ist herzlich egal. Was man hört sind 100% Benjamin Booker und das ist ziemlich gut so.