Erstellt am: 28. 9. 2014 - 19:00 Uhr
Verwirrung vor Hearings der neuen EU-Kommissare
Dann starten die parlamentarischen Hearings für die EU-Kommission in Brüssel. Alle von Kommisionspräsident Jean-Claude Juncker vorgeschlagenen Kommissare müssen sich dabei Einzelbefragungen durch die Parlamentarier stellen. Gleich die erste dieser Anhörungen wird mit besonderer Spannung erwartet, denn da stellt sich mit Malmström die designierte Kommissarin für Außenhandel den Fragen der Abgeordneten.
Am Freitag war eine Fassung von Malmströms geplanter Rede veröffentlicht worden, die eine klare Ablehnung der umstrittenen Klauseln zum Investorenschutz im TTIP-Freihandelsabkommen mit den USA enthielt. Ihr darauffolgendes Dementi löste erhebliche Verwirrung aus. Diese in den Freihandelsverträgen mit Kanada (CETA) und den USA (TTIP) enthaltenen Klauseln sind die umstrittensten Elemente in beiden Verträgen.
Seit der Vorstellung der designierten Kommissare Mitte Septenber wurden vor allem Personalia thematisiert, nicht aber die neue Managementstruktur unter Präsident Jean-Claude Juncker. Dabei handelt es sich bei Junckers Umbau der Kommission um die ersten gravierenden Änderungen in der Organisation der Kommission seit mehreren Legislaturperioden.
Das Hearing der designierten Handelskommissarin hat zudem gleich mehrfach tagesaktuellen Charakter, denn parallel dazu startet am Montag die siebente TTIP-Verhandlungsrunde. CETA wiederum wurde am Freitag von den Verhandlern formal abgeschlossen. CETA muss aber noch durch das Plenum des EU-Parlaments, von der Papierform her kann das Abkommen dort jedoch nur als Ganzes angenommen oder abgelehnt werden.
Der Hergang der Verwirrung
Die Verwirrung begann, als der neue Vorsitzende des parlamentarischen Handelsausschusses, Bernd Lange (SPD), am Freitag erfreut bekanntgab, dass Malmström zugesichert habe, die Klauseln zum Investorenschutz würden aus der Verhandlungsmasse entfernt. Die grüne Fraktion wiederum hatte den Text der Rede Malmströms vorab veröffentlicht, der eine scheinbar eindeutige Aussage dazu enthält.
Eu-Kommission
Wörtlich heißt es da: "Europas Standards für Sicherheit, Gesundheit, Soziales und Datenschutz werden nicht auf dem Altar des Freihandels geopfert werden. In diesem Zusammenhang werden keine Einschränkungen der europäischen Gerichtsbarkeit akzeptiert; das bedeutet klarerweise, dass kein Investorschutzabkommen Teil dieses Abkommens sein wird."
Malmström: "Falsche Version"
Malmströms Aussage bezieht sich allerdings ausschließlich auf das geplante TTIP-Abkommen mit den USA, nicht auf CETA, das ein ebensolches Regelwerk enthält. Zudem ist es nicht einmal Malmströms eigene Stellungnahme, denn sie zitiert erklärtermaßen dabei Juncker und sichert ihre Unterstützung seiner Position bei den laufenden Verhandlungen zu. Am Freitagabend sorgte Malmström dann mit einer Wortmeldung auf Twitter für Verwirrung, indem sie den von den Grünen veröffentlichten Text als "falsche Version" ihrer Rede bezeichnete. In deren Endfassung sei diese Aussage nämlich nicht enthalten.
Veröffentlicht wurde die "Nicht-Endversion" von Malmströms Rede durch den EU-Abgeordneten Sven Giegold (Grüne). Wenige Stunden später kam das Dementi auf Umwegen ins Netz.
Reuters wiederum zitierte einen namentlich nicht genannten hohen Beamten der Kommission, der angab, Juncker sei durch einen Mitarbeiter weniger zitiert, als vielmehr überschießend interpretiert worden. Deshalb finde sich die gesamte Passage auch nicht mehr in Malmströms Text.
Erneut neue Organigramme
Ein weiteres Zeichen dafür, dass es innerhalb der neuen Kommission derzeit politische Verwerfungen hinter den Kulissen gibt, findet sich auch auf der Website Junckers. Alle bisherigen Organigramme sind von dort verschwunden, aus den neuen geht Junckers Totalumbau der Kommissionsstruktur noch etwas deutlicher hervor.
EU-Kommission
Junckers Führungsstruktur
Die beiden wichtigsten Posten in der neuen Führungsebene über den Kommissaren haben der Erste Vizepräsident Frans Timmermanns und die Außenbeauftragten Federica Mogherini inne. Während der Konservative Timmermanns Junckers Stellvertreter ist, ist die Sozialdemokratin Mogherini für Außenpolitik zuständig, sie ist Malmströms Handelsressort direkt übergeordnet. Malmström kommt von der liberalen Fraktion, die in der Frage des Investorenschutzes keine einheitliche Position bezogen hat. Der Schwenk ist also nicht eindeutig politisch zuzuordnen. Fest steht jedoch, dass die ursprüngliche, generelle Ablehnung der sozialdemokratischen Position ziemlich genau entspricht.
Noch-Handelskommissar De Gucht
Die von den Europäern gewünschte Fortschreibung von Teilen des gescheiterten ACTA-Abkommens in CETA stieß bei den Kanadiern offenbar auf wenig Gegenliebe. Die ursprünglich geplante Ausweitung der Copyrights auf 70 Jahre flog ebenso aus dem Text wie strafrechtliche Sanktionen bei Verstößen gegen das Urheberrecht.
Bereits am Donnerstag hatte der deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel unmissverständlich erklärt, er werde kein Abkommen unterzeichnen, das Regeln zum Investorenschutz enthält. Hierauf hatte sich auch der noch amtierende Handelskommissar Karel de Gucht zu Wort gemeldet, unter dessen Federführung die Verhandlungen zu beiden Abkommen eingeleitet worden waren. De Gucht warnte mit scharfen Worten davor, das nach fünf Jahren ausgehandelte CETA-Abkommen noch einmal aufzuschnüren, denn dann wäre "CETA tot".
Vor allem aus Deutschland und Österreich, aber auch aus Frankreich kommt starker Widerstand gegen Investorschutzklauseln auf nationalstaatlicher Ebene. Insbesonders wenn Freihandelsabkommen Staaten mit hochentwickelten Rechtssystemen beträfen, seien solche Zusätze, die in die eigene Rechtsprechung eingreifen würden, überhaupt nicht nötig, lautet das hauptsächliche Gegenargument.
Schlichtungsverfahren
Wie eine Statistik der UNO-Organisation für Handel und Wirtschaft (UNCTAD) zeigt, ist die Zahl der Verfahren, die vor internationalen Schiedsgerichten gegen einzelne Staaten ausgetragen werden, während der letzten Dekade steil gestiegen.
UNCTAD
Solche Klauseln zum Investorenschutz sind keineswegs eine rein amerikanische Erfindung, denn die mehr als 30 Seiten umfassende Regelung im CETA etwa ist eher europäischen als kanadischen Ursprungs. Gegen Kanada läuft nämlich seit 2013 eine 500 Millionen Dollar schwere Schadenersatzklage des Pharmakonzerns Eli Lilly wegen der Aberkennung zweier Patente auf chemische Wirkstoffe in Kanada. Diese Aberkennung liegt gut zwanzig Jahre zurück, und Eli Lilly hatte seine Klagen vor kanadischen Gerichten dann quer durch alle Instanzen verloren.
Die aktuelle Klage des Pharmakonzerns basiert hingegen auf dem "North American Free Trade Agreement" (NAFTA) und sie erfolgt vor einem Schiedsgericht. Das NAFTA-Abkommen der USA mit Mexiko und Kanada wurde bereits 1994 unterzeichnet, die transatlantische Version TAFTA kam nie zustande. Erst 2013 kehrte sie dann unter Bezeichnung TTIP zurück.
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Klarstellung von Malmström erwartet
In der Anhörung am Montag wird die designierte Handelskommissarin ab 14.30 Uhr Stellung beziehen müssen. Um 18.30 Uhr steht mit dem designierten Kommissar für die Digitale Agenda, Guenther Oettinger (Konservative), auch sein neues "Superressort" auf dem Prüfstand. Oettinger hat neben allen IT- und Telekomagenden auch den gesamten Bereich Medien zugeteilt bekommen.
Öttinger ist so auch für eine einheitliche Regelung etwa bei Urheberrechten im Musikbereich und ihrer europaweiten Abgeltung zuständig. Ein diesbezüglicher Richtlinienentwurf wurde zwar bereits im Juni 2012 angegangen, liegt aber seitdem offenbar auf Eis.