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Petra Erdmann

Im Kino und auf Filmfestivals

28. 9. 2014 - 13:46

FM4 Filmgeschichten mit Ulrich Seidl

"Wenn's nicht brisant wäre, dann hätte ich es nicht gefilmt", sagt der Filmemacher. Ulrich Seidl ist eine Stunde zu Gast auf FM4.

FM4 Filmgeschichten mit Ulrich Seidl

Sonntag, 28. September, von 15-16 Uhr, und danach 7 Tage im Stream.

Es ist eine Geschichte von einem Politskandal rund um "Im Keller"-Szenen, der uns nicht nur Lichtjahre zurückwirft, in ein Proseminar mit dem Titel "Ja, auch Dokumentarfilme sind inszeniert", sondern auch Symptom von abgründiger Verharmlosung in Österreich ist.

FM4 Filmgeschichten mit Ulrich Seidl

    Ulrich Seidl interessiert sich in seiner neuesten Dokumentation für die Obsessionen mancher Österreicher, die sie in ihrem unterirdischen Refugien ausleben. Es hat Tradition, dass sadomasochistische Szenen einer Ehe offenherzig im Seidl-Film Platz finden. Überraschend gruselig wird es bei Frau Klebinger. Die pensionierte Lehrerin herzt ihre "New Born"-Babypuppe, die im Kellerabteil lagert. Sie sieht einem echten Säugling täuschend ähnlich, und wird in einen bizarren Fantasiedialog verwickelt.

    Eine Frau in einem Keller hält eine Puppe im Arm.

    Stadtkino Filmverleih

    Weltpremiere in Venedig

    Ulrich Seidl schürft "Im Keller" nach der abgründigen Normalität der Österreicher.

    Es ist vorstellbar, dass ein alter Möchtegern-Opernsänger ein Liedchen trällert, wenn er nicht gerade Schießübungen exerziert und xenophobe Philosophiegespräche mit seinen Kameraden im Schacht führt. Unvorstellbar lange polizei- und ortsbekannt aber schien im burgenländischen Marzen, dass zwei spätere ÖVP-Gemeinderäte unter fünf Männern im Trachtenanzug sich singend zuprosten – und das umringt von NS-Devotionalien unter dem "liebstem Hochzeitgeschenk", einem Hitlerbild des Kellerbesitzers Josef Ochs. Die zwei Politiker mussten aufgrund solcher ungenierten Szenen ihr Amt zurücklegen - das sie 2009 zum Zeitpunkt des Drehs noch nicht innehatten. Und dennoch. Dass der Landespartei nichts über die Unkultur ihrer potentiellen Vertreter bekannt war und sich die Kellerfreunde nicht viel dabei gedacht haben, so ein öffentliches (Kino)Bild abzugeben? Da täten sich mehr Abgründe auf als über die scheinheilig geführte Diskussion um Authentizität auf der Leinwand anlässlich des österreichischen Kinostarts von "Im Keller".

    Zuprosten im "Nazi-Keller".

    Stadtkino Filmverleih

    Wie es Ulrich Seidl derzeit mit dem politischen Skandal und der Ermittlung der Staatsanwaltschaft wegen eines möglichen Verstoßes gegen das Verbots- und Wiederbetätigungsgesetzes geht, davon erzählt Seidl in den FM4 Filmgeschichten. Ob ihm denn nicht schon beim Dreh vor fünf Jahren die Sprengkraft des "Nazi-Kellers" bewusst war, habe ich gefragt.

    Ulrich Seidl

    Sepp Dreissinger / Stadtkino Filmverleih

    Bei der Puppenmutter

    Reportage von den Dreharbeiten zu Ulrich Seidls neuem Film "Im Keller".

    "Nicht in diesem Ausmaß, [...] aber natürlich: Wenn's nicht brisant wäre, dann hätte ich es nicht gefilmt. Mir geht es aber nicht darum, den Einzelnen hier auszustellen und möglicherweise einer Strafverfolgung auszusetzen. Mir geht es darum, diese Gesinnung, die dahinter steckt, deren Verharmlosung - oder man könnte es auch die Nostalgie des Herrn Ochs nennen -, dass es vielerorts Ähnliches gibt. Mir geht es da um eine Kritik an einer Gesellschaft, die das duldet. Viele Menschen wussten und wissen vom Keller des Josef Ochs in der Ortschaft (Marzen im Burgenland). Sie finden das eher vernachlässigbar und normal."

    Jetzt wird Ulrich Seidl öffentlich von jenen Darstellern beschuldigt, er hätte das Saufgelage im "Nazi-Keller" inszeniert. Was dieser - bis auf einen verrückten Tisch und das Verhängen einer Lampe - entschieden zurückweist. Abgesehen davon, dass jeder – auch der Dokumentarfilmmacher – Bilder der Wirklichkeit nachstellen muss, um zu seinem Film zu kommen.

    "Ich habe nichts dazu erfunden oder gestellt, was nicht schon öfters im Keller des Herrn Ochs vorgegangen ist."

    Ein Kolporteur in Wien.

    Stadtkino Filmverleih

    Die Aufregung um Seidls erste lange Doku "Good News" von 1991 fällt mir dazu ein. Sie zeigt den trostlosen Alltag von Zeitungskolporteuren in Österreich. Waren damals die Vorwürfe nicht ähnlich? Mit seinem einzigartigen visuellen Stil der strengen Cadrage und gleichzeitig der frontalen Begegnung mit der wuchtigen Einsamkeit seiner Protagonisten, kündete Ulrich Seidl schon vor fast einem Vierteljahrhundert von den Grauzonen zwischen Spiel- und Dokumentarfilm, die später zu seinem klaren Markenzeichen werden sollten.

    "Damals hat man mir Vorwürfe gemacht, ich stelle die Leute aus. Man hat mich als Sozialpornograf beschimpft. Das sind Vorwürfe, die heute selten kommen. Ich bin froh, dass sich eine Sicht bei den Zuschauern und Kritikern weiterentwickelt hat. Heute sieht man auch, dass eine Grenzüberschreitung zwischen Dokumentar- und Spielfilm angenommen wird und das mittlerweile auch von vielen anderen Regisseuren. Das sieht man nicht mehr so streng wie damals."

    Der neben Michael Haneke wohl international bekannteste Österreichische Regisseur bewahrt auch angesichts der "Im Keller"-Aufregung Contenance. Er liebe ja die Kontroverse. "Tierische Liebe" (1996) hält er noch immer für seinen härtesten Film. Seine schonungslosen Aussagen im Anblick der Menschen, die wohl nur aus größter Einsamkeit diese ungewöhnlich enge Beziehungen zu ihren Haustieren eingehen, dieser universelle Gesellschaftszustand fährt dem Regisseur weiterhin mehr ein als eine Kellersammlung von Nazi-Memorabilia.

    Eine Frau mit einem schwarzen Hund vor vielen Stofftieren im Hintergrund sowie einer Tapete mit einem Natursujet.

    Filmcasino & Polyfilm

    "Im Keller" läuft seit 27.September 2014 in ausgewählten Kinos.

    In den FM4 Filmgeschichten mit Ulrich Seidl soll nicht nur skandalgenudelt werden. Seidl erzählt auch von seinem strengen Elternhaus und dass es ihm nicht oft erlaubt war, ins Kino zu gehen. Nicht mal um Karl May-Verfilmungen anzuschauen, in die er sich heimlich in den dunklen Saal rein- und rausgestohlen hatte. Irgendwann mal spricht der 60-Jährige von der Endlichkeit, unendlich Filme zu machen, also dem Tod: der seines Freundes und Kollegen Michael Glawogger war ein großer Verlust für Seidl. Die Reisen, die Gespräche und Begegnungen mit Menschen, die er gemeinsam mit Glawogger in deren frühen Zusammenarbeiten unternommen hat, die haben Ulrich Seidls Kino mehr geprägt als die Werke von geschätzten Kollegen wie Jean Eustache, Pier Paolo Pasolini oder Werner Herzog - wie er in den FM4 Filmgeschichten erzählt.

    FM4 Filmgeschichten mit Ulrich Seidl

    Sonntag, 28. September, von 15-16 Uhr, und danach 7 Tage im Stream.