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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

27. 9. 2014 - 14:20

Space is the Place

Finnland-Schwerpunkt am letzten Abend des Literaturfestival Berlin. Inklusive Jimi Tenor!

Letzten Samstag endete in Berlin das Literaturfestival, der letzte Abend war dem Gastland der diesjährigen Frankfurter Buchmesse, dem schönen Finnland gewidmet. In der Ankündigung hatte man einen Abend der "kosmischen Extravaganz" im Haus der Berliner Festspiele versprochen, und dieses Versprechen wurde sogar eingehalten.

Jimi Tenor

Christiane Rösinger

Jimi Tenor, einer der großen Stars und Erneuerer der europäischen Elektromusik, kuratierte diesen finnischen Abend. Tenor - genau so, wie man ihn von Pressefotos und Videos kennt, im blassrosa Anzug, mit langem wirren blonden Haupthaar und großer Brille - hatte sich auf der Bühne zwischen einem Arbeitstisch mit allerlei Kästchen und technischem Zubehör und einem antik-analog wirkenden Keyboard installiert.

Während der vom Programmchef Thomas Böhm gehaltenen Laudatio auf den Tonkünstler vergrub dieser sich bescheiden in seinen Gerätschaften, warf dann den Korg-Synthesizer an und ließ zum Auftakt des kosmischen Abends die in der elektronischen Musik so beliebten repetitiven Strukturen erklingen, nicht ohne auch seine silberne Querflöte hervorzuholen und zu bespielen. Dann wurden die finnischen Autoren vorgestellt und Tenors Auswahl zeigte: Finnland mag das Gastland der nächsten Frankfurter Buchmesse sein, aber Space is the Place! Die Weiten des Universums, Außerirdische, der Kosmos an sich waren Themen des Abends.

Jimi Tenor

Christiane Rösinger

So geht es in der vierbändigen psychedelischen Weltall-Oper "Kapiteeni Shiva" von Maria Candia alias Megatron Braineater im weitesten Sinn um einen "Mad Professor", der die Welt erobern will, aber die Autorin nutzt die Möglichkeiten des Genres, um philosophische Fragen aufzuwerfen und Genderbelange zu diskutieren. Bereits als Kind, erzählt sie, begann sie an dem vierbändigen Werk zu schreiben, denn als einziges dunkelhaariges Kind in einer finnischen Schule mit 899 blonden Kindern musste sie sich zwangsläufig für das Fremde interessieren. Die vorgetragene, von Tenor musikalisch untermalte Übersetzung, führte in die Welt der Dunkelgänger, Traumerzähler, Sternenwanderer und der arg kohlenstoffzentrierten Sichtweise von uns Menschen.

Den zweiten Gast des Abends, den schmalen jungen Mann mit der imposanten Robert-Smith-inspirierten Vogelnestfrisur, hätte man auf den ersten Blick für einen Gothic Novel-Autor gehalten. Aber Syksy Räsänen ist Kosmologe an der Universität Helsinki, und wahrscheinlich ein hochbegabter Physiker (Oxford, Cern). Sein Vortrag über den Kosmos und seine Mitarbeit an einer Zirkusshow über das Universum endete mit dem bedenkenswerten Hinweis, das alles, woraus wir Menschen bestehen, von explodierten Sternen herrührt.

Podium am Literaturfestival Berlin 2014

Christiane Rösinger

Zum Schluss kam als Vertreterin des Genres "Finnish Weird" Johanna Sinisalo auf die Bühne.Ihr Romandebüt "Ennen päivänlaskua ei voi" (2000; dt. "Troll. Eine Liebesgeschichte") wurde mit dem Finlandia-Literaturpreis ausgezeichnet und in über 20 Sprachen übersetzt. "Finnish Weird" ist eigentlich ein postmodernes Genre, denn es nutzt die Versatzstücke anderer Genres als literarisches Werkzeug. "Finnish Weird" meint Autoren, die nicht zur Abteilung "Fantasy" oder "Science Fiction" zählen, auch wenn in bizarren Erzählsträngen von fantastischen Figuren, der nordischen Sagenwelt oder Außerirdischen berichtet wird. Die ersten Seiten von Sinisalos neuem Roman "Finnisches Feuer" beschreibt einen vaginalen Drogentest, der stellenweise an Charlotte Roches literarisches Werk erinnerte. Der Roman ist aber eine Parabel auf einen Überwachungsstaat, in der die oberste Staatsgewalt vom Gesundheitsamt ausgeübt wird. Ein feministischer Roman über weibliche Lebensentwürfe in einer männlich dominierten Gesellschaft.

Dieser kosmische Abend war auch ein überraschender Abend. Danach müssen die gängigen Klischees von den Finnen als Saunafans, große Schweiger, gewissenhafte Wodkatrinker, kaurismäkische Melancholiker, designbegabte Elfenversteher und Tangoliebhaber zumindest um ein paar Zuschreibungen erweitert werden.