Erstellt am: 27. 9. 2014 - 08:11 Uhr
Lachen, bis die Jihadisten kommen
Zwei Stockwerke unter Beiruts berühmter Ausgehmeile, der Hamra Straße, vibriert der Boden. Die Band ar-Rahal el Kabir - zu Deutsch in etwa "Der große Verstorbene" - lädt zum Konzert, und die Metro al Medina-Bühne ist ausverkauft. Das liegt vor allem an einem Song der libanesischen Band: "Madad Baghdadi". Es ist ein Schmähsong gegen den selbsternannten Kalifen des "Islamischen Staates."
Sätze wie "Meister Baghdadi, Du führst alle Muslime – du führst sie in den Abgrund wie keiner vor Dir", schallen von der Bühne. Oder auch: "Weil wir ein Problem mit dem Verkehr haben, sprengst Du einfach alle in die Luft."
Das Publikum lacht, klatscht und singt mit. Der Refrain des Songs ist eingängig und bekannt. 50.000 Mal erklang er auf Youtube, und das Metro al Medina, das eigentlich nur zwei Shows der Band zeigen wollte, musste aufgrund der großen Nachfrage, drei weitere Konzerte anbieten. Als es an die Zugabe ging, wollte das Publikum nochmal den Song "Madad Baghdadi" hören. Klarer kann man dem selbsternannten Kalifen die Gefolgschaft nicht verweigern.
Medizin gegen den Islamischen Staat: Die Satire
Aber Lachen, Klatschen und Singen, wenn es um den "Islamischen Staat" geht? Sänger, Pianist und Songschreiber Khaled Soubieh zieht die Schultern hoch. Er schreibe über Sachen, die die Menschen bewegen. Wenn sie dabei lachen, sei das doch umso besser, meint der 37-Jährige. Auch wenn Khaled schnell klarstellt:
"Der 'Islamische Staat', oder ISIS, ist alles, aber nicht lustig. ISIS ist nicht das einzige Problem in der Region, aber eben das größte. Und das ist nicht lustig. Unser Sänger Naim hat es so formuliert: Die Realität ist so unerträglich, dass man sie nicht mehr in ernste Worte fassen kann. Weder ich, noch das Publikum kann diese Tragödie aushalten. Die einzige Medizin dagegen ist deshalb: Die Satire"
Nicht nur ar-Rahal al Kebir sind die Apotheker, die der libanesischen Gesellschaft und weiter dem ganzen Nahen Osten diese Medizin verschreiben. Die Satire gegen ISIS ist fast schon eine Volksdroge geworden. Beispiel: "Der Vormarsch der Truppen des 'Islamischen Staates' auf die libanesische Hauptstadt kam zum Erliegen. Als Grund gaben Quellen innerhalb des IS an: Bei diesem Verkehr lässt sich doch nicht ernsthaft Krieg führen." (zu lesen in unterschiedlichen Formen hier und hier).
Es ist der sarkastische Weg, um Abu Bakr al Baghdadi die Gefolgschaft zu verweigern. Und das ist ein neuer Trend im Libanon, dem Land, an dessen Grenzen ISIS immer wieder an die Türen klopft. Der in London lebende Libanese (und herausragende Twitterer) Karl Sharro springt auch auf den Zug auf.
Screenshot Twitter
Und im Libanesischen Facebook und Whatsapp ist dieses Video aus Palästina gerade viral gegangen.
Die palästinensische Comedy kommt leider nicht ohne anti-israelischen Kommentar aus. Am Schluss des Clips taucht ein junger Israeli auf, den die ISIS-Terroristen unbehelligt durchwinken. Einen direkten Verweis auf die Verschwörungstheorie, dass der "Islamische Staat" direkt von den USA und Israel bezahlt und aufgebaut wurde, muss man darin nicht zwingend erkennen. Das übernimmt die neue irakische Satire Sendung "Staat der Mythen". Die Anfangsszene zeigt eine Hochzeit in der Wüste. Ein amerikanischer Cowboy heiratet eine israelische Braut. Ihr Kind ist der selbsternannte Kalif Abu Bakr al Baghdadi. In Shows, die nichts ernst nehmen, könnte auch dieser Verweis auf Israel und die USA als Verarsche landläufiger Theorien gesehen werden. (Mit Betonung auf könnte).
Auch wenn viele Zuseher die anti-israelischen Anspielungen nicht übersehen können: Die Satire zielt in viel größerem Maße auf die eigene arabisch-muslimische Unfähigkeit ISIS zu bekämpfen, als auf Israel, oder die USA. (Hier noch ein BBC Podcast zum Thema Media in the Middle East, 55min).
Mehr Politik in der Musik
Diese Unfähigkeit führt im Syrien-Konflikt dazu, dass die Kämpfe immer wieder auch in das kleine Nachbarland, den Libanon, schwappen. Beirut ist allein deshalb voll von Politik. Davor kann sich auch die Kunst nicht verschließen. Deswegen ist das Bühnenprogramm der Band ar-Rahal el Kabir deutlich politischer geworden, so Sänger und Komponist Khaled Soubieh.
"Das wirkt sich auch auf unsere Band aus. 2013 hatten wir von insgesamt zwölf Songs vielleicht zwei politische. Dieses Jahr ist das anders. Alles ist politisch geworden, weil die Situation im Land eine ganz andere ist. Es gibt Spannungen und Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Religionsgruppen. Deshalb singen wir über die Themen, die uns umgeben. Wenn es ein Bombenanschlag ist, dann singen wir eben über diese Bombe. Es sind Dinge über die wir sprechen, von denen wir träumen, oder auch Alpträume haben."
La Bombe - Der Name ist Program
Eine Bombe ist auch Thema beim zweiten Anti-ISIS Song der sechs Libanesischen Musiker. "La Bombe", so Sänger Naim al Asmar, "thematisiert einen übertrieben höflichen Selbstmordattentäter. Er ist Franzose, einer der Jihadisten, die hierher kommen, um zu kämpfen. Jedenfalls steigt er in den Bus, und weil er kein Arabisch kann, fragt er eine Dame, sehr höflich, auf Französisch, wo er denn seine Bombe am Besten ablegen könne."
Screenshot Twitter
Es sind die einzigen zwei Anti-ISIS Songs, die die Band ar-Rahal el Kabir in ihrem eineinhalbstündigen Bühnenprogramm spielen. Aber diese zwei Songs brechen ein Tabu: Das Tabu, über ISIS zu sprechen. Die Gefahr, so Naim, werde vor allem von den Politikern verschwiegen. Sie täten so, als existiere ISIS gar nicht. Umso besser, dass jemand darüber singt, meint die junge Jessy, die sich das Konzert der Band in Beirut schon zum zweiten Mal angesehen hat. Auch wenn ihr das Lachen manchmal etwas schwer über die Lippen kam: "Heute fliegt die US-Luftwaffe Angriffe gegen den 'Islamischen Staat', deswegen waren die Leute heute nicht so ausgelassen, wie beim ersten Mal. Und vor allem ist ISIS nicht mehr nur in Syrien, oder im Irak. Die Leute hier im Libanon haben Angst vor ISIS. Im Süden genau so wie im Norden."
Die Gefahr ist also mehr als real im Libanon. In den vergangenen Wochen wurden zwei libanesische Soldaten von syrischen Islamisten geköpft, eine Stadt an der Grenze zu Syrien immer wieder angegriffen. Dass es die Terroristen des "Islamischen Staat" nun auch auf die Satireband abgesehen haben könnten, lässt Sängerin Sandy Chamoun kalt:
"Die Gefahr war schon immer zu spüren. Seit den ersten Tagen der Revolution in Syrien 2011 und davor auch schon. Das heißt jedoch nicht, dass wir Angst haben. Hier in Beirut hatten wir 25 Jahre Bürgerkrieg. Wir kennen die Situation und die Gefahr wird nicht größer, weil wir einen Song singen. Deshalb haben wir auch keine Angst."