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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

25. 9. 2014 - 09:14

Ahnherr der Antihelden

Fundstücke aus den Underground-Archiven: Mit "Sin City"-Schöpfer Frank Miller 1993 in Wien.

Der Ort könnte nicht unspektakulärer und passender zugleich sein. Ich sitze dem Autor, Zeichner und mittlerweile Regisseur Frank Miller im Hinterzimmer eines Wiener Comicshops gegenüber. Die Kassette in meinem Aufnahmegerät dreht sich mit einem leisen, klickenden Geräusch. Wir schreiben das Jahr 1993 und Miller ist damals ein gefeierter Innovator, ein Revolutionär in einer lange unterschätzten Kunstform, sein Österreichbesuch eine kleine Sensation.

Es war einmal vor langer Zeit in einer weit entfernten Galaxis: Einer aalglatten Mainstream-Übermacht standen kleine Fraktionen von Rebellentruppen gegenüber. Durchgeknallte Noiserocker, kompromisslose Filmemacher oder Hard-Boiled-Literaten beispielsweise.

Weil das Internet noch genauso Zukunftsmusik war wie Comickino-Blockbuster und fesselnde HBO-Serien, weil niemand an riesige Rockfestivals hierzulande zu denken wagte, bei denen tatsächlich aufregende Bands auftreten, tauschte man verwaschene VHS-Kassetten von verruchten Horrorfilmen, lauschte kratzigen Vinylplatten oder traf sich in verrauchten Kellern zu rauschhaften Clubgigs.

Euphorisierte einen irgendein Konzert, Album, Film oder Buch ganz besonders, gab es Lichtjahre vor der Erfindung von Blogs, Foren und Facebook nur wenige Möglichkeiten seine Begeisterung kund zu tun: Bei hitzigen nächtlichen Bargesprächen mit Freunden etwa. Oder in einem Fanzine, einem oft handkopierten Heftchen voller subkultureller Brandreden.

Diese Serie taucht, hoffentlich ohne nostalgische Verklärung, in jene Ära ein, als die Fronten zwischen Underground und Mainstream noch nicht verwaschen waren, holt Fundstücke aus den Archiven, erzählt von extremen Phänomenen und außergewöhnlichen Charakteren.

"Comics für Erwachsene" gab es auch schon vor den Heftserien des Amerikaners, aber sie beschränkten sich großteils auf bekifften Fantasy-Kitsch und subkulturelle Idyllen. Frank Millers Arbeiten dagegen werden von Kritikern als "diamantenhart, tough, rasiermesserscharf" bezeichnet. "Batman: The Dark Knight Returns", seine Blutauffrischung des alten Fledermaus-Mythos, ändert 1986 schlagartig das Antlitz der bunten Bildergeschichten. In das biedere Treiben der Superhelden fließen plötzlich sarkastischer Humor und rohe Gewalt ein.

The Dark Knight Returns

DC

The Dark Knight Returns

Willkommen im Sündenpfuhl

"Give Me Liberty", "Hardboiled", "Ronin", "Elektra": Frank Millers Schlüsselwerke sind, zusammen mit Alan Moores "Watchmen", ein Riesenschritt in die Zukunft des Mediums Comic. Im Fahrwasser der beiden Großmeister verwandelt dann eine Generation von jungen Zeichnern das Superhelden-Universum in einen Tummelplatz von Killermaschinen und menschenfressenden Aliens. Aber auch die Realität klopft an: Neurosen, Sex, das Verschwimmen der Konturen von Gut und Böse in einer eiskalten Wirklichkeit, all das gehört auf einmal zu den unerlässlichen Zutaten.

Während Miller zuvor oft mit anderen Größen des Genres kollaboriert, geht er ab Anfang der Neunziger wie ein Autorenfilmer vor, textet und zeichnet seine Stories in Personalunion. Die grandiose Serie "Sin City" entsteht auf diese Weise, alte Film-Noir-Klassiker inspirieren die holzschnittartigen Schwarzweiß-Bilder und grimmigen Monologe rund um einen urbanen Sündenpfuhl.

Die rabenschwarze Nacht, einsame Großstadtschluchten, von Sex und Irrsinn angetriebene Protagonisten: Frank Miller spitzt diese Stereotypen zu, übersteigert sie heftig, setzt aber gleichzeitig auf Reduktion in Bild und Sprache. Als wir im Comicladen plaudern, ist die zwiespältige Filmkarriere des Mannes noch ebenso in weiter Ferne wie die mittlerweile eskalierenden Kontroversen um seine rechtskonservativen politische Ansichten. Davon weiter unten mehr, zuvor das Interview aus 1993, von der Audiokassette transkribiert.

Frank Miller

Sony

Frank Miller

Die Welt braucht Antihelden

Hatten sie immer schon diese Faszination für das Dunkle und Mysteriöse?

Von meiner Mutter weiß ich, dass ich bereits mit sieben Jahren davon schwärmte, Cartoonzeichner zu werden. Und ich tendierte immer schon zu diesen dunklen Fantasien. Es geht eben nichts über urbane Landschaften, die zugleich furchterregend und faszinierend sind. Irgendwie reagierte ich mit meinen Arbeiten natürlich auch auf die Welt, die in den konventionellen Comics präsentiert wurde, wo alles so friedlich, nett und zensuriert ist. Ich denke, eine Heldengeschichte braucht eine Welt, die den Helden und seine Taten rechtfertigt, vor allem wenn es um jemanden wie Batman geht. Es ist schwer vorstellbar, dass sich jemand als Fledermaus verkleidet und mit Gangstern prügelt, wenn in der Welt alles in Ordnung ist.

Wie stehen sie zu modernen Superhelden-Comics und all den Entwicklungen, die sie mit ausgelöst haben?

Ich bin kein Kind mehr und heute reizen mich ganz andere Aspekte an Geschichten als früher. Aber ich würde sagen, Superhelden haben ihre Einfachheit verloren und das ursprüngliche Vergnügen an den Figuren. Heute gibt es so viele von ihnen und sie kämpfen alle ununterbrochen gegeneinander, die ursprüngliche Magie ist dahin. Ich würde auch sagen, dass mir das ganze Genre ein bisschen zu dumm ist. Eine Story wie "Sin City" wäre in diesem Superhelden-Kontext nicht möglich, weil die bekannten alten Superhelden in einem viel zu komplizierten Universum mit unzähligen Figuren leben. Außerdem, in meiner Welt von Sin City kann keiner fliegen. Sie können aber eine Menge Schläge einstecken.

Aber von den ganz seriösen Ambitionen mancher Kollegen, die aus Comics "wertvolle" Literatur machen wollen, distanzieren sie sich auch...

Wie gesagt, ich schreibe kaum mehr für Kinder und so etwas wie "Sin City" ist überhaupt nicht für sie geeignet. Trotzdem liebe ich Abenteuer und ich glaube es ist ein Fehler der heutigen Zeit, zu glauben, Abenteuer seien etwas für Kinder. Ich sehe mich nicht als politischen Schreiber oder ambitionierten Literaten. Ich möchte bloß eine gute Story erzählen.

Frank Miller

Sony

Frank Miller (rechts) mit Robert Rodriguez am Set von "Sin City"

Kontrollfreak mit Killerinstinkt

Gewalt und Angst gehören zu den Schlüsselelementen ihrer Geschichten, oder?

Manchmal möchte ich die Leser erschrecken, manchmal einen tiefschwarzen Humor einfließen lassen oder einfach nur zeigen, was ein Charakter in einer bestimmten Situation tut. Aber im Grunde, stimmt schon, spielen alle meine Stories in einer brutalen, finsteren Welt, wo der Held so schreckerregend wie seine Gegner ist.

Hatten sie Probleme mit der Zensur deswegen?

Bei "Hard Boiled" versuchten sie mich zu zensurieren. In einem Comicshop in Wisconsin wurde eine Razzia durchgeführt, weil eine Mutter gesagt hatte, das ihr Sohn durch Comic-Konsum in eine schlechte Stimmung versetzt würde. Ich erinnere mich, als ich 14 und übler Laune war, da gibt es jede Menge anderer Erklärungen (lacht). Manchmal gibt es also einige Schwierigkeiten und sie versuchen mich zu zensurieren. Aber im Großen und Ganzen ist es kein riesiges Problem.

Wie ist ihr Verhältnis zu den beiden Comic-Riesen DC und Marvel?

Ich habe mit beiden Firmen gearbeitet und kenne die Leute dort und komme mit ihnen auch aus. Aber es ist die Politik und Geschichte dieser Companies, die ich für schlecht halte. Sie wirkt sich schlecht auf die Künstler und ebenso auf die Comics aus. Dark Horse ist ein junger Verlag, der mein letztes Werk verlegte und der sich bewusst von den Big Companies abheben will. Sie gehören zu einer Reihe von jungen Verlegern, die offen für neue Ideen sind und völlige Kontrolle des Künstlers gewährleisten. Das ist es, was ich immer gesucht habe und in dieser Position befinde ich mich momentan. Es ist eine sehr exklusive Position, weil ich machen kann, was ich will. Momentan kann ich mir auch nur schwer vorstellen, wieder zurückzugehen und alte Superhelden wiederzubeleben. Ich möchte lieber mit der Zukunft von Comics als mit ihrer Vergangenheit zu tun haben.

Sin City

Legend

Sin City

Schwarz ist meine Farbe

"Sin City" haben sie alleine geschrieben und gezeichnet, sie kollaborierten aber auch mit echten Größen des Genres, wie erging es ihnen dabei?

Jede Zusammenarbeit ist anders. Und ich habe mit wirklich guten Leuten gearbeitet. Dave Gibbons zum Beispiel, das war eine besonders faszinierende Zusammenarbeit. Er ist der Traum eines jeden Autors; du schreibst irgendeine dumme Idee nieder und er zeichnet sie und plötzlich wird sie glaubwürdig. Geoff Darrow war wieder eine ganz andere Erfahrung. Aber ebenfalls sehr faszinierend. Walter Simenson, mit ihm habe ich vor kurzem gearbeitet, es war thrilling. Jede Person bringt eine eigene Sensibilität und einen eigenen Intellekt mit ein und das wirkt sich wieder rückwirkend auf meine Ideen aus.

"Sin City" ist ein ganz eigenes Ding für sich, ich kann es mir weder als Roman noch als Film vorstellen....

Was danach geschah:

Gemeinsam mit Robert Rodriguez bringt Frank Miller "Sin City" 2005 tatsächlich auf die Leinwand, unter Beifall von Kritik und Publikum. Mit der immens erfolgreichen Verfilmung seines Historien-Epos "300", bei der Zack Snyder Regie führt, wird Miller endgültig zum Hollywood-Player, sein Einfluss ist auch in der Batman-Trilogie von Christopher Nolan deutlich spürbar.

Gleichzeitig werden Stimmen laut, die Frank Millers Weltsicht in Frage stellen. Während die faschistoiden Tendenzen in "300" von manchen Fans noch als Überinterpretation abgetan wurden, lässt sich die offensive Anti-Islam-Propaganda im Comic "Holy Terror" nicht übersehen. Miller steht auch ganz offen dazu und schürt das Feuer.

Spätestens nach seinen Hasstiraden gegen die Occupy-Wallstreet-Bewegung, distanzieren sich Freunde und Weggefährten wie Alan Moore von Frank Miller. Es scheint, dass die lange Beschäftigung mit Vigilanten-Figuren den Schöpfer der selbsternannten Bestrafer zum Sympathisanten ihrer Rachezüge gemacht hat. Der Abgrund, dem Frank Miller noch im obigen Interview in aller ambivalenten Haltung gegenüberstand, hat ihn verschlungen.

"Sin City 2: A Dame to Kill For" schließt nun nahtlos an den Originalfilm an, noch dazu spritzt das Blut in 3D über die schwarzweißen Stadtlandschaften und Neuzugänge wie Eva Green begeistern anfänglich. Schon bald läuft das mittlerweile abgedroschen wirkende Neo-Noir-Konzept aber ins Leere, kollabieren die Stereotypen, ist die Luft raus. Letztlich verrät der Film seine fiebrigen Einflussquellen und wird zu dem, was der Frank Miller von 1993 wirklich verabscheut hätte: Einer reinen Stilübung ohne Substanz.

Eigentlich war "Sin City" nur auf eine Länge von 48 Seiten konzipiert, aber es wurde mehr als das dreifache daraus. Einige Sachen passierten, ich begann immer mehr zusätzliche Szenen hinzuzufügen. Ich finde am Medium Comic interessant, dass im Gegensatz zum Film die Zeit, die der Konsument damit verbringt, nicht kontrollierbar ist. Einige lesen es ganz schnell, andere verbringen viel Zeit mit dem Betrachten der Bilder. In "Sin City" experimentierte ich mit dem Leseverhalten, schuf viele großformatige Bilder ohne Text, mit der Intention, dass es sehr schnell gelesen wird. Niemand sollte den Faden der Story verlieren oder durch lange Dialoge aufgehalten werden.

Wenn schon eine Filmversion, dann muss ich an John Woo denken, an Martin Scorsese oder gar an Sam Peckinpah...

Was mir im Kino gefällt ist noch viel älter als die erwähnten Regiseure. Die alten Film-Noir-Streifen, Fritz Lang, all diese schwarzweißen Klassiker. Überhaupt, die fehlende Farbe. Weil "Sin City" mein erstes Schwarzweiß-Buch war, wusste ich: Schwarz wird die grundlegende Sprache sein. Wogegen bei einem farbigen Comic die Linie das wichtigste Mittel ist. Ich entwickelte also für "Sin City" einen Stil, der schwarz benützte, um alles notwendige zu erzählen; schwarz-weiße Formen sind also das Grundelement. Vom Arbeitsprozess her starte ich aber immer mit der Story und dann schreibe ich sie später noch einmal, weil ich bemerke, dass sie nicht mit den Bildern zusammenpasst. Immer wieder bemerke ich dann, dass das Bild genügt und die Schrift oft nur stört.

Sin City

Legend

Sin City

Erste Schritte Richtung Hollywood

Sie haben ein Drehbuch für "Robocop 2" und noch einen weiteren Teil verfasst, wollen sie zum Film wechseln?

Es sind zwei völlig verschiedene Arbeitsgebiete. Wenn man von der ganz persönlichen Befriedigung ausgeht, die einem ein Werk verschafft, dann sind Comics das viel lohnendere Feld. Andererseits geht nichts über die Begeisterung, wenn du dich auf einem Filmset befindest, und dieser ganze Apparat ist dazu da, um deine Ideen umzusetzten. Aber der Prozess in Hollywood, Filme zu drehen, kann dich zermürben, weil es soviele Streitereien und Kompromisse gibt.

Wie geht es mit "Sin City" weiter?

Es war ursprünglich als Serie geplant. Ich benützte im ersten Buch nur eine Handvoll der geplanten Charaktere. Aber ich möchte, dass "Sin City" der Ort bleibt, an den ich jederzeit zurückkehren kann, um meine Crimestories zu erzählen.

Was ist die größte Motivation beim Arbeiten?

Mit Comicbooks geht es einem wie einem Kind in einer Süßwarenhandlung: du hast endlose Möglichkeiten um etwas auszusuchen. Wenn ich eine Story beginne, habe ich die ganze Geschichte des Comicstrips im Kopf, Einflüsse aus der ganzen Kunstgeschichte und aus dem Film. Das bedeutet aber auch, dass jedes neue Projekt jede Menge Spaß bedeutet.

Sin City

Sony

Sin City 2: A Dame To Kill For