Erstellt am: 23. 9. 2014 - 16:02 Uhr
Von der Stahlstadt zur Schlafstadt
Johanna Reiner findet es eigentlich ganz schön hier. "Die Stadt hat alles was man braucht", meint sie. Spielplätze, ein paar Cafés, einzelne Geschäfte und "ein wirklich tolles Freibad", das BLUB. Ganz zufrieden scheint sie allerdings nicht zu sein, denn die Künstlerin hat gemeinsam mit Johannes Hoffmann ein temporäres Wirtshaus unter einer Autobrücke installiert. In Ternitz, so hört man von BewohnerInnen, gibt's nämlich gar keine richtigen Wirtshäuser mehr, nur noch in den umliegenden Ortschaften.
Ternitz liegt direkt an der Südbahn, zwischen Wiener Neustadt und dem Semmering, hat 15.000 EinwohnerInnen und ist eine recht junge Stadt. Ternitz ist Anfang der Zwanziger Jahre aus Arbeitersiedlungen und Dörfern rund um das Stahlwerk Schoeller-Bleckmann entstanden. Mit der Abwicklung der nach dem Zweiten Weltkrieg verstaatlichten Industrie Ende der Achtziger Jahre wurde das damalige VEW-Werk stillgelegt. Vom einst größten Arbeitgeber der Stadt mit 4.000 Beschäftigten sind nur noch Reste übrig, zerschlagen in verschiedene Unternehmen und verkauft an internationale Konzerne.
FM4/Rainer Springenschmid
"Eine Stadt kann nicht mehr schlafen", war eine Reportage aus dem Trend im Jahr 1983 betitelt, als die Diskussionen um die Werksstilllegung in vollem Gange waren und die Menschen in der Stadt dementsprechend verunsichert, und das ist auch der Titel von Johanna Reiners zweitem Projekt im Rahmen von Sounds Against Silence: In Workshops mit SchülerInnen und mit Postkarten an alle Haushalte hat die Künstlerin nach Worten gesucht, die Ternitz charakterisieren - oder die Wünsche von TernitzerInnen ausdrücken.
So wie die Stadt seit Jahren ihren Charakter sucht, so sucht sie auch so etwas wie ein Zentrum. Das eigentliche Stadtgebiet hat mit dem Werk sein einstiges Zentrum verloren, die zu Ternitz gehörigen Orte liegen zum Teil weit verstreut und dazu teilt die Südbahn die Stadt in zwei Hälften. Die Brücke in der Stadtmitte, unter der sich das temporäre Wirtshaus eingenistet hat, wirkt fast wie ein Autobahnkreuz. Mit dem Stahlwerk, erzählen Ternitzer am Wirtshaustresen, ist auch viel Gemeinschaftsgefühl verloren gegangen, statt von Arbeitersiedlungen wird Ternitz heute von Einfamilienhäusern dominiert. Die Menschen bleiben zu Hause und gehen nicht mehr ins Wirtshaus. Zum Einkaufen fahren sie nach Neunkirchen oder Wiener Neustadt, auch die Jungen bleiben zu Hause oder fahren weg.
Das temporäre Wirtshaus soll dem Ort in diesen Tagen ein Zentrum geben. "I hob scho immer gsogt, dass da was eini ghert", grinst ein Ternitzer beim Abendbier. Das improvisierte Ambiente und die Musik ziehen eher jüngere Gäste an, aber auch die Feuerwehr ist zum Stammtisch über Reisen. Ankommen. Weggehen. gekommen.
FM4/Rainer Springenschmid
FM4/Rainer Springenschmid
Sounds Against Silence läuft noch bis 28.9., "Etwas Rotes" findet am Samstag, 27.9. um 16 Uhr statt. Am Sonntag um 13 Uhr gibt es nochmal eine Stadt-Wanderung mit Heimo Lattner.
Abschluss und Höhepunkt von Sounds Against Silence wird die Installation "Etwas Rotes" des holländischen Künstlerduos Bik van der Pol. Mit Hilfe der insgesamt elf (!) Freiwilligen Feuerwehren aus den verschiedenen Ternitzer Ortsteilen lassen sie die rote Rauchwolke, die beim Stahlabstich entsteht, und die vor dreißig Jahren noch ein Wahrzeichen von Ternitz war, ein letztes Mal über die Stadt ziehen.