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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

23. 9. 2014 - 15:57

The daily Blumenau. Tuesday Edition, 23-09-14.

Das Funktionieren von Familie am Beispiel von Ray Donovan.

The daily blumenau hat Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst.
Und bietet Items aus diesen Themenfeldern.

Ray Donovan läuft am Freitag, immer so gegen Mitternacht im ZDF.

Mehr über Serien.

#serien

Ich war durchaus verwöhnt vom Freitag-Mitternachts-Serien-Termin des ZDF, den meine Festplatte über die letzten Monate zielgerichtet angesteuert hat. Man bot dort House of Lies die widerlich-amüsante Showtime-Serie über die Ekelbranche der heuschreckenhaften Berater (McKinseystyle) mit Don Cheadle und Kirsten Bell, und das hatte die Latte hoch gesetzt.

Seit zwei Wochen hat nun dort eine andere Showtime-Serie Platz genommen, die sonst unter meinem (zugegebenermaßen nicht sehr gezielt getunten) Radar geblieben wäre: Ray Donovan, ein Familiendrama mit Hinterhof-Hollywood-Andockpunkten.

Ray Donovan ist das Baby von Ann Biderman, und die habe ich seit SouthLAnd, ihrer skizzenhaften Straßen-Ballade über den kleinkriminellen Alltag in L.A., auf dem Serien-Schirm. Auch und vor allem wegen der Tonalität ihrer Schöpfung und ihrer trotz pseudodokumentarischer Kamera genauen Beobachtung sozialer Strukturen.

Bei Ray Donovan kommt nun das unterschwellige Leitmotiv von SouthLAnd an die Oberfläche: Was ist Familie?, fragt Biderman und liefert mit den Donovans auf bestmögliche Art keine Antwort.

In diesem Zusammenhang sei auf eine Konferenz der Uni Wien mit dem Amerika-Haus hingewiesen: Transgressive Television: Politics, Crime, and Citizenship in 21st-Century American TV Series behandelt von 1.-3. Oktober in Diskussionen, Vorträgen und Screenings die Hintergründe von Serien wie Scandal, House of Cards, Veep, Breaking Bad, The Wire, Carnevale, Sons of Anarchy, Hannibal oder Dexter. Empfohlen: das Screening des Piloten von Cashing In, einer neuen Serie über ein von Natives geführtes Casino.

Ray Donovan ist ein Fixer, ein Problemlöser im Schoß einer mächtigen Anwalts-Kanzlei. Ray Donovan ist der massige, in seiner leicht zu durchbrechenden Stoik so verwundbare Liev Schreiber, ein Schauspieler, der wie wenige seine düsteren Seiten offen spazierentragen kann (im Manchurian Candidate etwa und auch als kurzzeitiger Grissom-Nachfolger in CSI).

Mann sitzt auf einem Bett

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Ray Donovan ist so, wie er ist, weil er der Sohn des furchteinflößenden Berufs-Gangsters Mickey ist. Den spielt Angelina Jolies Vater Jon Voight (goldenglobeprämiert) in einer furiosen Mischung aus Selbstekel und Herablassung. Mickey wird nach 20 Jahren Gefängnis (eine Strafe, für die Ray gesorgt hat) in Boston (altes irisches Umfeld) entlassen und macht sich wieder in der, mittlerweile komplett nach L.A. gezogenen, Familie breit.

Ray, der die Probleme in seinem professionellen Umfeld mit der wuchtigen Grandezza eines guten Dramaturgen löst, hat für diese private Krisen-Situation überhaupt kein Fixing-Rezept. Auch weil ihm seine, von seiner emotionalen Abwesenheit genervte, Frau (Paula Malcomson aus Sons of Anarchy) in der Rücken fällt, seine Kids den neuen Opa neugierig-interessiert in ihr Leben lassen und seine Brüder, das kaputte Missbrauchsopfer Bunchy und der von beginnendem Parkinson gezeichnete Boxtrainer Terry (die grandiose Edel-Charge Eddie Marsan) keine große Hilfe sind. Vom neuen Halbbruder Daryll, den Terry trainiert, einem Spross von Dads Seitensprung mit einer schwarzen Freundin, gar nicht erst zu reden.

Dazu kommt die permanente Verunsicherung durch die Doppelspitze der Anwaltsfirma: Partner Drexler (Peter Jacobson, der Taub aus House) bleibt nur die humorlose Version von Danny de Vito und Mentor Goldmann (der umwerfende Elliott Gould in einer daddeligen Altersrolle) verliert nach dem Tod seiner Frau zunehmend den Bezug zur Wirklichkeit.

Die einzige Stabilität erfährt Ray in seiner professionellen Familie, seinem Mann fürs Grobe, dem Ex-Mossad-Agenten Avi (Steven Bauer, Melanie Griffith' Ex) und seiner Rechercheurin Lena (Katherine Moennig, die grandiose Shane aus L Word). Die drei haben so etwas wie eine gemeinsame Philosophie für die Lösungsansätze der zu beseitigenden Probleme, nämlich das in ihrer Macht stehende zu tun, um Härten zu vermeiden - obwohl ihr Wirken in einer Welt von Gewalt, Erpressung und Bedrohung stattfindet.

Für Ray Donovan, den Sohn, ist das die weitest mögliche Abgrenzung zu seinem Gangster-Vater, dessen Verhalten die gesamte Familie früh traumatisiert und für immer beschädigt hat. Durch diese Taten spricht Ray, der sonst keine Worte findet. Aber da seine (Kern-)Familie davon nichts erfährt, bleibt er ihr gegenüber stumm. Und öffnet so eine breite Flanke, in die sein Horror-Vater hineinstoßen kann.

Ray Donovan mit seinem Vater Auge in Auge

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Biderman hat Ray Donovan, wie schon SouthLAnd in sepia angelegt - nicht durchgehend, aber als immer wiederkehrende Grundbefindlichkeit, als Spiegel für die Verfasstheit der Figuren. Und sie hat ihre Serien-Familie deutlich jenseits der Sopranos (mit denen die Donovans unsinnigerweise verglichen werden) platziert, in einer weitgehenden Normalität, ganz ohne Königsdrama-Sorgen. Es geht nicht um die kino/serienklassische dysfunktionale Familie, sondern um die mit den stinknormalen allgegenwärtigen verschütteten Abgründen.

Apropos dysfunktionale Familie: Empfehlung für die neue Chuck-Lorre-Sitcom Mom, eine überaus sarkastische Serie über eine Alleinerzieherin.

In weiterer Folge werden sich FBI-Agenten auf Rays Fersen heften, Gaststars wie James Woods, Rosanna Arquette und später Ann-Margret oder Wendell Pierce von The Wire stehen an. In Staffel 2 soll sich die Dramaturgie verlieren, auch weil der große Konflikt zwischen Ray und Mickey nicht mehr im Zentrum steht. Rund um diese Zeit ist dann Ann Biderman auch als Showrunner ausgestiegen.

Mir ist das noch alles ganz egal. Die bisher zu sehenden zwei Folgen waren grandios in ihrer prallen Tristesse und haben wunderbar nicht moralisierende Watschen an die Hollywood-Oberflächen-Realität verteilt, deren Zeichnung sich durchaus an Maps To The Stars messen lassen kann. Ray Donovan stellt die richtigen Fragen und zeigt die relevanten Ausschnitte menschlicher Fehl-Kommunikation.