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Daniela Derntl

Diggin' Diversity

23. 9. 2014 - 12:12

Warten als System?

Lange Wartezeiten, Kaffeepausen und kafkaeske Zustände: Das Buch "WienErWarten" kritisiert die Wiener Einwanderungsbehörde MA35 und berichtet, wie MigrantInnen schikaniert werden.

Die Wienwoche fokussiert unter dem Motto "Migrazija-Yeah-Yeah" - Migration als treibende Kraft der gesellschaftlichen Weiterentwicklung.

Das Festival läuft noch bis 28. September. Hier findet ihr das komplette Programm.

Es ist paradox: Migration hat in Österreich kein Leiberl, gehört aber zum Land wie das aus Italien kommende Wiener Schnitzel, das ungarische Gulasch, die böhmischen Mehlspeisen, der türkische Kebap und so weiter und so lecker.

Kleingeister fürchten das "Schreckgespenst Ausländer", Populisten kassieren mit dem Thema billige Wahlprozente und strenge Gesetze regulieren die Möglichkeiten der MigrantInnen in Österreich dauerhaft
bleiben zu können.

Wienwoche

Das urbane Festival Wienwoche versucht nun, das negative Image der Zuwanderung zu korrigieren und setzt sich mit den verschiedenen Facetten der Migration auseinander. Eines der 14 Wienwoche-Projekte ist das Buch "WienErWarten", in dem die HerausgeberInnen Nima Maleki und Sophie Uitz Kurzgeschichten und Interviews über Migration im Wartezimmer der Behörden versammeln - denn das Warten zieht sich wie ein roter Faden durch die Biografien der Zuwanderer.

WIENWOCHE

Aret G. Aleksanyan und Olja Alvir lesen Kurzgeschichten von und Interviews mit MigrantInnen. Die Leiterin der Wien-Bibliothek Sylvia Mattl-Wurm begrüßt das Publikum, FM4-Kollege Todor Ovtcharov moderiert.

WIENWOCHE

Olja Alvir

"Ausländer warten anders, davon war Žana überzeugt. Warten auf ein Urteil, Ergebnis oder Ereignis hatte nichts gemeinsam mit dem Warten als Flüchtling, mit dem Warten um seiner selbst Willen. Inländer warten zielgerichtet, Ausländer warten einfach nur, warten, bis Zeit und Körper einander aushöhlen. Warten lassen ist nicht umsonst eine Foltermethode." So beschreibt die Journalistin und Autorin Olja Alvir in ihrer Kurzgeschichte "Das Leben ist ein Zahnarztbesuch" ihre Erfahrungen mit dem Warten. Sie ist als Kind mit ihren Eltern während des Jugoslawienkriegs nach Österreich geflohen und liest bei der Buchpräsentation von "WienErWarten" im Wiener Rathaus zusammen mit Aret G. Aleksanyan ihre eigenen und andere Texte vor.

Heftige Diskussionen

Das Buch sorgt nach der Präsentation für viel Gesprächsstoff. Betroffene und Anwälte melden sich zu Wort und vermitteln nicht nur das wohlbekannte Bild der äußerst langsam mahlenden österreichischen Amtsmühlen (MA2412 lässt grüßen), sie lassen auch den Verdacht aufkommen, dass es sich dabei um mutwillige Schikane und Verzögerungstaktik handeln könnte.

WIENWOCHE

Nach der Lesung wurde angeregt diskutiert.

Auch der Fremdenrechts-Anwalt Peter Marhold ist der Ansicht, dass die langen Wartezeiten System haben:

"Wenn eine Behörde rasch zu einem Ergebnis kommt, wäre ich bei einer negativen Entscheidung rasch in der Berufungsinstanz. Wenn das jetzt länger dauert, zermürbe ich die Menschen. Das ist politisch intendiert."

Peter Marhold hat auch selbst eine kafkaeske Kurzgeschichte über das Warten verfasst. Als Obmann der Fremdenrechtsberatungs-NGO Helping Hands kennt er die Wiener Einwanderungsbehörde MA35 aus eigener Erfahrung:

"Viele Leute bemühen sich, rasch versetzt zu werden. Übrig bleiben die Gesinnungstäter, die das für wichtig halten was sie tun und die sich gelegentlich auch als Ausländer-Abwehr-Dienst sehen. Die prägen auch intern die Stimmung. (…) Da hat der neue Chef der MA35 eine Herkules-Aufgabe vor sich."

WIENWOCHE

Werner Sedlak (am Mikrophon) ist der neue Leiter der MA35 und stellt sich der Kritik. Die kommt unter anderem von dem rechts neben ihm sitzenden Peter Marhold, Obmann von Helping Hands.

Werner Sedlak, der neue Chef der MA35 stellt sich nach der Lesung der Kritik, dass die langen Wartezeiten System haben könnten:

"Dagegen möchte ich mich schon verwehren. Ich habe sehr viele MitarbeiterInnen, die sehr engagiert sind und sehr gute Arbeit abliefern. Dass es Einzelfälle gibt, wo Fehler passieren, ist keine Frage. Das kann ich nicht und mag ich nicht bestreiten. Wir versuchen das durch diverse Schulungsmaßnahmen zu minimieren. Der größte Teil meiner MitarbeiterInnen ist sehr engagiert und arbeitet in einem Umfeld, das sehr schwierig ist. Auch das muss man sagen."

Werner Sedlak ist bemüht, die Organisation der MA35 zu modernisieren - sei es die Homepage, die Beschilderung im Amt oder das Warteraum-Management. Es gibt jetzt auch ein neues Einwanderungs-Zentrum im 12. Bezirk, das kürzere Wartezeiten und verbessertes Service bieten soll.

Laut Sedlak werden die 120.000 Verfahren im Einwanderungsbereich von etwa 140 MitarbeiterInnen bearbeitet. Das klingt nach einer Schieflage, aber Werner Sedlak sieht das anders:

"Mit Optimierungsmaßnahmen ist das durchaus machbar und wir arbeiten dran. Die Zahlen kann man nicht so gegenüberstellen. Aber da sind wir unterschiedlicher Meinung."

Vielleicht sammelt die nächste Generation von Migranten und Migrantinnen dann nicht mehr solche Eindrücke, wie sie in dem Buch "WienErWarten" beschrieben werden.