Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Miley, Sex und ein Ozean aus Öl"

Boris Jordan

Maßgebliche Musiken, merkwürdige Bücher und mühevolle Spiele - nutzloses Wissen für ermattete Bildungsbürger.

22. 9. 2014 - 16:17

Miley, Sex und ein Ozean aus Öl

Alt-J, das Wunder aus Leeds ist unser Artist of the Week: Intellektuell, eklektizistisch, dunkel, luftig, romantisch, verquer.

Das sind die Geschichten, die das Leben schreiben hätte sollen, aber es sonst nicht tut. Vier gelangweilte Studenten hängen in einem Proberaum ab, spielen an den Reglern rum, liefern eine kleine Platte ab mit Songtiteln wie "Mosaikieren", "Schalstein" oder "Blutflut", die auch von KritikerInnen gemocht, sonst aber ordnungsgemäß ignoriert wird. Am Ende des Jahres stehen Platin in Großbritannien, ein Mercury Prize, ein Letterman Auftritt und diverse lebensnotwendige Kurzeinsätze ihrer Musik in nachdenklichen Schlusssequenzen oder Eröffnungen diverser HBO-Serien, Oscarfilmen sowie I-Phone Konkurrenzwerbespots.

Die drei Männer von Alt J

Warner Music

Woher der Hype? Der Bandname war es wohl nicht. Die Tastenkombination, mit der man auf Apple Rechnern ein Dreieckssymbol in Mathe-Formeln reinmalen kann, ist nicht gerade "Razorlight" oder "The Killers". Das Aussehen der Jungs ist auch recht durchschnittlich. Fuselbärtchen und Papahemden sind nicht gerade Grizzly Bear. Die Musik, obwohl/weil schön, wurde von exzessliebenden Amerikanern als "draining, elongated MOR tunes" (Pitchfork) geschmäht, nicht gerade Animal Collective.

Alt-J spielen am 16.2. 2015 im Gasometer in Wien

Nennt es Wunschdenken aber die Gründe für den Erfolg von Alt- J sind womöglich solche, die sonst nicht gerade als die Mütter von Karrieren gelten: Bildung, Experimentierfreudigkeit, Subtilität, Hintersinn, Kunstsinnigkeit, Selbstironie, poetischer Ernst - und ein hinter ihren Soundspielereien ständig waberndes Gefühl eines dunklen Geheimnisses. Kein Wohlklang, kein sexy Gehauche, das nicht von einem Geräusch konterkariert wird, keine poetische Zeile ohne intellektuelle Referenz, kein Flüstern ohne halbunterdrückten Schrei.

Welche andere Band lässt in einem Video das Bild "Die Schule von Athen" von Raffael nachstellen und einen Haufen Gangsta-Rap-Karikaturen die Stelle von griechischen Philosophen einnehmen? Welche andere Band verwendet ein Sample von Miley Cyrus, in dem Sie "I'm a female Rebel" singt? Welcher andere Hetensänger versetzt sich selbst in die Rolle eines Ich-Erzählers, der einen Mann heiratet, und betitelt seine so gewonnene Freiheit mit dem Namen einer japanischen Stadt, in der mitten in der Stadt 1000 Hirsche frei herumlaufen? Wer bezeichnet seine Platte sonst als "Ozean aus schwarzem Öl, in dem man sich geborgen fühlt"? Und, mal im Ernst, wer singt wirklich über Sex?

Außer The xx gibt es auch derzeit keine britische Band, deren Soundseite soviel Würde und Kompetenz ausstrahlt. Diese Jungs haben gelernt. Von Steve Reich wie von Plaid, von Young Marble Giants wie von Robyn Hitchcock, von Wordsound- Dub und Portishead wie von der Hoch-Zeit der World Music im Gefolge von Peter Gabriel.

Farbiges Flächiges Gemälde als Plattencover

Warner Music

Das aktuelle Album von Alt J: "This Is All Yours"

Und dazu kommt eine britische College-Interessiertheit an allem, was sie umgibt, von Conor Oberst bis zu Wiley und Burial, eine britische College-Unbekümmertheit, sich - auch mit Hilfe von kitschig anmutenden Filmsoundtrack-Tricks - breit auf alle diese Stühle zu setzen, und die britische College-Virtuosität, trotzdem weder zwischen all diese Stühlen sitzen zu bleiben, noch wie ein bemühter Copycat zu klingen.

Stattdessen kreiert die Band ein Universum aus bekanntem und erstaunlichem Referenzpop, der darauf neugierig macht, wo sie das her haben, wie sie das gemacht haben und wie das bloß alles zusammen geht..., und der das rechte Bein dazu wippen lässt.