Erstellt am: 22. 9. 2014 - 15:18 Uhr

Ein Leben in der Schublade

Die Gefahren von Fanatismus und anti-muslimischem Rassismus.

Distanziert euch! Diesen Satz bekommen in der einen oder anderen Form wieder mal alle Muslime weltweit zu hören. Im Westen haben sich die Muslime daran gewöhnt sich ständig zu positionieren. Spätestens seit den Anschlägen vom 11. September wird jeder Terrorakt oder gewaltreicher Konflikt zu einer Prüfung für muslimische Communities im Westen. Sie müssen immer wieder beweisen, dass sie nichts mit Leuten zu tun haben, die irgendwo in einer Wüste Menschen köpfen und das aufnehmen.

Fremde junge Kämpfer

Während die absolute Mehrheit der Muslime in Europa nichts mit dem brutalen Feldzug des "Islamischen Staates" zu tun hat, konzentrieren sich die Medien und Politik immer mehr auf Jihadisten aus dem Westen, die als "foreign fighter" für die IS im Nahen Osten kämpfen. Medial besonders wirksam sind dabei junge Menschen, die in den Krieg ziehen. Für viele ist das unverständlich. Wieso ziehen junge Menschen freiwillig in den Krieg?

FM4/Irmi Wutscher

Tyma Kraitt

"Die Ursachen für eine Radikalisierung sind vielfältig, aber häufig bekommen wir mit, dass Jugendliche mit Rassismus und Ausgrenzung konfrontiert sind. Der ständige Druck auf ihre Communities löst in den Köpfen dieser jungen Menschen was aus", sagt Tyma Kraitt, Aktivistin und Journalistin.

Gegenseitige Verstärkung

Je gewalttätiger und blutiger die Taten von Terrorgruppen wie IS werden, desto stärker sind auch die Muslime im Westen mit Rassismus konfrontiert. Dann häufen sich wieder die Anschläge auf Moscheen und vor allem auf Musliminnen, denn "sie sind mit ihrer Bekleidung als Musliminnen sichtbar und werden zur Zielscheibe, auch wenn sie nichts mit den Taten oder der Ideologie der IS zu tun haben", sagt die Journalistin Ayper Cetin. Sie betont, dass solche Angriffe mehr Aufmerksamkeit benötigen, und warnt davor, alle Menschen mit muslimischem Background in die gleiche Schublade zu stecken.

Für extremistische Ideologien ist eine Atmosphäre, in der sich Muslime vor Angriffen und Diskriminierung fürchten müssen und ständig unter Verdacht stehen, die beste Gelegenheit, um ihre Botschaften wirksam zu verbreiten.

Weniger Religion und Politik

Diese Extremisten will nicht nur die Politik, sondern auch der muslimische Mainstream bekämpfen. Myassa Kraitt arbeitet mit jungen Flüchtlingen, die ohne Begleitung von Erwachsenen nach Österreich gekommen sind. Den Begriff "De-Radikalisierung" findet sie aber problematisch. "Wie definieren wir Radikalismus und ab wann tritt eine De-Radikaliserung ein? Ich glaube, dass solche Begriffe bei der Vertraungsschaffung mit Jugendlichen nicht hilfreich sind", sagt Myassa.

Betroffene Jugendliche und ihre Familien brauchen Anlaufstellen, wo sie über ihre Probleme und Ausstiegsmöglichkeiten aus radikalen Gruppen reden können. "Man sollte sich auf die Alltagswelt der Jugendlichen konzentrieren, ohne theologisierten und ideologisierten Diskurs", meint Myassa.

Am Dienstag in "FM4 Auf Laut"

Die Erfahrungen und Beobachtungen von Tyma, Myassa und Ayper zeigen, dass Radikalisierung vielfältige Ursachen haben kann und nicht einfach nur mit Religion erklärbar sind. Um die Frage, warum junge Menschen in den Krieg ziehen, dreht sich auch die erste Folge der neuen Sendung FM4 Auf Laut am Dienstag um 21 Uhr.

Pamela Rußmann

Das FM4 Auf Laut-Team: Ali Cem Deniz, Elisabeth Scharang, Rainer Springenschmid, Claus Pirschner

FM4 Auf Laut stellt jeden Dienstag von 21 bis 22 Uhr ein Thema oder eine Person in den Fokus. In FM4 Auf Laut sind unsere Gäste ExpertInnen in eigener Sache. Eine Stunde Live-Radio zu aktuellen Themen und mit eigenen Thesen. Ein Forum für die Meinungen und Erfahrungen der FM4-Hörer und -Hörerinnen und ein Platz für Utopie, Ideen und Bewegungen (fast) jeder Art.