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Johanna Jaufer

Revival of the fittest... aber das war noch nicht alles.

6. 10. 2014 - 16:47

Geld, Macht, Sinn

Denise trifft Anton und es tut weh. Gekünstelte Wahrhaftigkeit und echte Verwirrung in und über Thomas Melles Roman "3000 Euro".

"Denise", das geht so: mit Freundinnen Castingshows besprechen, halbherzige Online-Flirts, nachdenken über eine neue Frisur. Der Job nervt, aber seit kurzem kommt ein süßer Typ in den Laden und sie fragt sich, "wieso nicht so jemand!?"

Es ist "Anton": Er hat sein Jus-Studium ausführlich verschleppt. Die Ex-Studienkollegen schreiten längst in genagelten Schuhen durch den Alltag, während er hier steht und sich überlegt, wie er bei Denise landen könnte - und ob er das überhaupt möchte.

Tatsächlich sind die Probleme der beiden keineswegs harmlos. Denise braucht Tabletten, um die Tage hinter der Supermarkt-Kassa zu überstehen, außerdem wartet sie schon ewig auf das Honorar (3.000 Euro, genau) für einen Pornodreh. Sie schleppt ihre kleine Tochter von Arzt zu Arzt und ärgert sich über die eigene Mutter, die fragt, "ob die Kleine jetzt zurückgeblieben ist oder nicht".

Genau 3.000 Euro fehlen auch Anton. In einem "Übergangsheim" hat er vor ein paar Wochen Stellung bezogen und sich gerade erst eingestanden, wirklich obdachlos zu sein - denn "das war doch mal ganz anders gedacht". Freunde von früher helfen ihm mit den Dokumenten für den anstehenden Gerichtstermin, sie stecken ihn in einen Anzug und begegnen ihm unbeholfen bis überspannt. Beklemmend, den einst charmanten Kumpel so planlos zu erleben - und unheimlich für Anton, jetzt fix zur Welt von Rihanna-Bushido-Sido-Denise zu gehören. "Sie ist auf prollige Weise sehr hübsch", stellt Anton - zum Glück nur in Gedanken - fest.

"3000 Euro" ist bei Rowohlt erschienen und auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis, der heute in Frankfurt vergeben wird.

Eher die Holzhammermethode, wie der Autor zahllose Klischees zur pädagogischen Zeitdiagnose formt. Überheblich, undifferenziert, im besten Fall belanglos. An dieser Stelle könnte man das Buch zuklappen und sich über ein paar Stunden verschwendete Energie ärgern (und sich vielleicht noch etwas wundern, weil Thomas Melle das mit den konträren Biographien schon mal sehr packend illustriert hat). Wer einen Artikel im Spiegel überfliegt, erfährt zudem, dass Thomas Melles Nominierung zum Deutschen Buchpreis vielleicht damit zu tun hat, "dass die Unterschicht [!] für den Literaturbetrieb mindestens genauso weit weg ist wie Manhattan von Neukölln".

Rowohlt Verlag

Rowohlt Verlag

Der Abstieg kommt auf leisen Sohlen

"Unterschichtskitsch", "Prekariats-Portrait", "Prekariatsrealität", zu solchen und ähnlichen Platitüden versteigt sich mehr als eine Rezension zu "3000 Euro" (da, da, da).

Logisch: wer ein paar Jahre ohne fixen Job war, hat weniger Boden unter den Füßen und gerät leichter in Bedrängnis. Anton erinnert dabei an die melodramatische Version eines Uni-Flaneurs aus den Siebziger Jahren, der ins Jetzt gebeamt vor Denise steht wie vor einer exotischen Frucht, die er gerne kosten würde, aber nicht genau weiß, wie (oder an einen zeitlos gescheiterten Literaturstudenten mit Alkoholproblem - man weiß es nicht).

Bloß ist ein wenig wirres Dahinstolpern mit Anfang zwanzig, wie bei Anton, schlicht etwas anderes, als die Tretmühle, in der sich all jene wiederfinden, die gemeinhin unter "Prekariat" zusammengefasst werden.

Die sich nicht einfach ein bisschen Zeit lassen (als ob das 2014 noch so einfach möglich wäre) und ein paar Mal Pech haben - sondern die schon reingewachsen sind in jenen Psycho-Maschinismus, der große Teile von "leben" absorbiert. Die ihre Ausbildung höchst diszipliniert und in Windeseile hinter sich bringen, Praktikumszeugnisse sammeln und oft trotzdem nicht mit einem lebenswerten Berufssalltag belohnt werden.

Shooting the messenger

Diese Unschärfen und seine schulmeisternden Regieanweisungen kann man dem Buch ankreiden, es banal oder bescheuert finden. Wozu mir nur noch weniger freundliche Worte einfallen, ist, wie sich in vielen Reaktionen auf den Roman zum Stichwort "Prekariat" das wiederholt, was wir schon mit der "Unterschicht" und "Hartz IV" so kaltblütig durchgespielt haben: Gruppen so lange (und zunehmend wahllos) mit Etiketten bekleben, bis die Menschen dahinter verschwunden sind und man nur noch Probleme sieht. In der Folge fällt es schwer, sich die Menschen hinter den Problemen vorzustellen oder diese Menschen gar getrennt von ihren Problemen zu betrachten. Und irgendwie kann das ja auch nicht alles einfach nur Pech gewesen sein, oder? Eben - nur konsequent weitergedacht also, unter "Prekariat" ab sofort einfach alle möglichen "Verlierer" zusammenzufassen, vom zeitlos "faulen" Pechvogel Anton bis zum "fleißigen" erschöpften Blitzstudenten von heute, die eigentlich nur eines gemeinsam haben: Sie sind Botschafter der Realität und allein ihre Anwesenheit erinnert daran, dass die Karotte, die wir uns vor die Nase halten (lassen), längst schimmelt.

"Geld macht Sinn."
(Denise)

Insofern doch nicht uninteressant, die "3000 Euro" über sich ergehen zu lassen. Weil so zusammengeschrumpft auf ein paar hundert Seiten die ganz banale Schuldumkehr hinter Floskeln wie "Unterschicht" und "Prekariat" greifbare Konturen bekommt. Über das Zusammenleben von Menschen erfährt man damit allerdings genauso wenig, wie beim Lesen blutrünstiger Schlagzeilen und herabwürdigender Forenpostings zum Thema Gaza/Israel/Syrien/Irak.