Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Geheimnisvolles Knistern aus dem Zauberreich"

Katharina Seidler

Raschelnde Buchseiten und ratternde Beats, von Glitzerkugeln und Laserlichtern: Geschichten aus der Discommunity.

21. 9. 2014 - 10:13

Geheimnisvolles Knistern aus dem Zauberreich

Der österreichische Autor Xaver Bayer legt sein sechstes Werk vor.

Als sich Nina neben mich setzt, fragt sie mich, wie spät es ist, und ich schaue auf die Armbanduhr und sage: „Zeit genug.“

Xaver Bayer nimmt sich Zeit. Der österreichische Autor zeigt sich seit seinem Debütroman Heute könnte ein glücklicher Tag sein aus dem Jahr 2001, aus dem auch das obige Zitat stammt, als genauer Beobachter, als sensibler Denker und präziser Erzähler einer Welt, die seinen Figuren allzu oft zur teilnahmslosen Gewohnheit oder, schlimmer noch, entfremdeten Wirklichkeit geworden ist. Diese Verunsicherung, der Ennui, die Verweigerungshaltung und Gefühle der Nicht-Zugehörigkeit ziehen sich seitdem durch sein Schreiben, in dem er sich nach zwei weiteren Romanen in Die durchsichtigen Hände dem Format kürzerer Erzählungen widmete, um zuletzt mit Wenn die Kinder Steine ins Wasser werfen einen monumentalen Denkprozess in Form eines einzigen, über hundert Seiten langen Satzes zu veröffentlichen.

Buchcover: Wohnung mit vielen Pflanzen

Jung und Jung Verlag

Xaver Bayer: Geheimnisvolles Knistern aus dem Zauberreich. Jung und Jung 2014.

In Geheimnisvolles Knistern aus dem Zauberreich nun verknappt Bayer seine poetischen Reflexionen in sicherlich über hundert Miniaturen, kleine Geschichten zwischen einer halben und zwei Seiten Länge, und es zeigt sich, dass diese Form seine sorgsam gesetzten Worte und wundersamen Ideen zur Höchstform auflaufen lässt. Immer wieder blitzt das Zauberreich herein in die normale Welt: die Geschichten sind Kippbilder, die zwischen Realität und Fantasie, Lethargie und Trost, Sinnsuche und dem Aufdecken von Sinnschichten Verbindungen herstellen. Eigentlich ist Sommer, doch plötzlich beginnt es zu schneien, der Wartesaal der Gebietskrankenkasse verwandelt sich auf einmal in einen Cocktailempfang, die fremde Frau auf der Straße stellt sich nach dem Putzen der Brille als Feind heraus. Platz für Verzweiflung und Verkapselung ist immer noch genug, und doch sind die Geschichten aus der Zauberwelt Bayers bisher positivstes Werk. Von der Ernsthaftigkeit seines Schreibens, die vor allem ein Ernstnehmen von Gefühlen, Begegnungen und dem Erzählen davon ist, haben sie jedenfalls nichts verloren.

Bedeutung und Poesie stecken etwa im Finden eines verlorenen Plastikkamms im Spalt einer Wirtshausbank:

„Ich bin zuerst etwas enttäuscht, denn ich hätte lieber etwas Geheimnis- oder Wertvolles gefunden, doch dann rührt er mich, der schwarze Kamm, wie er daliegt und einem treuen Hund gleicht, der angebunden vor einem Supermarkt auf seinen Besitzer wartet, ohne zu wissen, dass der das Geschäft durch einen anderen Ausgang verlassen hat. Er scheint alle Zeit der Welt zu haben, der Kamm, nein, mehr noch: Mir kommt vor, dass dieser Kamm der Inbegriff von Alle-Zeit-der-Welt ist.“

Xaver Bayer

Ingo Pertramer

Ähnlich, wie Bayer bereits in Heute könnte ein glücklicher Tag sein dem jeweiligen Tagesanbruch die Möglichkeit zusprach, eine gute Zeit oder gar eine echte Veränderung einzuleiten – gleichgültig ist in diesem Zusammenhang, wie dann der Ausgang dieser Möglichkeit war, nämlich meist negativ – liegt auch in diesem aktuellen Werk in jedem Gegenstand, Augenblick und Gedanken eine Chance. Ein gefundener Schlüssel könnte der sein, der die Wohnung mit dem schön flatternden Vorhang aufsperrt, ein kleiner Bub, der seinen Heliumballon absichtlich in die Luft steigen lässt, vor den Eltern aber deswegen traurig tut, wird zum Verbündeten. Weitere Motive Bayers früherer Arbeiten kehren in Geheimnisvolles Knistern aus dem Zauberreich ebenfalls zurück, die Figur des Flaneurs, die Wirtshäuser und Cafés als Orte von Begegnungen und Gedanken, die scharfe Trennung zwischen Innen- und Außenwelt, die in Augenblicken existenzialistische Einsamkeit.

Nicht zuletzt ist Xaver Bayers Sprache, neben ihrer Vielfalt an liebevoll und präzise gewählten Worten und Bildern, von einem Rhythmus durchzogen, der einzelne Sätze wie Gedichtzeilen schwingen lässt: „Meine Gedanken haben heute einen unverbindlichen Plauderton.“

Mehr Leseempfehlungen auf fm4.orf.at/buch.

„Ein Kleidungsstück, das nicht mehr aus der Reinigung abgeholt wird. Ein Auto, das – keiner weiß wo – irgendwo parkt und verschmutzt, bis es abgeschleppt wird, wenn die Zulassung abläuft. Unbeantwortete Briefe. Ein seit Jahren geschlossenes Luxushotel mit den großen Buchstaben über dem Eingang, die nachtsüber leuchteten, die Tauben, die in den Schatten der Mülltonnen verschwinden, die Cirruswolken, die auf dem Kopf zu stehen scheinen, all das liegt neben uns verstreut.“

Dass Bayers Erzähler diese Verstreutheiten für uns aufliest, sie genau betrachtet, um ihnen dann Schönheit und Sinn zu verleihen, ist ein großes Glück.