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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

20. 9. 2014 - 12:30

Berlin ist Kunsthauptstadt

Wenn aus allen Himmelsrichtungen Hunderte von Kunstenthusiasten in Ausstellungshallen drängen und Menschentrauben Eingänge und Ausstellungen verstellen, dann ist Berlin Art Week.

Gerade einmal vor zwei Wochen wurde die diesjährige Berlin Music Week abgehalten- wohl so erfolgreich, dass man sich nun für ihre Abschaffung entschieden hat. Aber ganz ohne Musikwoche, Berlin-Musikmesse oder ähnlichen Spektakeln will man doch nicht sein, so wurde am Mittwoch verkündet, dass im September 2015 die neue Musikmesse „pop=kultur“ stattfinden werde. Wie man das neue Ding ausspricht weiss noch keiner, vielleicht „Popgleichkultur?“

Alles soll neu sein: Neue Leitung, neue Kuratoren, neues Konzept, neue Orte. Dass keiner eine solche Berlin-Musik-Messe braucht, denn Konzerte und Festivals, Lectures und Talks zu Popkultur gibt es hier ja genug, ist ein offenes Geheimnis.

Menschenauflauf vor einer Gallerie

Oana Popa

Kulturprojekte Berlin, Foto: Oana Popa

Ganz anders verhält es sich mit der Berlin-Art-Week, die diesen Mittwoch eröffnet wurde, da sind sich alle einig: Berlin ist Kunsthauptstadt. Die weniger kunstaffinen Berlinerinnen wissen manchmal gar nicht was das alles ist und soll: Das Gallery Weekend, die Berlin Biennale, der Kunstherbst, das Artforum, die Berlin Art Fair und so weiter - irgendwas mit Kunst ist eben immer in Berlin. Die Häufung all der Aktivitäten einmal jährlich, mit den Kunstmessen zum Auftakt der Herbstsaison braucht es wohl auch um die internationalen Kunstsammler anzulocken, von denen gibt es, gemessen an der Zahl der Kunstproduzierenden und Galerien, nämlich zu wenig hier.

Vom 16.-21. September ist also die Berlin Art Week, und jedem der zwanzig Art-Week-Partner – von der Nationalgalerie über das Haus der Kulturen bis zur nominierten Produktionsgalerie – war es freigestellt, sich etwas für die fünf Tage im September zu überlegen.

Im Zentrum der Kunstwoche stehen zwei Messen: Auf der „abc“ (art berlin contemporary) in den alten Postsortierhallen nahe des Potsdamer Platzes sollen „Einzelpositionen zeitgenössischer Kunst aus einem internationalen Galerienspektrum“ gezeigt werden. Die „Positions Berlin“ hingegen residiert in einem alten, interessant zerbröckelten Kaufhaus in Mitte und will „schlaglichtartig auf die Kunstszene Berlins schauen“. Erstmals präsentiert sich das „Kindl - Zentrum für zeitgenössische Kunst“ in einer ehemaligen Brauerei im Stadtteil Neukölln.

Menschenauflauf vor der Akademie der Künste in Berlin

Till Budde

Kulturprojekte Berlin, Foto: Till Budde

Eröffnet wurde das Spektakel Mittwoch Abend in der Akademie der Künste mit der Ausstellung "Schwindel der Wirklichkeit".
Mit zentralen Arbeiten von rund 40 zeitgenössischen Künstlern geht die Akademie der Künste der veränderten Beziehung zwischen Werk und Publikum durch digitale Medien nach. Die Ausstellung versammelt sowohl historische Werke der Sechziger von Nam June Paik bis Bruce Nauman als auch Arbeiten über neueste Entwicklungen der Netzüberwachung.

Und so strömte es am Mittwoch aus allen Himmelsrichtungen zur Akademie der Künste, die Buden und Getränkespätverkäufe im Umkreis waren überfüllt, auf dem Rasen vor der Akademie lagerten wohl mehrere Hunderte Besucher im Gras, von zwei Bühnen hörte man recht belanglose elektronische Musik. An einen Rundgang durchs Haus und die Ausstellung war nicht zu denken, denn weitere Hunderte von Kunstenthusiasten drängten sich in Menschentrauben um die Eingänge der Ausstellungshallen.

Menschenauflauf im Treppenhaus

Till Budde

Kulturprojekte Berlin, Foto: Till Budde

Das große Interesse mag verwundern, aber es gibt eben sehr viele Kunstinteressierte in Berlin, eine Kunstakademie, die Universität der Künste, mehrere Kunsthochschulen und Kunststudiengänge an den drei Universitäten, und dann noch die Kunstschaffenden selbst!

Berlin zieht Künstler von überall an, tausende internationale Künstler, Hipster, Expats sind aufgrund einer Boheme-Verheißung in die Stadt gezogen, und teilweise wird das bohemistische Versprechen durch die exzessive Ausgehkultur, die vielen sogenannten Off-Spaces und den im Vergleich zu London oder New York noch geringen Lebenshaltungskosten ja eingehalten.

Hunderte von Galerien säumen die Straßen, so dass man in manchen Bezirken von einer regelrechten Galerienpest sprechen kann. Und wenn zwischendurch ein "Galeriensterben“ beklagt wird, so ist es eher ein Gesundschrumpfen des Überangebots. Kunstwissenschaftlerinnen, Kunsthistoriker und -theoretikerinnen leben und publizieren hier und so ist Berlin zum Hype- und Eventstandort der Kunstszene geworden,

Glaubt man den Auskennerinnen, so ist aber die Kunstszene Berlins längst nicht mehr so offen wie früher, in den Neunzigern, als die Kunde ging, hier könne jeder irgendwie mitdiskutieren und mitmachen. Kunst ist auch in Berlin eine elitäre Veranstaltung Wie auch in anderen Kunstmetropolen sind Einkommen und Herkunft wichtig, um den gehobenen Kunst-Lifestyle zu leben. Der Kunstbetrieb steht zur Zeit eben an der Spitze der kulturellen Hierarchie.