Erstellt am: 20. 9. 2014 - 06:00 Uhr
My Reality: Ebola in Sierra Leone
Von Michael Kühnel-Rouchouze
Dr. Michael Kuehnel-Rouchouze (38) ist Allgemein- und Tropenmediziner und einsatzerfahrener Rotkreuz-Auslandsdelegierter.Seine bisherigen Einsätze führten ihn nach Haiti, Pakistan und aktuell nach Sierra Leone, wo er im Ebolagebiet tätig ist.
Der Ebolaausbruch in Westafrika ist bis jetzt der tödlichste seiner Art. Die Weltgesundheitsorganisation hat einen internationalen Gesundheitsnotfall ausgerufen. Mehr als 2.100 Personen in Guinea, Liberia, Sierra Leone und Nigera sind dieses Jahr schon an dem Virus gestorben.
Dr. Michael Kühnel- Rouchouze liefert einen Augenzeugenbericht über die Lage in Sierra Leone: Wie es ist, sterbende Opfer zu behandeln, Überlebenden zu helfen und die Toten zu beerdigen. Zu hören in in "FM4 - "My Reality", Samstag, 19.9. von 12:00-13:00-
"Nein, derzeit gehe ich nicht davon aus, dass wir Ebola in Österreich bekommen.." Zum x-ten Mal erzähle ich in einem Interview davon. Wieder spüre ich, dass sich mein Gegenüber nicht ganz sicher ist, da ich noch in der Inkubationszeit bin und ja infektiös sein könnte. Ich spüre in Österreich dasselbe wie in Sierra Leone. ANGST. Die Antworten haben sich in all den Wochen nach dem Einsatz nicht geändert, nur die Fragen: "Wie bekommt man die Erkrankung?" "Was sind die Symptome?" "Wie haben Sie Sich da unten geschützt bzw. wie haben sich die Menschen in Sierra Leone geschützt?" Heute heißt es hingegen: "Wie können wir uns im Falle einer Infektion in Österreich schützen?" Schon fühle ich mich wieder - wie so oft in den letzten Wochen bei Interviews - zurückversetzt nach Sierra Leone.
Rotes Kreuz/Katherine Mueller
Sometimes Reality Check hands over its Saturday Special programme (12-13) to a member of our community who takes us inside their world, in a feature called FM4 - My Reality.
Anfang Juni bekam ich einen Anruf eines Kollegen vom Österreichischen Roten Kreuz (ÖRK): "Traust Du Dir als Tropenmediziner zu, bei einem IFRC-Einsatz (Internationale Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung - Anm. d. Red.) im Ebolagebiet Sierra Leone mitzumachen?" Nach geschätzten drei Sekunden Überlegung sagte ich zu. Der Rest ging sehr schnell und eine Woche nach dem Anruf saß ich in einer Maschine Richtung Freetown.
Vorurteile und Anschuldigungen
Warum erwischt es immer die armen Länder? Haiti? Liberia? Sierra Leone? Man ist sehr schnell mit Urteilen, mit Anschuldigungen und - für mich am Schlimmsten - mit klugen Ideen, wie alles besser wird, was sie hätten anders machen sollen. Ich bin da keine Ausnahme.
Im Osten des Staates liegt Kailahun District, ein Bezirk mit 3,859 km² Fläche und ca. 500.000 Einwohnern. Im Norden schließt keine 5 km entfernt Guinea an, im Süden Liberia. In Guinea hat der aktuelle Ausbruch seinen Anfang genommen und hat sich in diesem 3-Länder-Eck-schnell ausgebreitet.
ÖRK/Michael Kühnel
Ebola-Fakten:
- Inkubationszeit (Zeit bis zum Ausbruch): 2-21 Tage, keine Ansteckung ohne Symptome möglich.
- Ansteckungswege: Bushmeat (Flughunde, Affen), Körperflüssigkeiten (Erbrechen, Durchfall, Blut,..), tote Körper;
Ärzte ohne Grenzen (MSF) hat dort das zu dem Zeitpunkt größte Ebola-Krankenhaus eröffnet. Ein Feldspital aus vielen gut strukturierten Zelten. Heute, nach meiner Rückkehr, hat auch das IFRC bereits ein Spital in Kenema westlich von Kailahun City eröffnet, da der Bedarf täglich wächst.
Unsere Aufgabe am Beginn des Ausbruchs war die Schulung und Information der Bevölkerung sowie die psychologische Unterstützung unseres Teams, Kollegen des Sierra Leone Red Cross (SLRC) und von Familien Betroffener. Es gab eine gute Zusammenarbeit mit MSF und der Weltgesundheitsorganisation (WHO), da jeder seine Aufgabe hatte. Leider mussten wir bald feststellen, dass die Anzahl an Ebola-Toten stetig zunahm, weshalb ich im Team dazu auserkoren wurde, dem SLRC beim "Dead Body Management" zu helfen und es zu trainieren.
Rotes Kreuz/Katherine Mueller
Dead Body Management
Ebola ist ein hochansteckendes Virus, das mit einer Wahrscheinlichkeit von 50-95% zum Tode führt. Jeder, der mit und an Ebolakranken arbeitet, setzt sich einem Risiko aus selbst daran zu sterben. Auf der einen Seite ist das natürlich Krankenhauspersonal - wir haben die Berichte über die vielen verstorbenen medizinischen Hilfskräfte gelesen - auf der anderen Seite aber auch die "Bestattungsteams".
Stirbt jemand am Virus, dann ist die Viruslast, also die Anzahl der Viren im und am Körper, besonders hoch. Wenn Tote gewaschen und angekleidet werden, wie es auch bei uns Sitte ist, besteht höchste Gefahr einer Ansteckung. Genau diese Menschen, die Verstorbene begraben, sollte ich ausbilden. Dazu zählt der Umgang mit der Schutzausrüstung, das An- bzw. Entkleiden der Helfer, das Aussprühen betroffener Häuser mit Chlor und das medizinisch, ethnisch und religiös korrekte Begräbnis der Körper.
ÖRK/Michael Kühnel
Die Herausforderung war aber von Beginn an eine logistische: Woher bekomme ich Schutzkleidung, wenn es im Land keine gibt? Wo miete ich die Autos, um die Leichen zu befördern? Wie viele Leichen kann ein Trupp pro Tag begraben, bis er an seine physischen und vor allem an die psychischen Grenzen stößt? Woher bekommt man Menschen, die sich das für 4 US-Dollars pro Tag antun wollen? Wie schütze ich meine Kollegen vor der sozialen Ausgrenzung als potentielle Virenüberträger?
Die Erfahrung zeigt, dass die Menschen, die für mich die Helden sind, indem sie Bekannte und Unbekannte, Frauen wie Männer und oft auch Kinder begraben und sich selbst dabei in Gefahr bringen, oft von Freunden und Familien gemieden werden, froh sind, wenn sie unerkannt bleiben.
Trotzdem fanden sich 14 Freiwillige, mit denen ich gemeinsam einen Kurs auf die Beine gestellt habe. Die Arbeit brachte mir den makaberen aber treffenden Spitznamen "Dead Body Mike" ein. Sie lernten von Anfang an, auf Sicherheit zu achten, Befehlen des Teamleaders zu gehorchen und aufeinander Acht zu geben. Da es ums Überleben geht, mussten sie einander und vor allem ihrem Teamleader vertrauen.
Rotes Kreuz/Katherine Mueller
Sieben von diesen Freiwilligen bildeten nach meiner Abreise eines von zwei Burial-Teams (Begräbnis-Teams). Nachdem ich im ersten Team war, das wie üblich bei der ERU (Emergency Response Unit) vieles beginnt, aber dann die Arbeit an das zweite Team übergibt, konnte ich „meine Jungs“ nicht mehr bei der Arbeit sehen. Wenn man Szenen von Begräbnissen durch Rotkreuz-Mitarbeiter in Sierra Leone sieht - im Fernsehen, auf der WHO- oder Rotkreuz-Homepage - das sind „meine Jungs“ und ich bin stolz auf sie. Gut eingebettet und weiter unterrichtet durch Jose von der WHO und Daniel vom SLRC arbeiten sie seit über einem Monat. Die Zahlen sind je nach Quelle unterschiedlich, aber pro Woche begraben sie im Schnitt 26 Menschen. Menschen, die zum Teil kurz vorher noch Teil der Gemeinschaft waren, die man gekannt hat.
Beten für alle Verstorbenen
Oft werde ich gefragt, was mein schlimmstes Erlebnis war. In einem Land, dem es schlecht geht, in dem Menschen Angst haben und sterben, ist alles mehr oder weniger schlimm. Interessant war die Stille am improvisierten Friedhof, auf dem so viele Menschen liegen. Ganz gleich welcher der beiden Religionen (Christen und Muslime) die Verstorbenen angehörten, es wurde für alle gebetet, es war immer feierlich. Diese Stille und Mischung aus Ernst, Betroffenheit und Sorge kann auf keinem Foto so eingefangen werden.
Rotes Kreuz/Katherine Mueller
Wie man mit solchen Erfahrungen um? Jeder auf seine Art. Ich habe versucht, alles in Blogs zu verarbeiten. Neben meinem privaten Blog, gibt es noch die ÖRK-Blogs, die oftmals angeklickt worden sind. Das ist ist meine Art...
Ich wurde oft wegen Interviews angerufen, bin in Fernsehstudios gegangen. Ich habe scherzhaft gesagt: "Ich bin - als bis vor kurzem einziger Österreicher im Ebolagebiet - das Sommerloch", aber was bleibt sind viele Tote die es nicht verdient haben ein "Sommerloch" zu sein.
My Reality
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Die Entwicklung seit meiner Abreise ist leider so wie befürchtet. Über 2.400 Tote, wobei mehr als 50% in den letzten drei Wochen verstorben sind. Mittlerweile gibt es Ebola-Fälle in fünf Ländern, wobei Guina und Sierra Leone weiterhin die meisten Fälle haben. Langsam wachen auch andere Länder auf und helfen mit, das Virus zu bekämpfen. Aus diesem Grunde hat man auch bei mir nachgefragt, ob ich eventuell wieder nach Afrika gehen würde. Die Antwort darauf wird die gleiche sein wie beim ersten Mal. Es ist nicht der "Kick", nicht die "Todessehnsucht" oder der "Wunsch nach Medienpräsenz"… wer sollte helfen, wenn nicht wir, die wir wissen, wie man helfen kann?
FM4 My reality: Ebola in Sierra Leone
Dr. Michael Kühnel-Rouchouze hat am Samstag, 20.09. 2014 von 12-13:00 eine Stunde lang auf FM4 - My reality über seine Erlebnisse als Arzt im Ebola-Gebiet in Sierra Leone erzählt. Die ganze Sendung gibt es danach sieben Tage lang online zum Anhören.
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