Erstellt am: 18. 9. 2014 - 17:38 Uhr
Ob Ja oder Nein, Westminster verliert
Analyse zum Ergebnis
Sie reden von Veränderung: Ein paar erste Gedanken zur Niederlage des schottischen Separatismus.
Es war der Moment, da Nigel Farage von UKIP sich am Wochenende auf der Seite des Nein-Votums für ein "föderales Vereintes Königreich" einsetzte, wo die Welt endgültig Kopf stand. Der Mann, der den Föderalismusgedanken der EU als Brüsseler Machtdiktat zu dekodieren pflegt, erklärte uns nun, warum genau dieselbe Idee in Großbritannien gleichzeitig Einigkeit schaffen und die Regionen stärken könnte.
APA/EPA/Robert Perry
Russia reacts to Scottish referendum
Outside of Scotland, there's at least one country cheering on the 'Yes' independence vote - namely, Russia.
Reality Check
Should Scotland be an independent country? Yes/No? The last polls showed a slight lead for the "No" campaign, but anything could happen when the votes are counted.
Dazu das Schauspiel eines Ex-Premiers John Major, der behauptete, dass Schottland, wenn es als unabhängiger Staat in die EU aufgenommen würde, dort null Einfluss und Mitspracherecht hätte. Einer der wenigen tendenziell (eh nur quasi) Europhilen der Tories bediente sich da zutiefst europhober Rhetorik, zumal es darum ging, die in schottischen Gewässern stationierte britische Nuklearstreitkraft zu schützen.
Dann noch Labour-Chef Ed Miliband, der auf Edinburghs Straßen von Anhängern der Yes-Seite als "Lügner" und "Verräter" beschimpft wurde. Ob ich darüber eh auch berichten würde, fragte mich mein alter Bekannter Richard, ein glühender Labour-Linker aus London, entrüstet via Twitter.
Klar, sagte ich, aber was man sich schon fragen muss, ist, was diese Leute eigentlich meinen könnten. Schließlich ist Miliband kein Schotte. Besteht sein Verrat aus Sicht der Yes-Anhänger also darin, dass er mit den Konservativen gemeinsame Sache macht und die Angst der älteren Generation um Pensionsversorgung und Gesundheitssystem schürt, während die Konservativen in Westminster munter dessen schleichende Privatisierung vorantreiben? Dass Labour scheinbar die Finanzinteressen der Londoner City über die Hoffnungen von Leuten stellt, die bei den Unterhauswahlen seine Partei wählen?
"They're nuts!" - Die sind einfach bescheuert, antwortete Richard und bestätigte damit leider genau jenen Vorwurf der englischen Arroganz, der das verletzte Unrechtsgefühl im Kern des schottischen Separatismus für mich als Nicht-Engländer so instinktiv verständlich macht.
Nun hätte man von einer gesamtbritischen Labour Party nicht verlangen können, gegen die Union zu werben, aber - ich habe es hier schon vor einer Woche anklingen lassen - der Balanceakt auf einer gemeinsamen No-Plattform mit LibDems und Tories bedurfte zeitweise schon absurder, unschöner Verrenkungen.
APA/EPA/ANDY RAIN
Wenn etwa Jim Murphy und Alastair Darling eine Demonstration gegen den als tendenziös regierungsfreundlich verrufenen BBC-Politikredakteur Nick Robinson vor dem Büro der BBC Schottland als unzulässige, undemokratische Einschüchterungstaktik verurteilten, obwohl ebenjener Robinson erst heuer beim EU-Wahlkampf wegen seiner äußerst UKIP-freundlichen Berichterstattung unter scharfer Kritik von Labours Seiten gestanden war.
Der bedenklichste Aspekt für Labour ist allerdings, dass die Nein-Plattform die progressive Dynamik an das Yes-Votum abgegeben hat. Der Ruf nach mehr sozialer Gerechtigkeit, die Aufgabe der Atomwaffen, freie höhere Bildung, all das gehört nun ins Vokabular einer Bewegung, gegen die Labour in den Wahlkampf gezogen ist.
An diesem Bild werden auch die von Brown, Darling und Cameron gemeinsam mit den LibDems angebotenen zusätzlichen Devolutionsschritte nichts ändern.
Wenn sich 97 Prozent der Bevölkerung, darunter viele, die nie in ihrem Leben gewählt haben, für dieses Referendum als Wähler_innen registrieren haben lassen (Großbritannien hat kein Melderecht und keine Wahlpflicht, die Registrierung ist freiwillig), dann sieht es für eine oppositionelle Labour Party einfach nicht gut aus, Seite an Seite mit David Cameron unter Slogans wie dem heute vor Wahllokalen aufgestellten Plakat "No, it's not worth the risk" in solche eine Abstimmung zu ziehen.
Grace Maxwell
Falls es nun wirklich zu einem knappen "No" käme, wie es nach den letzten Umfragen aussieht, (auch wenn diese Trendsmap eine andere Sprache spricht und die hohe Beteiligung bisheriger Nichtwähler_innen die Prognose erschwert), wie soll sich Labour von so einer Position aus bis zum Unterhauswahlkampf als Kraft der Veränderung umpositionieren?
Und was passiert mit David Cameron, wenn er diese Abstimmung gewinnt und vor der Forderung nach Einlösung seiner Versprechen an die Schotten steht, gegen die schon jetzt seine konservativen, englischen Hinterbänkler_innen auf die Barrikaden steigen?
Das etablierte politische System kann so gesehen heute nur verlieren, egal wie die Abstimmung ausgeht. Und diese Niederlage hat Westminster sich in seiner weltfremden Hybris völlig selbst zugefügt.