Erstellt am: 26. 9. 2014 - 18:09 Uhr
Spiele zum Schauen
Videospiele in Film und Fernsehen waren in ihrer Frühzeit eine unterhaltsame Angelegenheit - egal, ob in Form kurioser Werbespots, ratloser Porträts einer neuen Kulturtechnik oder einer eigenen Quizshow zur Blütezeit der Videospielhallen Anfang der 80er Jahre. Später, rund um die Jahrtausendwende, sind TV-Stationen (und auch Buchautoren) zuerst in den USA und Großbritannien, dann auch vermehrt im deutschsprachigen Raum dem Phänomen Videospiel allgemein auf den Grund gegangen. Dabei ging es meist darum, die rasche technische und inhaltliche Entwicklung des jungen Mediums zusammenzufassen und zu sagen, wie unglaublich zukunftsweisend das nicht für uns alle sei.
Abseits der an- und abschwellenden Hysterie rund um Gewaltinhalte war dieser "Wow, Videospiel, wie groß du geworden bist!"-Ansatz lange Zeit der einzige Zugang bei filmischen Darstellungen von digitalen Spielen. Erst Ende der 2000er Jahre haben sich Regisseur/innen langsam getraut, sich auf bestimmte Aspekte innerhalb von Videospielkultur zu konzentrieren. Beispiele dafür sind der halbdokumentarische "The King of Kong" (2007) über die tiefgreifende Rivalität zweier Retro-Profispieler und der erst 2012 erschienene "Indie Game: The Movie", der wesentlich daran beteiligt war, das Wesen von unabhängig entwickelten Computerspielen in den Mainstream zu tragen.
Blinkworks
Video Games: The Movie
Umso verblüffender, wenn 2014 wieder ein paar Schritte zurückgegangen und ein weiteres Mal der alte, allgemeine Ansatz aus der Mottenkiste gekramt wird. So wirkt "Video Games: The Movie" - obwohl erst im Sommer in den USA angelaufen - trotz seines jungen Produktionsdatums heillos verstaubt. Videospiele werden ein weiteres Mal audiovisuell aufgeblasen abgefeiert, dazu gibt es eine oberflächliche Zusammenfassung der Games-Geschichte. Man hört und sieht die ewigen Interviewausschnitte mit den alten Atari-Helden, wackelige Vintage-Werbespots von Nintendo, ist weiterhin begeistert, was in Computerspielen alles drinsteckt, streift Themen wie E-Sport, die Gewaltdebatte und Storytelling. Kaum eingegangen wird auf den Aufstieg von Indiespielen. Die vielseitigen Modding-Communities - von Machinima bis "Minecraft" - werden gänzlich ignoriert. Das ist für einen Film, der sich auf die Fahnen heftet, digitale Spielkultur als Ganzes abbilden zu wollen, ein ziemliches Armutszeugnis.
Pixel Poetry
Einen atmosphärisch ähnlichen Ansatz, wenn auch nicht ganz so pompös inszeniert, bietet "Pixel Poetry". Hier geht es ebenfalls um das Unterstreichen der Tatsache, wie technisch und kreativ reichhaltig digitale Spiele sind. Doch statt Begeisterung wird hier mehr Rechtfertigung sichtbar - defensive würde man es im angloamerikanischen Sprachraum nennen. Der Grund: "Pixel Poetry" verortet Computerspiele als Kunstform - in altbekannter Schwammigkeit. Es bleibt rätselhaft, warum es nicht genügt, dass das digitale Spiel eine einzigartige Kombination aus Gamedesign, Programmierung und audiovisueller Präsentation ist und allen anderen Medien die Interaktivität voraus hat. Kunst wird mit Kunsthandwerk verwechselt, die Definitionen und Begründungen bleiben oberflächlich und teilweise widersprüchlich. Auch hier wird die Gewaltdebatte gestreift. Ein interessanter Nebenschauplatz: Der langjährige Gamedesigner Warren Spector ("Deus Ex", "System Shock") weist darauf hin, dass in den 80ern und frühen 90ern bei Computerspielen mehr Experimente möglich waren, weil die Industrie noch nicht so groß war und demnach keine Angst vor großen Verlusten haben musste.
Super Game Jam
A propos Experimente: Die gibt es im Netz ja zuhauf, weil die Entwicklungstools für Games immer günstiger und zugänglicher werden. Zusätzlich dazu hat die noch recht junge Kultur der Game Jams dafür gesorgt, dass das sogenannte Prototyping, also das erste Konzipieren von Spielideen, nicht mehr länger nur alleine, sondern nun verstärkt in kleinen Teams passiert, die über ein Wochenende eine Idee ausformulieren und sie auch als Spiel umsetzen. "Super Game Jam" macht daraus eine Serie: Jeweils zwei junge Designer, die sich nicht oder kaum kennen, bekommen ein Thema und 48 Stunden zugewiesen. Dann müssen sie gemeinsam ein Computerspiel machen und werden mit der Kamera und Mikros begleitet. Die jeweils circa halbstündigen Folgen bieten schöne Bilder und sind gut geschnitten, doch das täuscht nicht darüber hinweg, dass das Prinzip Spielentwicklung schwer als Film abzubilden ist. Lautes Nachdenken über bestimmte Einfälle, die man als Zusehender ohnhin nicht zuordnen kann, ist nach einer Weile ebenso langweilig, wie hochkonzentrierten Geeks in Hoodies dabei zuzusehen, wie sie in ihre Macbooks starren. Darüber hinaus ist es schade, dass es kaum Dissonanz gibt. In den Interviewausschnitten zwischendurch klagen die Protagonisten manchmal über zu wenig Zeit, aber der Jam-Partner ist ansonsten immer durchwegs ein super Typ. Typ übrigens deshalb, weil in vier von fünf Folgen ausschließlich Männer vorkommen. Die fünfte Folge (die mit der einen Frau) ist noch nicht veröffentlicht worden, weil die Filmemacher sich in der Zeit verschätzt haben.
Us And The Game Industry
Die von den Kolleg/innen von Superlevel.de als "Sparmenü" titulierte Doku "Us And The Game Industry" beschäftigt sich ebenfalls mit unabhängig entwickelten Spielen, geht aber eher philosophisch denn technisch auf deren Entwicklung ein. Ähnlich, wie "Indie Game: The Movie" werden unterschiedliche Entwickler/innen bzw. Studios porträtiert und begleitet - wenn auch weniger persönlich. Nicht die Personen und ihre Geschichten werden seziert, sondern ihre Werke. Obwohl die Doku bei der Präsentation nichts neu erfindet und eine Bildermischung aus Spielekonferenzen, Interviews, Entwickleralltag und Trailerausschnitten bringt, bietet "Us And The Game Industry" einen interessanten Einblick in die kreative Welt von Thatgamecompany ("Flower", "Journey"), Die Gute Fabrik ("Johann Sebastian Joust"), Alexander Bruce ("Antichamber"), Zach Gage ("Spelltower") und Jason Rohrer ("Passage", "Sleep Is Death"). Das mag für manche ein alter Hut sein, doch als Einstieg und erster Einblick in eine andere Welt der Computerspiele als jene, die von Plakatwänden, aus Werbeprospekten und aus kleinformatigen Zeitungsartikeln strahlt, ist der Film für Außenstehende gut geeignet.
Free To Play
Szenenwechsel: Weg von den Indies, hin zu den Pro-Gamern. Noch nie ist E-Sport so aufgeblüht wie mit der ziemlich jungen Spielegattung der Multiplayer Online Battle Arenas, kurz MOBAs. Die populären Titel "League of Legends" und "DOTA 2" haben hinsichtlich Publikumsinteresse alle bisherigen kompetitiven Games in den Schatten gestellt. Im August 2011 hat bei einem "DOTA 2"-Turnier bei der Gamescom in Köln das Preisgeld für das Gewinnerteam erstmals eine Million US-Dollar betragen. "Free To Play" ist die filmische Dokumentation zu diesem Turnier. Der Name ist etwas irreführend, er bezieht sich auf das Geschäftsmodell von MOBAs, die gratis spielbar sind und wo für einzelne Inhalte im Spiel bezahlt wird. Der Film begleitet drei Spieler auf ihrem Weg in den Pro-Gaming-Olymp und zeigt auch Geschwister, Eltern und Weggefährten, die durch ihre Erzählungen die Entschlossenheit der Protagonisten untermauern. "Free To Play" ist vom "DOTA 2"-Hersteller Valve produziert worden und bietet keinen wirklich eindrucksvollen, aber doch soliden Einblick in die Welt des zeitgenössischen E-Sport-Mainstreams. Der Film ist übrigens frei zum Ansehen.
State of Play
Die alte, sterbende Welt des E-Sport aus den 2000er Jahren wird ein letztes Mal in "State of Play" filmisch gewürdigt, einer Doku, die die letzten beiden südkoreanischen Turniersaisonen des alten "Starcraft" (1998) begleitet. "Starcraft" war um die Jahrtausendwende der Kickstarter der internationalen E-Sport-Szene und hat die südkoreanische Jugend zwei Generationen lang maßgeblich geprägt. In dem Land galt und gilt "Starcraft" als kleiner Volkssport. Der Film begleitet Lee Jae Dong, ein ehemals unbesiegbarer Spieler, der Mitte 2011 sein Feuer verliert und damit erstmals auch seine Matches. Gemeinsam mit dem langsam welkenden Erfolgen von Jaedong neigt sich auch die alte "Starcraft"-Zeit ihrem Ende zu. Man sieht ein letztes Mal die Knechtschaft der Profispieler in den Trainingscamps, in denen ohne 10-12 Stunden Übung pro Tag niemand jemals an eine ernsthafte Karriere denken darf. Die von Kindheit an geträumte Sehnsucht, auch mal ein Profispieler zu werden, schneidet sich mit dem schmerzhaften Umstand, dass dafür die Schul- und Universitätsausbildung aufs Spiel gesetzt werden muss. Ein letztes Mal heben die erschöpften jungen Männer in "State of Play" ihre Fäuste zum Angriff, starten melancholisch ihre Spielpartien. Jaedong gewinnt schlussendlich doch noch ein Turnier und kann im anschließenden Interview trotz der asiatischen Gefühlsdisziplin die Tränen nicht zurückhalten. Eine Ära geht zu Ende, doch immerhin haben wir jetzt zu uns selbst gefunden.
Angry Video Game Nerd: The Movie
Zum zehnjährigen Geburtstag haben sich die im Netz hochbeliebte Figur "Angry Video Game Nerd" (AVGN) und sein Darsteller James Rolfe ein Denkmal in Form eines Spielfilms gesetzt. Der AVGN ist das Vorbild der Grumpy Cat, Heimat von pubertärem Fluch- und Furzhumor, vor allem aber ein messerscharfer Analyst von (Retro)Spielen und ihren Schwächen. Der Nerd erhebt die Unkultur des Ragens zum Stilmittel und legt damit offen, wie absurd viele Videospiele früher waren: durchwachsenes Gamedesign, unlogische Settings und ein Schwierigkeitsgrad, der ein Durchspielen ohne masochistische Vorlieben oft unmöglich gemacht hat. Der Film des Angry Video Game Nerd dreht sich um das von ihm bis davor unrezensierte, von vielen als schlechteste Spiel der Welt beschriebene "E.T.", das 1982 anlässlich des Films erschienen ist. Der Titel musste in nur fünf Wochen aus dem Boden gestampft werden, war ein kommerzielles Debakel und maßgeblich daran beteiligt, dass ein halbes Jahr später die gesamte Gamesindustrie zusammengebrochen ist. Weil Microsoft der 30-jährigen urban legend der in der Wüste vergrabenen "E.T."-Spielecartridges zwischenzeitlich nachgegangen ist und sie sich als Wahrheit entpuppt hat, könnte man den Film als obsolet betrachten - würde es sich um eine ernsthafte Doku handeln. Doch der AVGN-Film ist ein selbstreflexiver C-Movie, wo man sich dem Trash hingibt und in den Wirrnissen des Drehbuchs suhlt. So spricht der Nerd etwa nach einer (schlechten) CGI-Sequenz davon, dass selbst seine Träume low budget seien und predigt seinem liebeshungrigen jungen Manager sein Lebensmotto nerds before birds.