Erstellt am: 21. 9. 2014 - 09:56 Uhr
Steirischer Herbst 2014
Steirischer Herbst, 26. September bis 19. Oktober in Graz und in den Regionen
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Die Bundespolizeidirektion ist ausgezogen und der Steirische Herbst zieht ein: Im Palais Wildenstein in der Grazer Paulustorgasse wird sich dieses Jahr das Festivalzentrum auftun. Die ehemalige Polizeikantine ist die Herbst-Bar, eine Fahrradküche gibt es auch - ganz konträr zum diesjährigen Leitmotiv: "I prefer not to ... share!"
Die literarische Figur des Schreibers Bartleby von Autor Herman Melville gab Denkanstöße: Bartleby würde lieber nichts tun. Doch kann man sich dem Druck heute entziehen und sich verweigern? Schon klar, bei Social Media ist Teilen ein Imperativ, das Private öffentlich zu machen. Spannender sind die Fragestellungen, wie das vermeintliche Denken eines monolithischen Europas bei schwächeren Mitgliedern am Prüfstand steht. Und wenn es darum geht, wie Ressourcen und Kapital geteilt werden. Oder eben nicht.
Die Kunst zieht es auf's Land
Mit "Forms of Distancing - Repräsentative Politik und die Politik des Repräsentativen" zeigt die große
Herbst-Ausstellung die Auseinandersetzung von 15 internationalen KünstlerInnen dazu. Inwieweit sind wir heute fähig, die wichtigsten Entscheidungen zu teilen? Zu sehen sein wird auch eine Arbeit des gebürtigen Österreichers Peter Friedl, dessen "Zoo Story" 2007 weltweit Aufmerksamkeit bekam.
Bevor der Steirische Herbst mit der "Akademie der Asozialität" den deutschen Soziologen Harald Welzer und viele andere zu Wort kommen lässt, gibt es ein Programm, das allein in Kurzbeschreibungen und gebundener Form einen Zentimeter dick ist. Bildende Kunst, Theater, Performances, Konzerte und nicht zu vergessen Partys finden diesmal auch in steirischen Regionen statt. Denn das Festival neuer Kunst zieht es mehr denn je auf's Land.
Zehn Tipps für vier Wochen neue Kunst
"Das Prinzip Coolness in Popkultur, Theater und Museum" versuchen Schorsch Kamerun und Christian Egger vom Künstlerhaus Graz in einer Ausstellung zu untersuchen. "Ordinary freaks" ist ein schöner Titel. Streetart, Jugendkultur, Mode - bitte nicht "hereinholen" in Museen und Kunstinstitutionen, könnte man sich denken, und für diese Kunst an den Wänden danken. Kuratoren zeitgenössischer bildender Kunst (Stichwort: Medienkunst) balancieren gern zwischen Schüchternheit und Coolness. Also 15 Sekunden Pause zwischen Viertelsätzen Bedenkzeit. Zur Ausstellung gibt es ein extra Abendprogramm, Carla Bozulich kommt dazu wieder einmal nach Graz.
Daniel Richter, Denn hier ist nichts los, 1985 Courtesy Schorsch Kamerun
Exzentrisch und klug
Populär ist die New Yorker Performerin Ann Liv Young in Graz bereits seit Jahren. Hier hat sie mittlerweile einen Fanblock. Und das, obwohl sie vor Publikumsbeschimpfungen nie zurückschreckt. Diesmal leiht Ann Liv Young Stoff aus der altgriechischen Sagenwelt und hat sich für "Elektra" mit der ebenso wunderbaren New Yorker Regiekollegin Annie Dorsen zusammengetan. Dorsens Dialog zweier Bots "Hello Hi There" war klasse.
Ann Liv Young & Michael A Guerrero
"Es gibt ein paar Künstler, von denen wir nicht lassen können", sagt Herbst-Intendantin Veronica Kaup-Hasler. Ann Liv Young ist eine Schaustellerin, tingelnd mit Kindern und Mann, die auch immer mit dabei sein und auch auf die Bühne "müssen". Dort persifliert Ann Liv Young in ihren Stücken die Popkultur, so dass man Zwerchfellschmerzen bekommt. Anschließend verkauft sie Krimskrams als "Merchandise" – serious business. Auch wieder mit dabei beim Steirischen Herbst ist das Nature Theater of Oklahoma. Seines Zeichens "Off-Off-Off-Broadway-Truppe", deren Mitglieder 16 Stunden miteinander telefonieren und daraus eine Performanceserie entwickelt haben. Das hat Suchtcharakter.
Lass das Spiel beginnen
Publikumsbeteiligung kann ein Horror sein. Das deutsche Medientheaterkollekiv machina eX aber macht alles richtig. Deren Spiele sind ein Hit aufgrund wohl gewählter und präparierter Schauplätze und Handlungsanweisungen, die einen ins Geschehen ziehen. In Wildon bei Graz installieren machina eX ihre "machina exkursion: Kingdom" als Mystery-Hörspiel-Game. Not to be missed.
machina eX / Franziska Riedmiller
Richard Wilhelmer
Konzerttheater? Wie, was?
Andreas Spechtl hat sich mit Thomas Ebermann, Kristof Schreuf und Robert Stadlober zusammengetan und sich mit dem Werk des Philosophen Herbert Marcuse befasst: und zwar mit Marcuses "Der eindimensionale Mensch wird 50".
Dazu hat die illustre Männerrunde ein "Konzerttheater" erarbeitet. Ein weiteres Stück der Kategorie, aber doch garantiert ganz anders, präsentieren Gerhild Steinbuch und Jörg Albrecht: "You're not the same Batman!"
Hunderte Stunden: Konzerte beim Herbst
Von Marino Formenti bis Moonface tut sich ein Konzertreigen auf.
126 Stunden wird der fulminante Formenti Klavier spielen. Wobei diese Bezeichnung in seinem Fall eine klare Untertreibung ist. "One to one" bezeichnet seine Konzerte für jeweils eine Zuschauerin oder einen Zuschauer. Moonface, der die kanadische Indie-Rock-Band Wolf Parade mitbegründet hat, spielt in der Antoniuskirche. Freitags gibt es DJs im Festivalzentrum, mit "Neue Heimat" eine kleine, schöne Konzertreihe.
Zustände
Arpad Schilling gilt als rebellischster Theatermacher Ungarns. Während er mittlerweile Opern inszeniert, verfolgt er zugleich mit seiner Theatergruppe Kretakör die intensive Reflexion auf aktuelle Zustände in seinem Heimatland. Für "A Part - Die Partei - The Party" macht man einen Ausflug nach Bad Gleichenberg.
Máté Tóth Ridovics
Rollenwechsel
Vorstellungen, wie alles zu sein hat, wirft sehenswertes Theater über den Haufen und liebt das Spiel mit Klischees. Den New Yorker Rashaad Newsome führte die Liebe zu Hip-Hop und eine Recherche über Gesten und Laute zu dem "Bewegungsstück" "Shade Graz, 2014". Bewusst erzählt Newsome "andere" Lebensgeschichten, bevorzugt queere und migrantische. Von der Vielfalt der Dialekte, die in Graz gesprochen werden, war er allerdings überrascht. Wie man sich mit einer Nintento Wii und einem Videomixer Loops baut, weiß er. Wie sich das anhört, will man wissen.